In einer Sendung des Deutschlandfunks vom 05.10.2022 zur Zweiten Stammstrecke der Münchner S-Bahn wird eher nebenbei eine möglicherweise sensationelle Neuigkeit genannt.
Georges Rey, Mitarbeiter der Schweizer Verkehrsberatungsfirma SMA und Partner, der die Zweite Stammstrecke der Münchner S-Bahn von Anfang an begleitet hat, erwähnt in der Sendung, dass die westliche Hälfte der Zweiten Stammstrecke der Münchner S-Bahn von Laim bis zum Marienhof vorab in Betrieb genommen werden kann. Maßgebend dafür sind der unterschiedliche Stand bei Planung und Bau zwischen den beiden Streckenhälften sowie die "Westlastigkeit" der Münchner S-Bahn.
Das sehen wir uns heute mal etwas näher an und stellen selbstverständlich Bezüge zu Stuttgart 21 und zur Stuttgarter S-Bahn her.
Teilinbetriebnahme der Zweiten Stammstrecke bereits 2028 - 2030?
Die vor wenigen Wochen von der Politik in Bayern sowie der Bahn genannten Hiobsbotschaften einer Inbetriebnahme der Zweiten Stammstrecke nicht vor 2035 oder sogar 2037 würden durch die Nachricht einer vorgezogenen Teilinbetriebnahme der westlichen Hälfte zum Teil wieder geheilt. Von daher ist es etwas verwunderlich, dass die Politik auf den Zug einer vorgezogenen Teilinbetriebnahme nicht sofort aufgesprungen ist und diesen echten Erfolg nicht sofort verkündet hat.
SMA ist in Stuttgart kein Unbekannter
Unvergessen ist der Tag der Präsentation des Stresstests zu Stuttgart 21 im Jahr 2011. Als das Ergebnis des Stresstests auf Kritik stieß, präsentierte Heiner Geißler eine Kombilösung für den Stuttgarter Hauptbahnhof, die er vorher bei einer gemeinsamen Zugfahrt nach Zürich mit dem damaligen CEO von SMA, Werner Stohler, festgezurrt hatte.
Dies stieß sogar bei den bei der Präsentation des Stresstests anwesenden Kritikern von Stuttgart 21 auf Interesse. Die Stuttgart 21-Befürworter - allen voran der Vorsitzende des Verbands Region Stuttgart Thomas Bopp - lehnten die Kombilösung jedoch sofort ab. Sie sei schlecht, weil sie die Bebauung des Gleisvorfelds des Stuttgarter Hauptbahnhofs verunmögliche und gleichzeitig einen Teil der Bahnfahrgäste in den Untergrund schicke.
Dieser Tag der Präsentation des Stresstests war kein guter Tag für die Bahn und für Stuttgart. Ohne groß und länger nachzudenken erfolgte die Ablehnung des Kombilösungsvorschlags, der von einer der weltweit renommiertesten Verkehrsberatungsfirmen eingebracht worden ist. Dieser Vorschlag hätte es Stuttgart erlaubt, noch gesichtswahrend die Kurve zu kriegen und aus dem Stuttgart 21-Abseits herauszutreten. Die Chance wurde nicht genutzt.
Die Süddeutsche Zeitung schrieb in einem Artikel vom 29. Juli 2011, dass sich der Eindruck aufdränge, dass die Verantwortlichen vor allem aus Rechthaberei an dem Großprojekt (also Stuttgart 21) festhalten wollen.
Was versteht man unter der Westlastigkeit der Münchner S-Bahn?
Das westliche Ende der Ersten Stammstrecke der Münchner S-Bahn erreichen sieben S-Bahnstrecken, von denen sich zwei weiter außen auch noch verzweigen. Das östliche Ende der Ersten Stammstrecke erreichen dagegen nur fünf S-Bahnstrecken. Deshalb müssen zwei von Westen kommende S-Bahnlinien nahe des Ostendes der Ersten Stammstrecke enden.
Von Westen kommen also mehr S-Bahnlinien, mehr S-Bahnzüge und mehr Fahrgäste zur Stammstrecke als von Osten. Umso mehr sind zukünftige Verstärkerfahrten von Westen willkommen, die im Rahmen der Zweiten Stammstrecke den Hauptbahnhof und die Innenstadt (vorläufige Endstation Marienhof) erreichen können.
Die Stuttgarter S-Bahn ist stark nordostlastig
Die Stuttgarter S-Bahn ist noch wesentlich "lastiger" als die Münchner S-Bahn. Aus Richtung Nordosten gibt es sechs S-Bahnstrecken, die in die Stammstrecke münden. Aus Richtung Südwesten sind es nur zwei S-Bahnstrecken.
Das ist der Grund, weshalb für die Stuttgarter S-Bahn eine unterirdische Wendeschleife beim Haltepunkt Schwabstraße am südwestlichen Ende der Stammstrecke gebaut werden musste, über die drei Linien wenden. Dieses aufwändige Bauwerk gibt es wohl weltweit kaum ein zweites Mal. Eine weitere Linie wendet im Vorortbahnhof S-Vaihingen.
Auch bei der Stuttgarter S-Bahn stellt sich die Frage nach Verstärkerfahrten aus Richtung Nordosten. Diese zusätzlichen S-Bahnzüge können - genauso wie in München - nicht in die Erste Stammstrecke einfahren. In Stuttgart müssen diese zusätzlichen S-Bahnzüge in einen "Ergänzungsbahnhof für den Regionalverkehr" einfahren, wie er im Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung in BW vorgesehen ist.
Die Frankfurter S-Bahn ist ein Vorbild für Inbetriebnahmen von Teilen einer Stammstrecke
Die Frankfurter S-Bahn wurde am 28.05.1978 in Betrieb genommen. Die Stammstrecke war aber nur zum Teil fertig. Sie führte von der Station Hauptbahnhof zur Station Hauptwache und endete dort vorläufig. Bei der Station Hauptwache mussten die Züge auf den beiden späteren Durchfahrtsgleisen wenden. Immerhin waren dies damals ca. 18 Züge pro Stunde. Später, im Jahr 1983, wurde die Stammstrecke bis zur Station Konstablerwache verlängert. Bis zum Jahr 1990 erfolgte das Wenden in der Station Konstablerwache. Erst danach war die Stammstrecke der S-Bahn in Frankfurt durchgebunden.
Von daher sollte es möglich sein, dass ein paar Jahre lang auch in München in der neuen Station Marienhof die Züge wenden. Es gibt da allerdings ein paar technische Details, die ich nicht beantworten kann. Für das Wenden sind zwei Weichenverbindungen zwischen den beiden Röhren der Zweiten Stammstrecke erforderlich. Hinzu kommt, dass die Zweite Stammstrecke der Münchner S-Bahn auch noch über eine dritte Tunnelröhre, einen Servicetunnel verfügt. Wie das zusammenpasst, entzieht sich meiner Kenntnis.
Die unterschiedlichen Sachstände bei der westlichen und östlichen Hälfte der Zweiten Stammstrecke der Münchner S-Bahn
Die beiden Hälften der Zweiten Stammstrecke der Münchner S-Bahn haben einen sehr unterschiedlichen Planungs- und Baustand. Für die westliche Hälfte der Zweiten Stammstrecke wurde der erste Spatenstich am 05.04.2017 gefeiert. Heute befinden sich beim Marienhof (nördlich des Marienplatzes), im Hauptbahnhof und bei Laim Großbaustellen.
Im Gegensatz dazu wurde mit dem Bau der östlichen Hälfte der Zweiten Stammstrecke (Marienhof - Ostbahnhof - Leuchtenbergring) noch nicht begonnen. Mehr noch: Die Planung ist noch nicht abgeschlossen, die Baugenehmigung noch nicht erteilt. Das hängt damit zusammen, dass es im Verlauf der östlichen Hälfte in den letzten Jahren massive Umplanungen gab. Die jetzt von der Politik genannten Inbetriebnahmetermine 2035 bis 2037 sind vor allem der Situation bei der östlichen Hälfte der Zweiten Stammstrecke geschuldet. Die westliche Hälfte kann wesentlich früher in den Vorlaufbetrieb gehen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.