Landesverkehrsminister Hermann hat am 15.03.2023 ein Papier "Vorschlag eines Ausbaukonzeptes für den Eisenbahnknoten Stuttgart 2040" präsentiert.
Leider zeigt sich: Die falsche Richtung, in die die Eisenbahn in Stuttgart seit dem Projekt Stuttgart 21 fährt, wird mit dem heute präsentierten Papier fortgesetzt. Die Außenseiterposition Stuttgarts in Sachen Eisenbahn sowie Verkehr insgesamt wird weiter vertieft.
So falsch diese Richtung ist, so wenig kann man als durchschnittlicher Bürger dagegen noch unternehmen. Ich will die Präsentation des Papiers deshalb zum Anlass nehmen, bei diesem Blog "Der Stuttgart 21-Irrtum" mal eine Pause von unbestimmter Dauer einzulegen. So gern ich mich mit den verkehrlichen Themen in der Vergangenheit auch befasst habe, so muss man doch auch erkennen, ab wann eine solche Beschäftigung sinnlos wird. Man kann auch die Leute nicht zu ihrem Glück zwingen.
Das aber ist für mich kein Grund zur Wehmut. 98 Prozent meiner produktiven Zeit beschäftige ich mich mit dem Naturschutz und dem Gehen in der Natur, z.B. in der Region Stuttgart, im Schwarzwald, auf der Schwäbischen Alb, im Allgäu oder auf Mallorca. Das werde ich selbstverständlich fortsetzen und noch intensiver betreiben.
Allerdings sehen wir uns das von Verkehrsminister Hermann präsentierte Papier doch noch mal etwas näher an.
1. S-Bahn-Stammstrecke
Im Verlauf der S-Bahn-Stammstrecke sollen durch das neue Signalsystem ETCS nicht mehr nur 24 Züge pro Stunde und Richtung, sondern deren 30 fahren.
Das ist eine absolute Außenseiterregelung. Dort wo es diese hohe Zahl von 30 Zügen pro Richtung und Stunde heute gibt (z.B. in München) werden gigantische Maßnahmen ergriffen, diese Zahl zu reduzieren. Nur Stuttgart will den entgegengesetzten Weg gehen. Viel Spaß! Mit den angestrebten 30 Zügen pro Stunde und Richtung will man auf Teufel komm raus den Ergänzungsbahnhof beim Stuttgarter Hauptbahnhof verhindern, der auch für die S-Bahn eine wichtige Funktion hat und auch Bahnsteige für die S-Bahn aufweisen muss.
2. Deutschlandtakt
Im von Hermann präsentierten Papier kommt der Deutschlandtakt nur einmal vor, nämlich im Zusammenhang mit dem Nordzulauftunnel. Ein Nordzulauftunnel ist jedoch sinnlos, solange es im Stuttgarter Hauptbahnhof nicht wesentlich mehr Gleise gibt, z.B. in der Form eines ergänzenden Kopfbahnhofs. Stehen diese Gleise nicht zur Verfügung, sind die in einen Nordzulauf gesteckten Milliarden und die dadurch gewonnenen Fahrzeitverkürzungen sinnlos. Das fünfte und sechste Gleis des Nordzulaufs, das absolut notwendig ist, kann man auch ohne Nordzulauftunnel bauen.
Im Rahmen des Deutschlandtakts muss der Stuttgarter Hauptbahnhof zu einem ITF-Vollknoten werden. Voraussetzung dafür ist der Nordzulauftunnel und einige andere Maßnahmen, mit denen die Fahrzeit Mannheim - Stuttgart auf unter 30 Minuten reduziert wird. Für einen Vollknoten braucht man jedoch mindestens 16 Gleise im Stuttgarter Hauptbahnhof. Daraus folgt: Ohne 16 Gleise kein Vollknoten. Und ohne Vollknoten kein Nordzulauftunnel.
Es hätte eigentlich zu den wichtigsten und vornehmsten Aufgaben eines Landesverkehrsministers in BW gehört, für einen Vollknoten Stuttgart-Hauptbahnhof im Rahmen des Deutschlandtakts zu lobiieren. Davon war aber wenig zu hören.
3. Tangentiale Verkehre
Solche Bahnverkehre gibt es in den deutschen Städten so gut wie nicht. Und das aus gutem Grund. Das hält Herrmann nicht davon ab, eine ganze Latte von tangentialen Bahnverkehren in der Umgebung des Nordbahnhofs zu postulieren. Diese Verkehre werden - sollten sie tatsächlich umgesetzt werden - bei Finanzknappheit dann auch ganz schnell wieder eingestellt. Tangentiale Verkehre ziehen nur einen Bruchtal der Fahrgäste an, die radiale Verkehre aufweisen. Oder dienen die tangentialen Verkehre zukünftig dazu, den überlasteten Stuttgart 21-Minihauptbahnhof zu umfahren?
4. Pfaffensteigtunnel
Der längste Bahntunnel Deutschlands für ganz wenige Züge einer relativ wenig wichtigen Bahnstrecke (Gäubahn): Verkehrsminister Herrmann ist begeistert davon. Jahrzehntelang wollte man keinen Cent in die Gäubahn investieren. Erst wenn es darum geht, dass der Stuttgarter Talkessel auch partout gleisfrei werden soll, rollen plötzlich die Milliarden für die Gäubahn (= Pfaffensteigtunnel). Dass es mit den Grünen so weit kommen konnte, hätte man vor einigen Jahrzehnten nicht vermutet.
5. Regionalbahnhof Vaihingen
Das Land hat den Regionalbahnhof Vaihingen finanziert. Das Dumme ist nur: Dort hält fast kein Zug. Der Bahnhof wird vielleicht zukünftig von Bedeutung, wenn wegen der Sperrung der Gäubahn durch Stuttgart 21 dort Gäubahnzüge halten und wenden. Dann aber wäre dessen Finanzierung eine Sache der Bahn gewesen. Denn er ist eine Folge von Stuttgart 21, das ein eigenwirtschaftliches Projekt der Bahn ist. Das ist vielleicht eine Sache für den Rechnungshof und für das Recherche-Fernsehen.
6. Regionalbahnhof Merklingen
Das ist die wohl größte Schnapsidee von Herrmann. Der Regionalbahnhof Merklingen fördert das Fernpendeln und führt zu Neuverkehr, indem Bürgerinnen und Bürger von Ulm oder von Stuttgart auf die noch vergleichsweise billige Alb ziehen und dann täglich nach Ulm und Stuttgart fernpendeln. Dass in Zeiten der Klimakrise die Grünen so etwas zustandebringen, hätte man ebenfalls vor einiger Zeit noch nicht vermutet.
Fazit
Entweder haben Hermann und die Grünen noch ein Ass im Stuttgart 21-Ärmel, das zu gegebener Zeit gezogen wird. Oder wir haben es hier mit dem Totalversagen einer Partei und eines Verkehrsministers zu tun. Gerne sollten die Beteiligten dann über Konsequenzen nachdenken.