Auf den ersten Blick haben das Projekt Stuttgart 21, das ständige Straßenverkehrschaos im Stuttgarter Talkessel, der fehlende Mittlere Ring im Stuttgarter Straßennetz und der dilettantisch organisierte Feinstaubalarm der vergangenen Woche in Stuttgart nichts miteinander zu tun. Auf den zweiten Blick zeigen sich jedoch vielfältige Abhängigkeiten und Zusammenhänge, von denen wir im heutigen Artikel in diesem Blog wegen ansonsten drohender Überlänge des Artikels nur einige nennen können.
Ausgerechnet in der vergangenen Woche, als in Stuttgart zum ersten Mal Feinstaubalarm ausgelöst worden ist, kam es an einem Tag im Berufsverkehr nachmittags wegen eines Bombenfunds auf der Stuttgart 21-Baustelle zu massiven Behinderungen beim öffentlichen Verkehr. Die S-Bahn konnte wegen der Bombenentschärfung teilweise nicht fahren. Tausende Fahrgäste wollten auf die Stadtbahn umsteigen, die diesen Andrang selbstredend nicht bewältigen konnte.
Welche Verantwortung trägt OB Fritz Kuhn?
Hier stellt sich erst einmal die Frage nach der Verantwortung von OB Fritz Kuhn für dieses Desaster. OB Fritz Kuhn ist für das Projekt Stuttgart 21 in erster Näherung nicht verantwortlich zu machen. Genauso wenig kann Fritz Kuhn etwas für die europaweit höchsten Feinstaubwerte, die im Stuttgarter Talkessel anfallen. Fritz Kuhn ist auch nicht verantwortlich für den fehlenden Mittleren Ring in Stuttgart und für die Tatsache, dass Fahrten vom Osten Baden-Württembergs (Schnellstraßensystem B14/B29) in den Westen Baden-Württembergs (A8 nach Karlsruhe und Bodenseeautobahn A81) wegen fehlender Umfahrungsmöglichkeiten nach wie vor mitten durch die Stuttgarter Innenstadt und den Stuttgarter Talkessel verlaufen. Dafür ist in erster Linie die CDU verantwortlich, die jahrzehntelang in Baden-Württemberg und in Stuttgart regiert hat und die es in dieser Zeit versäumt hat, die eigentlich wichtigen Weichenstellungen beim Verkehr vorzunehmen.
Fritz Kuhn ist aber für die dilettantische Planung des jüngsten Feinstaubalarms verantwortlich. Ein wesentlicher Bestandteil eines wirksamen Maßnahmenpakets zur Reduzierung des Feinstaubs im Stuttgarter Talkessels ist ein zeitweiser Baustopp für Stuttgart 21 und seine zahlreichen emissionsstarken Baufahrzeuge und Transportfahrzeuge. Darüber hinaus darf es während eines Feinstaubalarms keine Bombenfunde mit der darauf folgenden Notwendigkeit zur Bombenentschärfung und Sperrung wichtiger Schienenstrecken kommen. Ein während eines Feinstaubalarms verhängter Baustopp für Stuttgart 21 ist auch diesbezüglich die wirksamste Maßnahme. Wenn auf der Stuttgart 21-Baustelle nicht gebaut wird, werden auch keine Bomben gefunden. Dann gibt es keine Notwendigkeit einer sofortigen Bombenentschärfung. Dann braucht wegen dieser Maßnahme auch keine Schienenstrecke mitten im Feinstaubalarm gesperrt zu werden.
Die Citymaut dürfte eine Träumerei bleiben
Die fehlende Umfahrungsmöglichkeit des Stuttgarter Talkessels für wichtige Durchgangsverkehre dürfte auch sämtliche Träume der Grünen nach einer Citymaut oder sonstigen Bewirtschaftung des Straßenverkehrs im Stuttgarter Talkessel ins Leere laufen lassen. Alle europäischen Städte, die z.B. für eine Citymaut oder ähnliche Eingriffe in den Straßenverkehr als Referenz herangezogen werden, haben Umfahrungsmöglichkeiten über Ringstraßensysteme. Stuttgart hat dies nicht. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, dass politisch motivierte Restriktionen beim Kfz-Verkehr in Stuttgart durch die Gerichte ganz schnell wieder gekippt werden.
Ein Stuttgarter Mittlerer Ring, der allein in der Lage ist, sämtlichen Durchgangsverkehr aus dem Stuttgarter Talkessel herauszunehmen, und der die Voraussetzung dafür ist, den Kfz-Verkehr im Stuttgarter Talkessel durch restriktive Maßnahmen ganz stark zu reduzieren, hat mindestens 30 bis 40 Jahre Verspätung - und das auch nur unter der Annahme, dass sich die jüngsten zaghaften politischen Initiativen in Richtung Mittlerer Ring (ohne dass sich die Politiker allerdings trauen, den Begriff Mittlerer Ring tatsächlich in den Mund zu nehmen) konkretisieren.
Der Mittlere Ring in Stuttgart hat - etwa im Vergleich zu München - mindestens 30 bis 40 Jahre Verspätung
Warum hat der Mittlere Ring in Stuttgart - etwa im Vergleich zu München - mindestens 30 bis 40 Jahre Verspätung? Ein Grund ist sicherlich Stuttgart 21. Dieses Großprojekt und Alles-oder-Nichts-Projekt lähmt nun bereits seit über 20 Jahren die verkehrliche Entwicklung Stuttgarts. Betrachtet man nur den Eisenbahnverkehr, hätte das fünfte und sechste Gleis zwischen Bad Cannstatt und dem Hauptbahnhof sowie die Stärkung der S-Bahn durch Einrichtung einer Express-S-Bahn zwischen dem Flughafen und Wendlingen-Plochingen, einer weiteren Express-S-Bahn zwischen dem Flughafen und Nürtingen-Reutlingen und einer dritten Express-S-Bahn zwischen dem Flughafen und S-Vaihingen-Hauptbahnhof bereits in den Neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts verwirklicht werden können. Der Bahnverkehr in der Region Stuttgart wäre damit sogar noch mehr gefördert worden als durch das megateure Stuttgart 21.
Betrachtet man etwa die Stadtbahn, ist auch hier Stuttgart 21 für Engpässe und eine fehlende Weiterentwicklung verantwortlich zu machen. Ohne Stuttgart 21 hätte man sich längst dem wichtigen Thema einer dritten Stammstrecke für die Stuttgarter Stadtbahn in der Stuttgarter Innenstadt widmen können. Die beiden bestehenden Stammstrecken sind ausgelastet bzw. sogar überlastet. Praktisch alle anderen vergleichbaren Großstädte in Deutschland haben bei ihrem städtischen Schienenverkehrssystem mindestens drei Stammstrecken.
Auch bei der Entwicklung des Straßennetzes in Stuttgart erweist sich Stuttgart 21 als Hemmschuh. Bereits im Post vom 07.01.2011 in diesem Blog wurde ein zukünftiger Mittlerer Ring für Stuttgart genau beschrieben. Ohne Stuttgart 21 gäbe es diesen Mittleren Ring heute in wesentlichen Teilen bereits.
Ein Mittlerer Ring verläuft grundsätzlich zwischen den inneren und den äußeren Stadtbezirken. Damit liegt der zukünftige Verlauf des Stuttgarter Mittleren Rings in wesentlichen Teilen bereits fest. Der Stuttgarter Mittlere Ring besteht aus einer Osttangente, einer Südtangente, einer Westtangente und einer Nordtangente.
Das Kommunikationsdesaster beim B10-Rosensteintunnel
Die B10 zwischen dem Pragsattel und S-Wangen einschließlich des im Bau befindlichen B10-Rosensteintunnels ist nichts anderes als die zukünftige Osttangente des Stuttgarter Mittleren Rings. Leider wurde das im Vorfeld des Baus des B10-Rosensteintunnels so nicht kommuniziert. Es gab und gibt in der Politik und bei der Bevölkerung zum Teil große Widerstände gegen den B10-Rosensteintunnel. Unter anderem wird befürchtet, dass wegen des B10-Rosensteintunnels der Kfz-Verkehr im Stuttgarter Talkessel und in S-Ost weiter zunimmt. Ohne Bezug zu einem zukünftigen Stuttgarter Mittleren Ring sind diese Befürchtungen nicht von der Hand zu weisen.
Hätte man jedoch seitens der Politik und der Stadtverwaltung kommuniziert, dass der B10-Rosensteintunnel ein Bestandteil eines zukünftigen Stuttgarter Mittleren Rings ist, der zusammen mit einer zukünftigen Südtangente (Frauenkopftunnel-Jahnrstraße-Tunnel Degerloch-Nordumfahrung S-Möhringen im Tunnel bis zur bestehenden Ostumfahrung S-Vaihingen, die eine zweite Fahrbahn erhält) den gesamten B14- und B27-Durchgangsverkehr aus dem Stuttgarter Talkessel herausnimmt, wäre die Akzeptanz des B10-Rosensteintunnels größer gewesen.
Zaghafte politische Initiativen für einen Mittleren Ring in Stuttgart
Nun scheinen sich ja zaghafte politische Initiativen abzuzeichnen, dass Stuttgart doch noch zu seinem Mittleren Ring kommt - allerdings mit 30 bis 40 oder gar 50-jähriger Verspätung. All dies steht unter Vorbehalt, denn es ist ungewiss, wie das Stuttgart 21-Abenteuer ausgehen wird und wie lange dieses Abenteuer Stuttgart noch in Beschlag nehmen wird.
Das Regierungspräsidium Stuttgart war über all die Jahre und Jahrzehnte hinweg der Fels in der Brandung in Sachen Mittlerer Ring, indem es eine direkte Straßenverbindung vom Straßendreieck B10/B14 bei S-Wangen hinauf nach Degerloch durch einen Frauenkopftunnel stets für erforderlich hielt (zukünftige Südtangente des Mittleren Rings). Nun hat sich auch der Fraktionsvorsitzende der CDU im Stuttgarter Gemeinderat, Alexander Kotz, in Sachen zukünftige Verkehrsprojekte geäußert. Er brachte zur Sprache, dass Stuttgart nach dem Projekt Stuttgart 21 dringend ein weiteres Großprojekt brauche. Mit großer Wahrscheinlichkeit dachte er hierbei an eine Art Mittleren Ring, auch wenn er diesen Begriff nicht nannte. Auch Alexander Kotz müsste man ins Stammbuch schreiben, dass er durch seine bedinungslose Unterstützung von Stuttgart 21 mitverantwortlich ist für die über 40jährige Verspätung des Mittleren Rings für Stuttgart, eines Projekts, das er jetzt wohl doch für erforderlich hält.
Auch beim Verband Region Stuttgart tut sich was in Sachen Mittlerer Ring, wenngleich auch der Verband Region Stuttgart den Begriff Mittlerer Ring nicht explizit nennt. Der Verband Region Stuttgart will eine direkte Straßenverbindung vom Dreieck B10/B14 hinauf nach Degerloch in den Verkehrsplan der Region Stuttgart aufnehmen. Diese Straßenverbindung mit dem Frauenkopftunnel soll an Stelle der bisher geplanten Filderauffahrt Hedelfingen-Heumaden treten. Die Filderauffahrt Hedelfingen-Heumaden wäre in Bezug auf eine Entlastung des Stuttgarter Talkessels wirkungslos gewesen, weil sie zu weit vom Stuttgarter Talkessel entfernt ist.
CDU-Politiker aus dem Stuttgarter Osten haben sich erst vor kurzem an OB Fritz Kuhn gewandt mit der dringenden Bitte, die Planungen für eine Straßenverbindung von der B10 im Neckartal hinauf auf die Fildern wiederaufzunehmen und zu intensivieren. Auch hier wird der Mittlere Ring oder auch nur die direkte Führung durch einen Frauenkopftunnel nicht explizit genannt. Und doch läuft diese Anfrage der CDU genau darauf hinaus.
Kommt eine weitere Zerreißprobe auf die Grünen zu?
Die Grünen haben sich mit ihrer Behandlung und Begleitung von Stuttgart 21 nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Jetzt könnte eine weitere Zerreißprobe auf die Grünen zukommen. Denn der zukünftige Stuttgarter Mittlere Ring, der für eine wirksame Reduzierung des Kfz-Verkehrs im Stuttgarter Talkessel unabdingbar wird, muss jetzt unter einem Grünen OB und möglicherweise unter einem Grünen Landesverkehrsminister forciert werden. Damit würde bereits zum zweiten Mal der Fall eintreten, dass die Grünen direkt mit einer CDU-Altlast konfrontiert werden. Der erste Fall war ja Stuttgart 21, wo die Grünen das unsinnige Projekt der CDU jetzt irgendwie umsetzen müssen - oder meinen, dies zu müssen. Der zweite Fall ist die Verzögerung des Stuttgarter Mittleren Rings durch die Versäumnisse der CDU um mindestens 40 Jahre. Mal sehen, wie die Grünen mit dieser Sache umgehen werden.