Freitag, 29. September 2023

Die neue 300 km/h-ICE-Strecke Berlin - Halle - Erfurt - Würzburg - Stuttgart - Zürich - Mailand und die Auswirkungen auf Stuttgart 21

Im Rahmen des European Green Deal haben mehrere europäische Bahnen eine Anzahl neuer 300 km/h-Hochgeschwindigkeitsstrecken durch Europa vorgeschagen.

Stuttgart ist beim European Green Deal auch dabei
Ziel dieser neuen Bahnstrecken soll sein, den Flugverkehr in Europa stark zu reduzieren. Unter den neuen 300 km/h-Hochgeschwindigkeitsstrecken gibt es auch eine Strecke, die Stuttgart betrifft. Der Neubauteil dieser neuen ICE-Verbindung beginnt südlich von Erfurt und verläuft über Würzburg und Stuttgart nach Zürich. Diese neue ICE-Strecke kann man auch in einen größeren Rahmen einbinden. Das wäre dann z.B.: Warschau - Berlin - Halle - Erfurt - Würzburg - Stuttgart - Zürich - Mailand - Genua.

Wir sehen uns heute hier in diesem Blog die neue, vorgeschlagene 300 km/h-ICE-Strecke im Zusammenhang mit Stuttgart und Stuttgart 21 näher an.

Das Ganze steht ja erst am Anfang. Vieles ist noch nicht klar. Das aber ist gerade ein ganz wichtiger Moment, um verschiedene Pflöcke einzuschlagen und die Sache gleich ganz am Anfang in die richtige Richtung zu lenken - auch vor dem Hintergrund des noch laufenden Projekts Stuttgart 21.  

Wo soll der 300 km/h-ICE in der Region Stuttgart halten?
Hierzu gibt es eine ganz klare Antwort. Der 300 km/h-ICE hält in der Region Stuttgart nur einmal. Dieses Einmal meint den Stuttgarter Hauptbahnhof. 
 
Man baut nicht eine 300 km/h Strecke und lässt dann den ICE zweimal oder mehrmals in einer Region halten. Das wäre ein Widerspruch. Mit einem zweimaligen Halt pro Region könnte der 300 km/h-ICE dem Luftverkehr keine Konkurrenz machen. Leider ist zu erwarten, dass - wie auch bei Stuttgart 21 - von Lokalpolitikern Wünsche nach weiteren ICE-Halten geäußert werden. Dem ist gleich von Anfang an entschieden entgegenzutreten.
 
Soll die neue Schnellfahrstrecke Erfurt - Würzburg - Stuttgart - Zürich über den Stuttgarter Flughafen führen?
Die Antwort lautet auch hier ganz klar: Nein! Ein Fehler wie bei Stuttgart 21 darf sich nicht wiederholen. Bei Stuttgart 21 wollte man, dass der ICE Mannheim - Stuttgart - Ulm am Stuttgarter Flughafen hält. Hierzu leitete man die "Magistrale" Mannheim - Stuttgart - Ulm zum  Stuttgarter Flughafen um. Obwohl nach jetzigem Kenntnisstand nur ganz wenige ICE am Stuttgarter Flughafen halten werden, müssen zukünftig alle ICE den Umweg über den Flughafen machen. 
 
Der neue 300 km/h-ICE der Relation Erfurt - Würzburg - Stuttgart - Zürich darf weder am Flughafen halten noch über den Flughafen Stuttgart umgeleitet werden.
 
Sollen die Züge der neuen Schnellfahrstrecke in Heilbronn halten?
Hier lautet die Antwort ebenfalls: Nein. Das mag etwas drastisch klingen und könnte - falsch verstanden - in Heilbronn zu Protesten führen. Nun gehört aber Heilbronn zur Metropolregion Stuttgart (nicht zu verwechseln mit der Region Stuttgart). Um mit dem Flugverkehr konkurrenzfähig zu sein, darf der 300 km/h-ICE in jeder Metropolregion nur einmal halten. Und das ist nun mal in der Metropolregion Stuttgart der Stuttgarter Hauptbahnhof.
 
Allerdings profitieren die Bürgerinnen und Bürger der Region Heilbronn trotzdem vom neuen 300 km/h-ICE und von der neuen Schnellfahrstrecke Erfurt - Würzburg - Stuttgart - Zürich. Bei einer Reise in nördliche Richtung ab Heilbronn fährt man zunächst mal wie bisher nach Würzburg und steigt dann dort in den neuen 300 km/h-ICE um. Bei einer Reise in südliche Richtung ab Heilbronn fährt man zunächst mal wie bisher nach Stuttgart und steigt dann dort in den neuen 300 km/h-ICE um.
 
Kann die neue 300 km/h-Strecke noch einige 200 km/h-Züge zusätzlich aufnehmen?
Das muss man in der Tat ganz genau prüfen. Die 300 km/h-Züge dürfen durch die auf demselben Gleis fahrenden 200 km/h-Züge nicht behindert werden. Mit den 200 km/h-Zügen wäre es theoretisch möglich, dass auch Regionen/Bahnhöfe wie Heilbronn, Rottweil oder Singen/Konstanz bessere Anbindungen bekommen. Hierzu müsste man allerdings eine Ausfädelung/Einfädelung aus der und in die 300 km/h-Strecke bauen. Diese Aus-/Einfädelungen sind oft aufwändig und teuer. Sie lohnen sich nur, wenn ein ausreichendes Fahrgastpotenzial vorhanden ist.       
 
Passt der neue 300 km/h-ICE in den achtgleisigen Stuttgart 21-Tiefbahnhof?
Ja, der 300 km/h-ICE Würzburg - Stuttgart - Zürich passt in den achtgleisigen Stuttgart 21-Tiefbahnhof, wenn von dort eine Reihe von Regionalzügen herausgenommen und in den Ergänzungsbahnhof geführt wird.
 
Nennen wir mal konkrete Zahlen. Wird ein Halbstundentakt unterstellt, werden vier ICE-Züge pro Stunde der Relation Würzburg - Stuttgart - Zürich zusätzlich in den Stuttgart 21-Tiefbahnhof geführt. Es müssen nun mehr als vier Regionalzüge pro Stunde zusätzlich aus dem Stuttgart 21-Tiefbahnhof herausgenommen werden. Überschläglich müssen acht Regionalzüge pro Stunde zusätzlich aus dem Stuttgart 21-Tiefbahnhof herausgenommen werden. Das hat etwas mit den hohen Pünktlichkeitsanforderungen an den 300 km/h-ICE zu tun. Vor der planmäßigen Einfahrt dieses Zuges muss eine größere Zeitlücke liegen, in der kein vorhergehender Regionalzug diesen ICE ausbremsen kann.
 
Letztendlich läuft es beim Bahnknoten Stuttgart mit den 300 km/h-ICE auf die vor dem Jahr 1994 aktuellen Planungen eines Kombibahnhofs hinaus, wie er ja z.B. in Zürich und Frankfurt umgesetzt wurde bzw. wird. Im achtgleisigen Tiefbahnhof in Stuttgart verkehren dann alle ICE, die IC sowie ganz wenige ausgewählte IRE. Der Großteil der Regionalzüge wird im Ergänzungsbahnhof (= Kopfbahnhof) verkehren. 
 
Warum muss der Pfaffensteigtunnel vor dem Hintergrund des neuen 300 km/h-ICE sofort gestoppt werden?
Der Pfaffensteigtunnel passt nicht zum neuen 300 km/h-ICE Würzburg - Stuttgart - Zürich. Mit dem Pfaffensteigtunnel wird die Gäubahn und damit der zukünftige 300 km/h-ICE zu einer Umleitung über den Flughafen gezwungen. Mehr noch - beim Flughafen würde der 300 km/h-ICE auch noch zu einer 180 Grad-Kurve gezwungen, die mit nur ca. 70 km/h befahrbar ist. Das passt nicht zusammen. Das geht nichht.
 
Das Gebot der Stunde ist deshalb der sofortige Planungsstopp für den Pfaffensteigtunnel und der Neustart der Planung im Rahmen des 300 km/h-ICE Würzburg - Stuttgart - Zürich. An Stelle des Pfaffensteigtunnels muss ein direkter Tunnel vom Hauptbahnhof (Fildertunnel) in den Raum Böblingen gebaut werden.
 
Wie passt der neue 300 km/h-ICE in den Integralen Taktfahrplan (Deutschlandtakt)
Der neue 300 km/h-ICE passt überschläglich betrachtet sehr gut in den Deutschlandtakt.
 
Die Luftlinie zwischen dem Stuttgarter Hauptbahnhof und dem Würzburger Hauptbahnhof ist ungefähr 127 Kilometer lang. Damit ist es mit Hilfe einer Schnellfahrstrecke gut möglich, eine Kantenzeit von 60 Minuten zwischen Stuttgart und Würzburg einzurichten. Die Fahrzeit zwischen Stuttgart und Würzburg mit dem neuen ICE wäre dann ca. 10 Minuten kürzer als die Kantenzeit, somit also 50 Minuten. Heute beträgt die Fahrzeit einiges über zwei Stunden.
 
Die Luftlinie zwischen dem Stuttgarter Hauptbahnhof und dem Zürcher Hauptbahnhof ist ungefähr 163 Kilometer lang. Analog der Strecke nach Würzburg kann man auch in der Relation Stuttgart - Zürich mit Hilfe einer Schnellfahrstrecke den Integralen Taktfahrplan (Deutschlandtakt) mit ca. 50 Minuten Fahrzeit berücksichtigen. Heute beträgt die Fahrzeit weit über zwei Stunden.
 
Wie wird die neue ICE-Strecke Würzburg - Zürich an den Stuttgarter Hauptbahnhof angebunden?
Jetzt kommen wir doch noch schnurstracks zu Stuttgart 21. Da werden voraussichtlich über 11 Milliarden Euro ausgegeben, um einen neuen unterirdischen Engpass zu schaffen, der ohne Ergänzungsbahnhof nicht erweiterbar ist und der auch nicht in genügendem Umfang auf solche neuen Entwicklungen wie den Deutschlandtakt oder die neue 300 km/h-ICE-Strecke Würzburg - Stuttgart - Zürich reagieren kann.
 
Wir haben hier einen Jahrhundert-Planungsfehler vorliegen. Klar ist aber: Der neue 300 km/h-ICE muss in den Stuttgart 21-Tiefbahnhof fahren. Hierzu müssen zunächst einige Regionalzüge aus dem Tiefbahnhof herausgenommen und in den Ergänzungsbahnhof migriert werden.
 
Dann wäre es gut, wenn der 300 km/h-ICE eigene Zulaufgleise zum Stuttgart 21-Hauptbahnhof hätte. Genau das aber wird wohl nicht mehr möglich sein. Aus und in Richtung Norden muss der 300 km/h-ICE deshalb in den Nordzulauftunnel ein- bzw. von dort ausgeschleift werden. Aus und in Richtung Süden muss der 300 km/h-ICE irgendwie in den Fildertunnel ein- bzw. von dort ausgeschleift werden. Das wirkt sich selbstverständlich negativ auf die zeitlich zu staffelnde Ankunft und Abfahrt der verschiedenen ICEs aus. Aber das Jahrhundertprojekt Stuttgart 21 wird tatsächlich über einen Zeitraum von hundert Jahren seine negativen Folgen haben.             


Mittwoch, 20. September 2023

Gäubahn-Dramatik bei Stuttgart 21: Wer trägt die Verantwortung?

Trotz der Investition von wahrscheinlich über 11 Milliarden Euro in das Projekt Stuttgart 21 und über zehnjähriger Bauzeit mit massiven Einschränkungen für die Fahrgäste kann die Gäubahn ab einer ersten Teilinbetriebnahme des Projekts nicht mehr wie gewohnt verkehren und muss betriebliche Erschwernisse bis zur streckenweisen Stilllegung in Kauf nehmen.

Wer trägt die Verantwortung für dieses Desaster?

Ist es das Verkehrsministerium Baden-Württemberg?
Es fällt auf, dass zur Thematik und Problematik der Gäubahn vom Landesverkehrsministerium wenig bis gar nichts kommt. In der Öffentlichkeit präsent ist vor allem eine sogenannte Interessengemeinschaft Gäubahn. Auch die Kommunen entlang der Gäubahn sind präsent, indem sie Meinungen verbreiten und Gutachten anfertigen lassen. 
 
Normal wäre, dass das Landesverkehrsministerium die Federführung in Sachen Gäubahn übernimmt und in der Öffentlichkeit auch diesbezüglich wahrgenommen wird. Denn die Gäubahn ist in erster Linie Regionalverkehr, also Verkehr in der Zuständigkeit des Landes. Die heute im Verlauf der Gäubahn verkehrenden Fernzüge werden nur als Folge des Zuschusses des Landes Baden-Württemberg gefahren.
 
Das Land hätte also rechtzeitig, bevor sich das Gäubahndesaster abzeichnete, Maßnahmen ergreifen müssen. Das Land hätte den Ergänzungsbahnhof schon vor Jahren anstoßen müssen. Das Land hätte zusammen mit der Bahn rechtzeitig Vereinbarungen treffen müssen, um die Gleise, Weichen, Zugsicherungsanlagen, Bahnsteige, Bahnhöfe, Brücken und Tunnel für die dauerhafte Einführung der Gäubahn in einen Ergänzungsbahnhof beim Stuttgarter Hauptbahnhof zu gewährleisten.
 
Auf der Website des Landesverkehrsministeriums wird an prominenter Stelle auf das Ziel einer Verdoppelung der Fahrgastzahlen im ÖPNV bis 2030 hingewiesen. Zumindest für die Gäubahn und deren Umgebung wird dieses Ziel mit großer Wahrscheinlichkeit nicht einmal ansatzweise erreicht werden, wenn die Gäubahn nicht mehr zum Stuttgarter Hauptbahnhof fahren kann. Das Land sollte zugeben, dass die Verkehrsverlagerungsziele grandios gescheitert sind.  
 
Nutzen sich Rücktrittsforderungen mit der Zeit ab?
Mir ist klar, dass sich Rücktrittsforderungen mit der Zeit abnutzen. Insofern kann ich es mir eigentlich sparen, noch einmal den Rücktritt von Landesverkehrsminister Hermann zu fordern. Fällig wäre der Rücktritt allerdings.
 
Hermann hat nicht nur den im Koalitionsvertrag verankerten Ergänzungsbahnhof beim Stuttgarter Hauptbahnhof wieder falllengelassen. Er hat dadurch auch den Koalitionspartner CDU düpiert. Die CDU hätte den Ergänzungsbahnhof mitgetragen. Die CDU wird sich in Zukunft zweimal überlegen, ob sie mit Hermann noch Vereinbarungen abschließen kann.
 
Und schon nimmt sich die CDU Hermann zum Vorbild und fühlt sich selbst nicht mehr an bestimmte Inhalte des Koalitionsvertrags gebunden. So kommt jetzt Landwirtschaftsminister Haug mit seiner Nationalpark-Phobie wieder an die Öffentlichkeit. Obwohl im Koalitionsvertrag vereinbart, wehrt sich Haug nun gegen die Erweiterung des Nationalparks. Dieser Mann hat augenscheinlich nie seinen Frieden mit dem Nationalpark oder dem Thema Wildnis geschlossen. Jetzt scheint es für Haug günstig zu sein, das Thema in seinem Sinne wiederaufzunehmen.
 
Ich hätte noch einen Tip für die CDU, obwohl die CDU bestimmt nicht auf meine Tips wartet. Die CDU sollte vor den Wahlen eine Koalition mit den GRÜNEN explizit ausschließen. Dadurch könnte die CDU fünf bis zehn Prozentpunkte mehr Stimmen erhalten. Viele Menschen wählen ja heutzutage deshalb nicht mehr die CDU, weil sie fürchten, dass im Falle einer Koalition mit den GRÜNEN die Programmpunkte der CDU wieder verwässert werden.
 
Ist die Bahn verantwortlich für das Gäubahndesaster?
Das hängt davon ab, welche Rolle die Bahn aus ihrer eigenen Sicht spielen will. Ist die Bahn in erster Linie ein Projektentwickler, der seinen Erfolg an der Zahl der durchgeschleusten Milliarden misst? Oder ist die Bahn doch eher ein Verkehrsdienstleister, dessen Aufgabe es ist, einen möglichst attraktiven Bahnverkehr für möglichst viele Fahrgäste zu betreiben?
 
Träfe das Letztere zu, hätte auch die Bahn - wie das Land BW - frühzeitig eine dauerhafte Führung der Gäubahn in den Stuttgarter Hauptbahnhof planen und abstimmen müssen. Sofern dies nicht erfolgt ist, wären auch bei der Bahn - wie beim Land BW - personelle Konsequenzen angebracht. 
 
Trägt die Bevölkerung entlang der Gäubahn die Verantwortung?
Es geht hier um die Landkreise Konstanz, Tuttlingen, Rottweil und Freudenstadt. Das sind ländlich strukturierte Gebiete. Viele Menschen dort fahren nicht mit der Bahn. Bei der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 gab es in allen vier Landkreisen eine Mehrheit für ein Nein, also gegen einen Ausstieg des Landes BW aus dem Projekt. Das ist absolut zu respektieren. Es darf keine Wählerschelte geben.
 
Interessanter ist aber, dass die Nichtwähler die eigentliche Mehrheit bildeten. Es war der Mehrheit der Wahlberechtigten also egal, ob das Land seine Beteiligung an Stuttgart 21 stopppt und ca.  eine Milliarde Euro spart. Nun muss man allerdings sehen, dass z.B. der Landeshaushalt von BW in den Jahren 2023/24 ein Volumen von 124 Milliarden Euro aufweist. Da relativiert sich die eine Milliarde für Stuttgart 21. Und es kann nicht zu jeder Milliarde im Landeshaushalt eine Volksabstimmung stattfinden.
 
Verantwortlich ist also nicht die Bevölkerung entlang der Gäubahn, sondern die Politik, die ein strittiges Sachthema der Bevölkerung vor die Haustür gekippt hat. Schlechte Politik - damals zur Zeit der Volksabstimmung und auch heute in Zeiten des Gäubahn-Desasters.              

Freitag, 15. September 2023

Haben die "Badenfrage" und Stuttgart 21-Rosenstein etwas miteinander zu tun?

Die "Badenfrage" könnte - zusammen mit zahlreichen anderen Umständen - dazu führen, dass das Konversionsprojekt Stuttgart 21-Rosenstein nicht oder nur eingeschränkt umgesetzt werden kann.

Das sehen wir uns heute hier in diesem Blog näher an.

Zunächst mal: Was versteht man unter der Badenfrage? Die Deutsche Digitale Bibliothek definiert die Badenfrage wie folgt: "Baden-Württembergische Eifersüchteleien. Die Badener fühlen sich benachteiligt und fürchten, daß die regionalen Entwicklungschancen durch das Stuttgarter Übergewicht behindert werden". 

Nach Ansicht von Ministerpräsident Kretschmann gibt es die Badenfrage heute nicht mehr. Vor einigen Monaten äußerte er sich sinngemäß so, dass es keine Württemberger und Württembergerinnen bzw. Badener und Badenerinnen, sondern nur Baden-Württemberger und Baden-Württembergerinnen gibt.

Freitag, 8. September 2023

Wird bei Stuttgart 21 die Zahl 2026 langsam salonfähig?

Gemäß einer Pressemitteilung der Landeshauptstadt Stuttgart vom 02.08.2023 bleibt ein bestimmter Bauzustand der Verlängerung der Unterfahrung der B 14 am Gebhard-Müller-Platz voraussichtlich bis Beginn 2026 eingerichtet.

Da ist also zum ersten Mal die Jahreszahl 2026 im Umfeld von Stuttgart 21.

Denn die Verlängerung der Unterfahrung der B 14 am Gebhard-Müller-Platz ist ein unmittelbar mit Stuttgart 21 verbundenes Projekt. Ohne Stuttgart 21 gäbe es diese Verlängerung nicht. Die Verlängerung der Unterfahrung der B 14 am Gebhard-Müller-Platz ist erforderlich, damit die am Südende des Stuttgart 21-Tiefbahnhofs zum Bahnhof gehenden bzw. von dort kommenden Fahrgäste die Willy-Brandt-Straße überqueren können. Ohne die Verlängerung der Unterfahrung der B 14 stünden diese Fahrgäste vor einer unüberwindlichen Tunnelrampe. 

Die Kosten für die Verlängerung der Unterführung von fast 50 Mio. Euro (Preisstand 2020) trägt die Landeshauptstadt Stuttgart, obwohl dieses Bauvorhaben mit Stuttgart 21 unmittelbar zusammenhängt. Damit hat man im Budget von Stuttgart 21 schon einmal ca. 50 Mio. Euro gespart. Und es bleibt spannend, wann denn dann mal der tatsächliche Fertigstellungstermin der Unterführung sein wird.

Freitag, 1. September 2023

Die Stuttgarter S-Bahn zwischen Stuttgart 21, Metropolexpress und Fahrpersonalmangel

Wie jede Marke muss sich auch die Stuttgarter S-Bahn immer wieder neu positionieren und an die geänderten Randbedingungen anpassen.

Das gilt vor allem für die heutige Zeit, die durch epochale Änderungen gekennzeichnet ist. Zudem ist die Stuttgarter S-Bahn vom in der Geschichte der Bahn bisher umstrittensten Bahnprojekt - Stuttgart 21 - unmittelbar betroffen.

Das sehen wir uns im heutigen Post in diesem Blog mal ein wenig näher an. 

Fahrpersonalmangel
Auch die Stuttgarter S-Bahn ist im Jahr 2023 von temporären Streckenstillegungen und Taktausdünnungen wegen Streckensanierungen und wegen der Vorbereitung eines neuen Zugsicherungssystems betroffen. Das könnte jedoch - wie auch bei den Regionalzügen des Landes BW - ein anderes Problem zunächst mal verdecken, das sich möglicherweise bald dauerhaft einstellt. Das ist der Fahrpersonalmangel. Neben einigen anderen Gründen dürfte somit auch der potenzielle Fahrpersonalmangel dazu führen, dass es bei der Stuttgarter S-Bahn keine Taktverdichtungen über den 15 Minuten-Takt hinaus  geben wird und sich alle Anstrengungen auf die Sicherstellung des 15 Minuten-Takts konzentrieren müssen.

Fahrerloser Betrieb
Dieses Thema können wir hier mangels Detailkenntnissen nicht behandeln. Es ist unklar, ob in der Zukunft die Stuttgarter S-Bahn fahrerlos fahren kann und somit der Fahrpersonalmangel behoben werden kann. 

Taktverdichtungen
Auch wenn das neue Zugsicherungssystem ETCS immer wieder dazu verleitet, sich in Taktverdichtungs-Phantasien zu begeben, muss ganz klar gesagt werden, dass bei der Stuttgarter S-Bahn kein Spielraum über den zur Zeit gefahrenen 15 Minuten-Takt pro Linie hinaus besteht.
 
ETCS kann - wenn es denn tatsächlich etwas bewirkt - zum Abbau von Verspätungen eingesetzt werden - mehr aber auch nicht. Dann dürfte der latente Fahrpersonalmangel Taktverdichtungen ebenfalls einen Strich durch die Rechnung machen.
 
Als drittes steht der Mischbetrieb S-Bahn - Regional-/Fernbahn auf einigen Außenästen der Stuttgarter S-Bahn einer Taktverdichtung im Wege. Z.B. kann im Verlauf der Remsbahn Fellbach - Schorndorf zwischen den 15 Minuten-Takt der S2 gerade mal ein Regionalzug oder Fernzug geschoben werden. Und hier bereits gibt es immer wieder Situationen, dass der Regionalzug hinter einer S-Bahn herbummeln muss. Die Fahrzeiten für die Regional- und Fernzüge sind auf dieser Strecke bereits länger vorgegeben als eigentlich möglich.
 
Ein Mischbetrieb bei der S-Bahn mit 15 Minuten-Takt und 10 Minuten-Takt geht dar nicht. Das würde im Verlauf der Stammstrecke zu riesigen Behinderungen führen. 
    
Längere Züge
Längere Züge als die heute aus drei gekuppelten Triebwagen von je 68,3 bzw. 67,4 Metern Länge bestehenden Züge können nicht eingesetzt werden. Hierzu müssten die unterirdischen Haltepunkte der Stammstrecke verlängert werden. Das ist aus städtebaulichen und finanziellen Gründen unmöglich. 
 
Doppelstockzüge
Doppelstockzüge können bei der Stuttgarter S-Bahn nicht zum Einsatz kommen. Doppelstockzüge haben wesentlich weniger Türen als einstöckige Züge und wesentlich mehr ein- und aussteigende Fahrgäste pro Tür als einstöckige Züge. Das würde zu einer wesentlich längeren Aufenthaltszeit an den Haltepunkten der Stammstrecke führen. Der 15 Minuten-Takt könnte dann nicht mehr gehalten werden. 
 
Neue S-Bahnzüge
Nach dem Vorbild der Münchner S-Bahn gibt es auch für die Stuttgarter S-Bahn die Möglichkeit, neue S-Bahnfahrzeuge zu bestellen, die so lang sind wie bisher die aus drei gekupppelten Fahrzeugen bestehenden Züge, also 200 bis 210 Meter. Diese Züge können mehr Fahrgäste aufnehmen als die bisherige Zugkonfiguration. Denn bei diesen Zügen kann auf zwei Kupplungsstellen und vier Führerstände verzichtet werden. Diese Bereiche stehen zukünftig den Fahrgästen zur Verfügung. Damit ergibt sich eine Kapazitätsausweitung von fünf bis zehn Prozent gegenüber der bisherigen Konfiguration.
 
In der Tat ist dies die einzige Möglichkeit für die Stuttgarter S-Bahn, die Kapazität zu steigern. Sie sollte deshalb genutzt werden.
 
Metropolexpress (MEX)
Die Zusammenarbeit zwischen den für die Stuttgarter S-Bahn und für den MEX zuständigen Stellen muss zukünftig intensiviert werden. Denn wir haben ja in den vorhergegangenen Posts in diesem Blog gesehen, dass der Metropolexpress in der Tat noch Kapazitätsreserven hat. Das gilt in der Form möglicher längerer Züge. Dafür ist allerdings über den Umweg des Wegfalls der Doppelbelegungen im Hauptbahnhof ein Ergänzungsbahnhof erforderlich.
 
Der MEX kann zukünftig auf bestimmten Relationen (z.B. Esslingen am Neckar - S-Hauptbahnhof) der S-Bahn Fahrgäste wegnehmen. Damit wird die S-Bahn entlastet. Sie kann dann in der Folge auf ihren exklusiven Relationen (z.B. Obertürkheim - S-Stadtmitte) zusätzliche Fahrgäste aufnehmen.
 
Nach wie vor geprüft werden sollte eine "Wiedervereinigung" des Nahverkehrs in BW, indem die Zuständigkeit für die Stuttgarter S-Bahn zu den beim Land für den Nahverkehr zuständigen Stellen zurückwandert.

Zweite Stammstrecke
Es ist müßig, das noch einmal zu wiederholen: Aber ohne das Projekt Stuttgart 21 hätte man wohl intensiver über eine zweite Stammstrecke für die Stuttgarter S-Bahn diskutiert und möglicherweise sogar die Umsetzung eines solchen Projekts in die Wege geleitet. Hier in diesem Blog haben wir das bereits mehrfach thematisiert. Das Ergebnis war, dass eine Zweite Stammstrecke so verlaufen müsste, dass sie den Kardinalfehler der Ersten Stammstrecke heilt. Und der wäre: Die beiden Hauptzufahrten zum Stuttgarter Hauptbahnhof werden nicht direkt miteinander verbunden. Das ergäbe dann einen Streckenverlauf für die Zweite Stammstrecke wie folgt: Bad Cannstatt - Hauptbahnhof - Hegelplatz - Kräherwald - Feuerbach - Zuffenhausen.
 
Aber noch einmal: Das geht jetzt nicht mehr. Tangentiale Strecken, wie sie immer wieder herumgeistern, sind keine Zweite Stammstrecke. Eine Zweite Stammstrecke ist nur dann eine Stammstrecke, wenn sie den Hauptbahnhof und/oder die Innenstadt anfährt.
 
Tangentialstrecken
Neue Tangentialstrecken für die S-Bahn können wegen des hier besprochenen Hauptthemas des Personalmangels nicht mehr eröffnet werden. Alle Kräfte müssen sich darauf konzentrieren, dass die Radialstrecken funktionieren.

Unabhängig vom Thema des Personalmangels sollte man von Tangentiallinien jedoch grundsätzliich abraten. Tangentiallinien haben wesentlich weniger Fahrgäste als Radiallinien. Sie können deshalb nur in einem größeren Takt als die Radiallinien betrieben werden, was sie unattraktiv macht. In dichtem Takt verkehrende Radiallinien können auch die Fahrtwünsche der tangential fahrenden Fahrgäste gut erfüllen. Es gibt bei den deutschen S-Bahnnetzen so gut wie keine Tangentiallinien. Tangentiallinien müssen im Bereich der Außenäste irgendwie in die Radiallinien eingefädelt werden. Sie belegen zudem auf den Außenästen wertvolle Fahrplantrassen, die besser den Radiallinien von S-Bahn und Regionalbahn zur Verfügung gestellt werden.
 
Große Takte führen dazu, dass die Tangentiallinien immer weniger Fahrgäste bekommen. Das ergibt dann eine Abwärtsspirale. Die kleinen Takte bei den Radiallinien führen hingegen dazu, dass diese Linien immer mehr Fahrgäste bekommen. Das ergibt  dann eine Aufwärtsspirale. Davon profitiert auch der potenzielle Mega-Umsteigeknoten Stuttgart-Hauptbahnhof und damit auch Stuttgart insgesamt.
 
Ergänzungsbahnhof
Wegen der zukünftig längeren MEX-Züge und des damit verbundenen Wegfalls der Doppelbelegungen sowie wegen der als Folge der Doppelstöckigkeit der MEX längeren Aufenthaltszeiten im Stuttgart 21-Hauptbahnhof ist ein Ergänzungsbahnhof unabdingbar. Wenn aber ein solcher Ergänzungsbahnhof für die MEX vorhanden ist, sollte ihn auch die S-Bahn in irgendeiner Form nutzen - und sei es nur bei Störungen, um die Erreichbarkeit des Hauptbahnhofs durch die S-Bahn wenigstens in eingeschränktem Umfang zu gewährleisten. Zwei Bahnsteigkanten des Ergänzungsbahnhofs sollten mindestens für die S-Bahnzüge zur Verfügung stehen.