Obwohl sich die Zweite Stammstrecke der Münchner S-Bahn stark verteuert hat und obwohl ihr Inbetriebnahmetermin sich mehrfach verschoben hat, ist die Zweite Stammstrecke doch ein Bahnprojekt ohne Wenn und Aber.
Das kann man bei Stuttgart 21 in dieser eindeutigen Form nicht sagen. Je nach Standpunkt musste das Bahnthema bei Stuttgart 21 starke Abstriche machen bzw. ist Stuttgart 21 im Kern ein Immobilienprojekt.
Das wollen wir im heutigen Post in diesem Blog an Hand einiger Beispiele vertiefen.
Die Zweite Stamstrecke der Münchner S-Bahn bringt dem Großraum München eine weitere Doppelspur
Die Zweite Stammstrecke der Münchner S-Bahn bringt für den Großraum München eine zusätzliche Doppelspur. Das bedeutet Leistungssteigerung und Steigerung der Betriebsqualität. Es ist nicht so wie bei Stuttgart 21, wo zwar etwas Neues entsteht, wo aber gleichzeitig der gesamte Bestand stillgelegt wird. Die Zweite Stammstrecke der Münchner S-Bahn kommt zum bestehenden Bahnnetz in München dazu und ersetzt dieses nicht.
Besonders interessant ist, dass beim Münchner Hauptbahnhof auch die beiden Flügelbahnhöfe (Holzkirchner Flügelbahnhof und Starnberger Flügelbahnhof) erhalten bleiben und sogar modernisiert und ausgebaut werden.
Die Haltepunkte Hauptbahnhof und Marienhof der Zweiten Stammstrecke erhalten die Spanische Bahnsteiglösung
Im Verlauf der ersten Stammstrecke der Münchner S-Bahn ist bei den Haltepunkten Hauptbahnhof, Stachus und Marienplatz seit dem Jahr 1972 die sogenannte Spanische Bahnsteiglösung in Betrieb. Diese Lösung hat ihren Namen daher, dass bei der U-Bahn in Barcelona und Madrid bei einigen hochfrequentierten Haltestellen auf beiden Seiten eines Gleises Bahnsteige vorhanden sind. In München dient der Bahnsteig zwischen den beiden Gleisen den einsteigenden Fahrgästen. Die beiden Seitenbahnsteige dienen den aussteigenden Fahrgästen.
Nun werden also auch die Haltepunkte Hauptbahnhof und Marienhof der Zweiten Stammstrecke die Spanische Lösung erhalten. Der Mittelbahnsteig wird bei beiden Stationen 14,7 Meter breit werden. Die beiden Außenbahnsteige werden jeweils 5 Meter breit werden. Das ergibt pro Bahnsteiggleis eine Bahnsteigbreite von 12,35 Metern.
Beim achtgleisigen Stuttgart 21-Tiefbahnhof haben die vier Bahnsteige eine Breite von je 10 Metern. Das ergibt pro Bahnsteiggleis eine Bahnsteigbreite von 5 Metern. Hier sieht man einmal mehr, dass die Zweite Stammstrecke der Münchner S-Bahn ein Bahnprojekt ist. Die Bahnsteige werden so breit werden, wie dies aus Bahnsicht erforderlich ist. Im Gegensatz dazu ist beim Stuttgart 21-Tiefbahnhof zwischen dem bestehenden Bahnhofsgebäude und dem LBBW-Gebäude nur soviel Platz, dass die acht Gleise und die geringe Bahnsteigbreite daraus resultieren. Diese wichtigen Kenngrößen eines Bahnsystems werden in Stuttgart also durch externe Randbedingungen festgelegt.
Die Tunnelstrecke der Zweiten Stammstrecke verfügt über einen dritten Tunnel
Die Zweite Stammstrecke wird dort wo sie unterirdisch verkehrt über einen dritten Tunnel verfügen. Gemäß den Angaben der Bahn wird die Zweite Stammstrecke als erstes Verkehrsinfrastrukturprojekt in Deutschland mit einem zusätzlichen Tunnel ausgestattet. Der dritte Tunnel liegt zwischen den beiden S-Bahntunneln und dient als Flucht und Rettungstunnel. Gemäß der Bahn wird die Zweite Stammstrecke "nach den neuesten Sicherheitsvorschriften" gebaut.
Die zahlreichen Tunnelstrecken bei Stuttgart 21 verfügen nicht über einen dritten Tunnel. Kann man daraus folgern, dass Stuttgart 21 nicht nach den neuesten Sicherheitsvorschriften gebaut wird?
An den Stationen Laim und Leuchtenbergring kann barrierefrei von der Ersten in die Zweite Stammstrecke umgestiegen werden
Die Zweite Stammstrecke der Münchner S-Bahn verläuft von der Station Laim im Westen bis zur Station Leuchtenbergring im Osten. Die Stationen Laim und Leuchtenbergring sind Verknüpfungsbahnhöfe zwischen der Ersten und der Zweiten Stammstrecke. Mit Hilfe von Überwerfungsbauwerken wird erreicht, dass von einer Richtung der Ersten Stammstrecke in dieselbe Richtung der Zweiten Stammstrecke am gleichen Bahnsteig gegenüber umgestiegen werden kann.
Erhöhung der Zugabstände trotz neuem Zugsicherungssystem ETCS
Die beiden Stammstrecken der Münchner S-Bahn sollen mit dem Zugsicherungssystem ETCS ausgestattet werden. Die Zugabstände im Verlauf der ersten Stammstrecke sollen gleichwohl erhöht werden. Heute fahren 30 Züge pro Stunde und Richtung im Verlauf der ersten Stammstrecke. Zukünftig sollen nur noch 20 Züge pro Stunde und Richtung fahren, weil die Zweite Stammstrecke einen Teil der Züge übernimmt. ETCS dient also bei der Münchner S-Bahn in erster Linie dazu, die Pünktlichkeit und Regelmäßigkeit zu verbessern, das System stabilder zu machen, und weniger dazu, noch mehr S-Bahnzüge auf überlastete Strecken zu bringen.
Ganz im Gegensatz dazu verhält sich der Verband Region Stuttgart, der trotz Überlastung der S-Bahn-Stammstrecke (24 Züge pro Stunde und Richtung) ETCS dazu benutzen will, eine weitere Linie durch die Stammstrecke zu führen. Das wird scheitern und es ist ein Anzeichen für eine insgesamt zu geringe Dimensionierung der Bahninfrastruktur in der Region Stuttgart als Folge von Stuttgart 21.
Die Zweite Stammstrecke kann in Abschnitten in Betrieb genommen werden
Stuttgart 21 haben wir hier in diesem Blog stets als Alles-oder-Nichts-Projekt bezeichnet, das nicht sinnvoll etapierbar ist. Gemäß der Auskunft eines Mitarbeiters des unabhängigen Consulting- und Softwareunternehmens SMA könnte die Zweite Stammstrecke der Münchner S-Bahn in Etappen in Betrieb genommen werden. Das kann deshalb sinnvoll sein, weil der westliche Teil der Zweiten Stammstrecke planerisch und baulich wesentlich weiter fortgeschritten ist als der östliche Teil. Ein weiterer Grund ist die Westlastigkeit des Münchner S-Bahnnetzes, die eine Führung einiger S-Bahnzüge von Westen bis zum Haltepunkt Marienhof ohne weitere Durchbindung nach Osten sinnvoll erscheinen lässt.
Von Westen kommende Züge könnten also über einige Jahre hinweg im S-Bahnhaltepunkt Marienhof enden und von dort wieder zurückfahren, solange bis auch der östliche Teil der Zweiten Stammstrecke fertiggestellt ist.
Bei Stuttgart 21 ist eine solche Vorgehensweise nicht möglich. Denn im Stuttgart 21-Tiefbahnhof können Züge wegen der großen Gleisneigung nicht wenden.
Fazit
Die Zweite Stammstrecke der Münchner S-Bahn ist ein Bahnprojekt wie es im Buche steht. Es bringt der Metropolregion München mehr und besseren Bahnverkehr durch mehr Gleise. Zwei Drittel der Nahverkehrsfahrgäste in Bayern fahren im Bereich der Münchner S-Bahn.
Es gibt ja Stuttgart 21-Kritiker, die die Zweite Stammstrecke der Münchner S-Bahn mit Stuttgart 21 in einen Topf werfen. Das ist falsch und schadet auch dem Widerstand und der Kritik an Stuttgart 21. Stuttgart 21 muss als das benannt werden, was es ist, nämlich eine einmalige Fehlplanung. Vergleiche mit anderen Bahnprojekten dergestalt, dass es weitere "Stuttgart 21" in Europa gibt, dürfen nicht stattfinden.