Freitag, 29. Dezember 2023

Hat Stuttgart eine U-Bahn oder eine Stadtbahn?

Gleich vorweg die Antwort: Stuttgart besitzt eine Stadtbahn und keine U-Bahn.

Trotzdem sprechen viele Fahrgäste in Stuttgart von einer U-Bahn. Selbst die Deutsche Bahn AG verwendet den Begriff U-Bahn auf Umleitungsschildern bei der Stuttgart 21-Baustelle. Der Grund für die falsche Bezeichnung ist in erster Linie darin begründet, dass bei der Stuttgarter Stadtbahn dem Liniennamen ein U vorangestellt ist, also z.B. U1, U2 usw.

Ich wollte über dieses Thema schon seit vielen Jahren hier in diesem Blog schreiben. Ich habe das Thema aber immer wieder verschoben, weil es vielleicht wichtigere Themen gab oder aber weil ich mich an das Thema nicht so richtig herantraute.

Jetzt bin ich aber in Zugzwang geraten. Denn in der Ausgabe 663 der Internetzeitung "KONTEXT-Wochenzeitung" vom 13.12.2023 hat eine Praktikantin aus Wien einen ausführlichen - absolut lesenswerten - Vergleich der Zustände im öffentlichen Verkehr in Wien und Stuttgart veröffentlicht. Stuttgart kommt nicht gut dabei weg. Und in diesem Bericht wird  tatsächlich auch das Paradoxon der Stuttgarter U-Bahn, die ja gar keine ist, angesprochen.

Also: Versuchen wir mal der Sache auf den Grund zu gehen.

Im Jahr 1975 hat der Gemeinderat der Landeshauptstadt Stuttgart dem Begriff "Stadtbahn" für das städtische öffentliche Verkehrsmittel zugestimmt. Ende der Achtziger Jahre hat die Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) den Buchstaben U vor der jeweiligen Liniennummer eingeführt.

Freitag, 22. Dezember 2023

Ist die P-Option eine weitere versteckte Unterstützung des Landes für Stuttgart 21?

Ende November 2023 wurde der Planfeststellungsbeschluss (= Baugenehmigung) für die sogenannte P-Option erlassen.

Die P-Option ist zwar nicht unmittelbar Bestandteil von Stuttgart 21. Sie wurde jedoch von Anfang an als eine mögliche Erweiterungsoption zu Stuttgart 21 genannt.

Was ist die P-Option?
Im Rahmen der P-Option zweigen nördlich der Tunnelrampe des Feuerbacher Tunnels beim Bahnhof Feuerbach zwei Gleise ab und werden durch den vorhandenen alten Pragtunnel geführt. Diese Gleise tauchen dann südlich des Pragtunnels ab und werden an den Cannstatter Tunnel von Stuttgart 21 angeschlossen. Der Cannstatter Tunnel ist die am wenigsten belastete unter den vier Zulaufstrecken zum Stuttgart 21-Hauptbahnhof.
 
Wie wird der Bau der P-Option finanziert?
Die Finanzierung der P-Option soll im Rahmen des Bundes-Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes  (GVFG) erfolgen. Das heißt, dass die P-Option weder im Rahmen des Stuttgart 21-Budgets noch als Projekt des Bundes finanziert werden soll. Vielmehr ist sie Bestandteil eines Bundesprogramms zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Städten und Gemeinden. Bei diesen Projekten muss stets auch der Nutznießer und Antragsteller (Land BW) einen Eigenanteil bezahlen. 

Im heutigen Post in diesem Blog gehen wir der Frage nach, ob die P-Option eine weitere versteckte Unterstützung des Landes für Stuttgart 21 ist.    

Zwei Themen sind im Rahmen der P-Option relevant. Das sind der Bau des Nordzulauftunnels und die Kapazitätssteigerung für die Nordzufahrt zum Bahnknoten Stuttgart.  
 
Der Nordzulauftunnel und die P-Option
Der Bund will im Rahmen seines Bedarfsplans für den Ausbau der Bundesschienenwege einen ca. 10 Kilometer langen Nordzulauftunnel beim Bahnknoten Stuttgart bauen. Der Nordzulauftunnel soll die Schnellfahrstrecke Mannheim - Stuttgart direkt mit dem Feuerbacher Tunnel von Stuttgart 21 verbinden.
 
Der Nordzulauftunnel ist einerseits zur Einrichtung des Deutschlandtakts erforderlich. Denn er verkürzt die Fahrzeit Mannheim - Stuttgart, so dass zusammen mit anderen Maßnahmen eine Fahrzeit Mannheim - Stuttgart von knapp unterhalb der Kantenzeit von 30 Minuten möglich wird. Damit kann sowohl in Mannheim als auch in Stuttgart ein 00/30er-Vollknoten im Rahmen des Deutschlandtakts eingerichtet werden.
 
Andererseits bringt der Nordzulauftunnel auch das aus Kapazitätsgründen wichtige fünfte und sechste Gleise für die Zufahrt Zuffenhausen (Nordzulauf).
 
Wegen des Nordzulauftunnels muss der Feuerbacher Tunnel wieder aufgerissen werden
Die Anbindung des Nordzulauftunnels an den Feuerbacher Tunnel wurde beim Bau des Feuerbacher Tunnels von Stuttgart 21 nicht berücksichtigt. Deshalb muss der Feuerbacher Tunnel zur Anbindung des Nordzulauftunnels über eine längere Zeit hinweg gesperrt werden. Damit wäre der Stuttgarter Hauptbahnhof über eine längere Zeit aus Richtung Norden nicht mehr erreichbar. Nur die P-Option - oder alternativ ein Ergänzungsbahnhof - sichert dann noch eine eingeschränkte Erreichbarkeit des Stuttgarter Hauptbahnhofs aus Richtung Norden.
 
Die P-Option ist also für den Bau des Nordzulauftunnels unabdingbar. Von daher ist die Finanzierung der P-Option entweder eine Sache des Bundes oder aber eine Sache des Stuttgart 21-Betreibers. Denn der Stuttgart 21-Betreiber hätte sich vor dem Bau des Feuerbacher Tunnels über eventuelle direkte Anbindungen der Schnellfahrstrecke Mannheim - Stuttgart an den Stuttgarter Hauptbahnhof Gedanken machen müssen und den Feuerbacher Tunnel entsprechend ausbauen müssen. Jedenfalls ist von daher eine (Teil-)Finanzierung der P-Option durch das Land BW sowie aus Geldern für den Regionalverkehr nicht oportun. Vielmehr kann das als weitere versteckte Subvention des Landes BW von Stuttgart 21 betrachtet werden.
 
Verbesserungen für den Regionalverkehr?
Die P-Option wird auch immer wieder als Ausbaumaßnahme für den Regionalverkehr betrachtet. Eines ist aber klar: Auch mit der P-Option stehen in der Zufahrt Zuffenhausen (Nordzulauf) nur zwei Gleise für den Fern- und Regionalverkehr zur Verfügung, konkret im Abschnitt zwischen dem Feuerbacher Bahnhof und der Verzweigung nördlich des Zuffenhauser Bahnhofs.
 
Wir haben hier in diesem Blog aber vielfach gesehen, dass eine zweigleisige Zufahrt zu einem großen Bahnknoten mit Mischverkehr von Fern-/Regionalzügen nicht mehr als 12 bis 13 Züge pro Stunde und Richtung verkraften kann. Stuttgart 21 sieht mehr als  diese 12 bis 13 Züge pro Stunde und Richtung im Nordzulauf vor und ist somit überlastet.  Die P-Option bringt also zunächst mal keine Verbesserung bei der Kapazität für die Regionalzüge.
 
Verbesserungen bei den Fahrstraßen im Stuttgarter Hauptbahnhof
Verbesserungen wird es durch die P-Option stattdesssen aber bei den Fahrstraßen im Stuttgart 21-Hauptbahnhof geben. Der Feuerbacher Tunnel und der Fildertunnel münden ja in die inneren Gleise des Stuttgart 21-Tiefbahnhofs. Der Cannstatter Tunnel und der Untertürkheimer Tunnel münden in die äußeren Gleise. Im Regionalverkehr werden zukünftig fast nur Innen-Innen-Verbindungen bzw. Außen-Außen-Verbindungen gefahren. Innen-Außen-Verbindungen und Außen-Innen-Verbindungen sind leistungshemmend, weil dadurch gleich zwei Fahrstraßen auf einmal blockiert werden. Durch die P-Option dockt der Nordzulauf nicht nur innen, sondern auch außen an den Stuttgart 21-Hauptbahnhof an. Damit können die Durchbindungen flexibler gestaltet werden (z.B. Ludwigsburg - Esslingen).

Trotzdem sind die durch die P-Option möglichen flexibleren Durchbindungen im Regionalverkehr keine Sache, die das Land BW finanzieren sollte. Denn Stuttgart 21 kam vor allem in der Anfangszeit mit dem Anspruch daher, die Kapazität des Stuttgarter Hauptbahnhofs verdoppeln zu wollen. Von daher ist die P-Option lediglich eine Maßnahme, mit der die Einschränkungen des Stuttgart 21-Tiefbahnhofs ein kleines Stück weit geheilt werden sollen. Die P-Option muss deshalb vom Stuttgart 21-Betreiber finanziert werden.
 
Gilt nun der Kostendeckel bei Stuttgart 21 für das Land BW oder gilt er nicht?
Der Landesverkehrsminster betont bei jeder Gelegenheit, dass der Kostendeckel von Stuttgart 21 für das Land gilt. Gleichzeitig finanziert er jedoch mit Landesmitteln zahlreiche Ergänzungsmaßnahmen zu Stuttgart 21, die eigentlich integraler Bestandteil des Projekts sein müssten. Dazu gehört auch die P-Option. Das gefällt wohl den Stuttgart 21-Protagonisten, die ja Stuttgart 21 in einer minimalistischen Version ausführen. Land und Bund stehen Gewehr bei Fuß, mit eigenen Mitteln die Defizite von Stuttgart 21 zu heilen. Warum kommt da vom Landtag in BW, vor allem auch von den Abgeordneten aus dem badischen Landesteil, kein Einspruch?
 
Der Ergänzungsbahnhof bringt die erforderliche Kapazitätssteigerung
Das Land BW sollte seine Regionalisierungsmittel und seine GVFG-Mittel in erster Linie für einen Ergänzungsbahnhof beim Stuttgart 21-Tiefbahnhof und dessen Zulaufstrecken investieren. Vor allem ist auch dafür zu sorgen, dass eine Zufahrt von Zuffenhausen zum Ergänzungsbahnhof nicht durch die P-Option verunmöglicht wird, dass also die P-Option und der Ergänzungsbahnhof nicht in Konkurrenz zueinander stehen.

Freitag, 15. Dezember 2023

Das Gäubahn-Desaster betrifft auch die Fahrtwünsche von Stuttgart Richtung Bodensee/Schweiz und zurück

Geht es nach den aktuellen Planungen, soll die Gäubahn nach einer ersten Teilinbetriebnahme von Stuttgart 21 auf unabsehbare Zeit nicht mehr den Stuttgarter Hauptbahnhof und Bahnknoten Stuttgart anfahren können.

In der Öffentlichkeit wird bisher fast nur über die Erschwernisse für die Fahrgäste mit Fahrtanfang entlang der Gäubahn diskutiert, die nicht mehr direkt zum Stuttgarter Hauptbahnhof fahren können. Eine andere, genauso wichtige Fahrgastgruppe wird jedoch bisher kaum genannt. Das sind die Fahrgäste, die in Stuttgart oder in der Region Stuttgart wohnen und zu Orten entlang der Gäubahn bzw. in den Schwarzwald bzw. zum Bodensee bzw. in die Schweiz fahren wollen. Dazu kommen die Fahrgäste, die irgendwo in Deutschland wohnen und im Stuttgarter Hauptbahnhof auf die Gäubahn umsteigen wollen. 

Damit wollen wir uns im heutigen Post in diesem Blog näher befassen.

Beginnen wir aber mit den Fahrgästen, die entlang der Gäubahn wohnen und die zum Bahnknoten Stuttgart alias Stuttgarter Hauptbahnhof fahren wollen.

Viele Bürgermeister von Orten entlang der Gäubahn haben sich ja für diese Fahrgäste in der Vergangenheit ein wenig eingesetzt. Sie haben allen möglichen Ideen wie z.B. einer Verlängerung der Stuttgarter S-Bahn nach Horb oder gar Rottweil oder einem Metropolexpress von Stuttgart-Vaihingen nach Rottweil zugestimmt.

Diese Vorschläge sind jedoch alle unbefriedigend. Und man fragt sich in diesem Zusammenhang, für was die Bürgermeister der Orte entlang der Gäubahn eigentlich gewählt wurden. Wurden sie gewählt, um für die Bürgerinnen und Bürger das Bestmögliche in Sachen Gäubahn herauszuholen, oder wurden sie gewählt, um in Stuttgart Immobilienprojekte zu fördern? Warum eigentlich haben die Bürgermeister der Orte entlang der Gäubahn einen solchen Bammel vor dem Projekt Stuttgart 21-Rosenstein? Sie schauen wie das Kaninchen auf die Schlange, wobei die Schlange in diesem Fall Stuttgart 21-Rosenstein ist.

Stuttgart 21-Rosenstein - der Koloss auf tönernen Füßen
Dabei ist Stuttgart 21-Rosenstein gar keine Schlange, sondern eher ein Koloss auf tönernen Füßen. Die Landeshauptstadt Stuttgart wird froh sein, wenn sie nur einen Teil von Stuttgart 21-Rosenstein bebauen muss und kann. Denn die Landeshauptstadt Stuttgart hat mit der Konvertierung von Bauflächen und von leerstehenden oder untergenutzten Gebäuden und Flächen im bestehenden Stadtgebiet mehr als genug zu tun. Da ist für Stuttgart 21-Rosenstein kein Platz und keine Zeit und kein Geld mehr da.

Es mag ja sein, dass die Bürgermeister der Orte entlang der Gäubahn keine rechtliche Handhabe für eine Beibehaltung der Führung der Gäubahn über die Stuttgarter Panoramastrecke in einen ergänzenden Kopfbahnhof haben. Ein geschlossenes, mächtiges diesbezügliches Votum der Bürgermeister könnte aber von der Politik nicht einfach ignoriert werden, auch vom immer unlustiger agierenden Landesverkehrsminister Hermann nicht.

Stuttgarter Gäubahnfahrgäste - keine Lobby
Aber kommen wir jetzt noch zu den Fahrgästen mit Wohnsitz in Stuttgart oder in der Region Stuttgart. 

Im Gegensatz zu den Fahrgästen in der Gegenrichtung der Gäubahn gibt es hier keinen Bürgermeister bzw. Oberbürgermeister, der wenigstens versucht, etwas für diese Fahrgäste zu tun. Allerdings bräuchte es solcher Bürgermeister oder Oberbürgermeister gar nicht, wenn Bund und Land ihre Aufgaben erledigen würden.

In Bezug auf das Land Baden-Württemberg wäre festzustellen, dass alle im Verlauf der Gäubahn fahrenden Züge eine Regionalzugnummer tragen. Damit ist das Land BW für alle Züge der Gäubahn zuständig bzw. hat wenigstens ein Mitspracherecht bei allen Zügen. Das Land legt fest, wer diese Regionalverkehrszüge betreibt. Das Land legt fest, wo diese Regionalverkehrszüge halten. Das Land legt fest, welche Fahrzeuge dort verkehren. Das Land legt den Fahrplantakt fest. Und in diesem Kontext legt selbstverständlich das Land auch fest, dass diese Züge weiterhin den Stuttgarter Hauptbahnhof anfahren. 

Der Bund ist insoweit beteiligt, als es sich bei der Gäubahn um eine Eisenbahnstrecke des  Bundes handelt. Ein einziger Satz aus dem Bundesverkehrsministerium würde genügen, damit der direkte Zugang der Gäubahn zum Stuttgarter Hauptbahnhof erhalten bleibt.

Das alles geschieht jedoch nicht. Jetzt warten alle auf das Gerichtsverfahren in Sachen Erhaltung des direkten Zugangs der Gäubahn zum Stuttgarter Hauptbahnhof, das die Deutsche Umwelthilfe DUH und der Landesnaturschutzverband LNV angestrengt haben. Peinlich und ärgerlich, dass NGOs das Versagen der Politik korrigieren müssen.   


Freitag, 8. Dezember 2023

Brüttener Tunnel in der Schweiz versus Gäubahn-Pfaffensteigtunnel - Ergebnis eindeutig

Zwei Tunnelprojekte mit ähnlicher Länge und Ausgestaltung. Aber was für Unterschiede! 

Heute vergleichen wir hier in diesem Blog den Brüttener Tunnel im Kanton Zürich mit dem Gäubahn-Pfaffensteigtunnel in der Region Stuttgart. 

Brüttener Tunnel
Der knapp neun Kilometer lange Brüttener Tunnel im Osten des Kantons Zürich soll die Fahrzeiten zwischen Zürich und Winterthur (- Ostschweiz) verkürzen sowie vor allem die Kapazität der Bahnstrecke Zürich - Winterthur massiv erhöhen.  
 
Gäubahn-Pfaffensteigtunnel
Der 11,2 Kilometer lange Gäubahn-Pfaffensteigtunnel soll die Gäubahn über den Stuttgarter Flughafen zum Hauptbahnhof führen. Gegenüber der Bestandsstrecke, die als Verbindung zum Hauptbahnhof aufgegeben werden soll, gibt es jedoch keine Kapazitätssteigerung und nur ganz wenig Fahrzeitgewinn. Der Gäubahn-Pfaffensteigtunnel ist der möglicherweise längste Eisenbahntunnel Deutschlands*.

*Es gibt inzwischen internationale Projekte wie Dresden - Prag, die noch längere Tunnel aufweisen.
 
Die Züge pro Stunde
Der Pfaffensteigtunnel wird nur von maximal drei Zügen pro Stunde und Richtung befahren werden. Ein weiterer Zug pro Stunde und Richtung der Gäubahn würde möglicherweise ohne Befahren des Pfaffensteigtunnels nach S-Vaihingen fahren. Güterverkehr wird es nicht geben. Wir haben beim Pfaffensteigtunnel somit sechs Züge pro Stunde und 114 Züge pro Tag (Betriebszeit angenommen 19 Stunden). Das ist für den längsten Eisenbahntunnel Deutschlands sehr wenig. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Mittelknappheit sowie in Anbetracht zahlreicher wichtigerer Tunnelbauprojekte in Deutschland steht somit hinter dem Bau des Pfaffensteigtunnels ein großes Fragezeichen. 

Die Kapazität der Strecke Zürich - Winterthur steigt mit Inbetriebnahme des Brüttener Tunnels von heute 670 Züge auf zukünftig 900 Züge pro Tag. Der Brüttener Tunnel ermöglicht somit 230 zusätzliche Züge pro Tag von Zürich in die Ostschweiz und zurück (S-Bahn, Regionalzüge, Fernzüge). Das ist wichtig, um den Viertelstundentakt bei wichtigen Linien einführen zu können. Der Brüttener Tunnel soll darüber hinaus jedoch die vollkommen überlastete Bestandsstrecke entlasten, indem er Züge von der Bestandsstrecke übernimmt. Somit wird der Brüttener Tunnel von 900 geteilt durch zwei gleich 450 Zügen pro Tag befahren werden. Bei einer täglichen Betriebszeit von 19 Stunden sind dies 23,7 Züge pro Stunde sowie 11,8 Züge pro Stunde und Richtung

Ganz kurzer Vergleich mit dem Feuerbacher Tunnel von Stuttgart 21
Wir haben hier in diesem Blog ja den Engpass Feuerbacher Tunnel von Stuttgart 21 vielfach thematisiert. Der Brüttener Tunnel bestätigt diese Kritik einmal mehr.
 
Konkret: Der Nordzulauf zum Stuttgarter Hauptbahnhof ist für 40 Prozent der Nachfrage nach Bahnverkehrsleistungen (ohne S-Bahn) zum/vom Bahnknoten Stuttgart zuständig. Der Nordzulauf weist heute nur zwei Gleise auf. Eine zweigleisige Bahnstrecke zu einem großen Bahnknotenpunkt leistet nirgendwo mehr als 12 - 13 Züge pro Stunde und Richtung. Der Nordzulauf ist bereits heute mit bis zu 13 Zügen pro Stunde und Richtung ausgelastet. Stuttgart 21 sieht für den Nordzulauf keine zusätzlichen Gleise vor, sondern legt die beiden Gleise lediglich in den Feuerbacher Tunnel. Stuttgart 21 sieht aber im Feuerbacher Tunnel teilweise mehr als 13 Züge pro Stunde und Richtung vor. Der Brüttener Tunnel mit seinen 12 Zügen pro Stunde und Richtung bestätigt einmal mehr, dass der Feuerbacher Tunnel ein großes, eines von vielen, Problemen von Stuttgart 21 ist.   
 
Die Politik
Der Pfaffensteigtunnel ist kein normales, über viele Jahre gereiftes Projekt eines Bedarfsplans, sondern ein Stuttgart 21-Reparaturprojekt und ein Gesichtswahrungsprojekt, nachdem sich herausgestellt hat, dass die ursprüngliche Planung einer Führung der Gäubahn über die Gleise der Flughafen-S-Bahn nicht umsetzbar ist.
 
Das sieht man auch daran, dass der Pfaffensteigtunnel quasi ein Seiteneinsteiger in die Bedarfspläne des Bundes ist und viele andere wichtigere Projekte dort schon wesentlich länger zu finden sind. Geht es nach der Propaganda, soll nun der Pfaffensteigtunnel all diese anderen, viel älteren und wichtigeren Projekte überholen und früher als diese in Bau gehen und eröffnet werden. Es ist kaum wahrscheinlich, dass die Politik mit dieser Trickserei durchkommt. Zudem würde ein eigentlicher Baubeschluss für diesen Tunnel erst mit einer neuen Regierung in der folgenden Legislatur erfolgen können. Die neuesten Änderungen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sind hier noch gar nicht berücksichtigt.
 
Die Zeitskala beim Brüttener Tunnel entspricht dagegen dem, was bei sonst allen Tunnels dieser Größenordnung in Deutschland und der Schweiz zu erwarten ist. Die Idee zum Tunnel stammt aus den 80er Jahren. Ein eigentlicher Baubeschluss erfolgte im Jahr 2019. Der Tunnel wurde in das Ausbauprogramm bis 2035 eingeordnet (in der Schweiz gibt es Ausbauprogramme für die Bahn, die jeweils 15 Jahre umfassen). Nach heutiger Planung ist die Fertigstellung des Tunnels bis Ende 2035 vorgesehen. Zwischen der Idee und der Inbetriebnahme des Tunnels vergehen somit ca. 50 Jahre. Das sind Zeiträume, wie sie auch bei langen Tunnels in Deutschland bekannt sind. Umso befremdlicher und realitätsferner erscheint hier der Pfaffensteigtunnel mit einem Zeitraum zwischen Idee (Bilgertunnel) und der anvisierten Inbetriebnahme 2032 von ca. 12 Jahren.
 
Integraler Taktfahrplan / Deutschlandtakt
Der Brüttener Tunnel ist enorm wichtig, um den Integralen Taktfahrplan auch in die Ostschweiz bringen zu können. Hierzu ist eine Fahrzeit von Zürich nach St. Gallen von weniger als einer Stunde erforderlich. Die entscheidenden Minuten Fahrzeitersparnis dazu bringt der Brüttener Tunnel. 

Auch beim Pfaffensteigtunnel wird immer wieder das Zauberwort Deutschlandtakt (= Integraler Taktfahrplan) verwendet. Das soll wohl die Kritik zum Verstummen bringen. Denn der Deutschlandtakt ist doch etwas Gutes. 

Bei genauerem Hinsehen ist der Pfaffensteigtunnel für den Deutschlandtakt jedoch nicht erforderlich. Hierbei muss man von einem Endzustand ausgehen, der eine Fahrzeit Mannheim-Stuttgart von knapp unter 30 Minuten beinhaltet. Damit kommen die Züge der Magistrale Mannheim - Stuttgart - München zu den Minuten 28 und 58 im Stuttgarter Hauptbahnhof an und fahren zu den Minuten 32 und 02 wieder ab (Mindestaufenthaltszeit 4 Minuten). Alle anderen Züge - auch die der Gäubahn - gruppieren sich darum herum. Sie kommen früher an und fahren später ab als die Züge der Magistrale. Bei einer Fahrzeit Stuttgart - Böblingen von 21 Minuten über die Bestandsstrecke kommen die Züge der Gäubahn zu den Minuten 52 und 22 im Stuttgarter Hauptbahnhof an und fahren dort zu den Minuten 08 und 38 ab. Das ermöglicht dann auch noch einen 00/30er Knoten in Böblingen. Zudem sind die Umsteigezeiten im Stuttgarter Hauptbahnhof (Stuttgart 21-Durchgangsbahnhof und Ergänzungsbahnhof) dann bestens.
 
Sind die Klagen von DUH und LNV gegen die Kappung der Gäubahn doch viel aussichtsreicher als vermutet?
Der aktuelle Aktionismus rund um den Pfaffensteigtunnel kann auch darauf hindeuten, dass in den Amtsstuben sehr wohl mit der Möglichkeit einer erfolgreichen Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und des Landesnaturschutzverbands (LNV) gegen eine Kappung der Gäubahn ab 2025 gerechnet wird. Dem sollen wohl jetzt die Planungsaktivitäten und der - kaum realistische - Inbetriebnahmezeitpunkt 2032 des Pfaffensteigtunnels entgegengesetzt werden.
 
Hoffen wir, dass der Pfaffensteigtunnel - wenn nicht bereits durch die großen bevorstehenden Änderungen als  Folge des Verfassungsgerichtsurteils - durch erfolgreiche Klagen der DUH und des LNV bald in das Archiv der gescheiterten Großprojekte befördert wird.


Freitag, 1. Dezember 2023

Frankfurt am Main: Distanzierung von Stuttgart 21

Das Projekt Stuttgart 21 taugt nicht als Vorbild, sondern allenfalls als Beispiel, wie man es nicht machen soll. Das zeigt auch die Diskussion um den Fernbahntunnel in Frankfurt am Main

So zitiert die Zeitung Frankfurter Allgemeine in einem Artikel vom 22.11.2023 den Projektleiter der Bahn für den Fernbahntunnel in Frankfurt am Main, der bei einer Pressekonferenz am 20.11.2023 das Projekt Stuttgart 21 als Vergleich heranzog.

Das Hauptziel des Fernbahntunnels in Frankfurt am Main sei es, die Kapazitäten der Schienenstrecken zu erhöhen. In Frankfurt bliebe, anders als bei Stuttgart 21, der Hauptbahnhof erhalten. Es kommen sogar vier neue unterirdische Haltepositionen hinzu. Der Frankfurter Hauptbahnhof hat dann 29 Bahnsteiggleise.

Ähnliche Äußerungen in Richtung Stuttgart 21 gab es in Frankfurt und Hessen auch schon von verschiedener politischer Seite.

Gemäß den Angaben der Bahn sind die zusätzlichen Gleise notwendig, um die Zahl der Züge pro Tag im Frankfurter Hauptbahnhof von heute 1.400 auf zukünftig 1.800 steigern zu können.

Man kann noch hinzufügen, dass das Modell Stuttgart 21 nirgendwo in Europa kopiert wird. Das Modell Stuttgart 21 besteht ja darin, dass alle oberirdischen Gleisanlagen bei einem Hauptbahnhof aufgegeben werden und durch einen unterirdischen Engpass ersetzt werden. Wegen des um 90 Grad gedrehten Hauptbahnhofs müssen auch alle Zulaufstrecken teuer im Tunnel neugebaut werden.

Viele Städte in Europa haben ihre Bahn bereits ausgebaut oder wollen dies noch tun. Keine einzige Stadt kopiert Stuttgart 21. Statt dessen ähneln sich die Ausbauprojekte vieler Städte in Europa. Der Bestand der Bahnanlagen bleibt großteils erhalten. Es kommen dann neue Bahnsteiggleise und neue Zulaufgleise hinzu. Vielfach entsteht dadurch eine Kombilösung. Das kann in der Form sein, dass zusätzlich zum bestehenden Hauptbahnhof eine Durchmesserlinie gebaut wird. Beispiele dafür in der Umgebung von Stuttgart sind Frankfurt, München und Zürich.

Ziel in Stuttgart muss es nun sein, dass zusätzlich zum achtgleisigen Stuttgart 21-Tiefbahnhof ein Kopfbahnhof erhalten bleibt. Damit hätte auch Stuttgart - wenngleich mit kostspieligen Um- und Irrwegen - ebenfalls seine Kombilösung bekommen.