Wenn man die Ergebnisse des Lenkungskreises zu Stuttgart 21 vom 15. Oktober 2021 ansieht, erhält man den Eindruck, dass verschiedene Politiker in Sachen Gäubahn den roten Faden verloren haben. Deshalb hier kurz und bündig die Prämissen, die den Ausbau der Gäubahn bestimmen müssen:
1. Es ist nicht zielführend, den Fernverkehr der Gäubahn (Zürich-Stuttgart) im Stuttgarter Hauptbahnhof durchzubinden, vor allem vor dem Hintergrund, dass dieser Fernverkehr vielleicht auch von einem Verkehrsunternehmen aus der Schweiz oder aus Italien gefahren werden wird. Viel wichtiger ist es, dass die Fernzüge der Gäubahn im Stuttgarter Hauptbahnhof einen Rundumanschluss in alle Richtungen haben. Von daher sollten die Fernzüge in einen ergänzenden Kopfbahnhof fahren.
2. Nennenswerten Mehrverkehr bei der Bahn ("Verdoppelung bis 2030") wird es nur geben, wenn die Bahn den Vorteilen des Automobils so nahe wie möglich kommt und wenn sie die Bedürfnisse des "everyday travel" bestmöglich abdeckt. Die Wege, die die Menschen in BW durchschnittlich pro Tag zurücklegen, bewegen sich im Entfernungsbereich von ca. 40 Kilometer. An erster Stelle der Agenda für die Gäubahn muss deshalb ein guter Regionalverkehr stehen.
3. Der halbstündliche Metropolexpress (MEX) Stuttgart-Horb, die viertelstündliche S-Bahn Stuttgart-Herrenberg und ein stündlicher IRE Stuttgart-Konstanz sind die wesentlichen Eckpunkte eines attraktiven Regionalverkehrs auf der Gäubahn.
4. Der MEX und die S-Bahn fahren über den neuen Regionalbahnhof Vaihingen zum Hauptbahnhof. Somit bleibt für den von Staatssekretär Bilger vorgeschlagenen Gäubahntunnel nur noch der stündlich verkehrende IRE und eine kleiner Anteil wirklicher Fernzüge. Das aber ist viel zu wenig, um einen 12 Kilometer langen Tunnel zu rechtfertigen.
5. Selbst wenn der Bund sich zu einer Finanzierung des Bilger-Gäubahntunnels bereits erklärt, gäbe es Dutzende wesentlich wichtigerer Bahnprojekte in Deutschland, die eine Inbetriebnahme des Gäubahntunnels nicht vor 2050 oder gar nicht erwarten lassen.
6. Der Gäubahn-Bilger-Tunnel beseitigt Engpässe nicht, im Gegenteil. Die Gäubahn müsste am Ende des Bilger-Tunnels in den zweigleisigen Flughafenbahnhof eingeschleift werden. Kurz darauf müsste sie in den Fildertunnel eingefädelt werden. Wir hätten hier also eine Situation, dass ein 12 Kilometer langer megateurer Tunnel gebaut wird, nur um die Gäubahn in einen Engpass münden zu lassen - ein in der Nachkriegsgeschichte des Bahnausbaus in Deutschland einmaliges Desaster.
7. Es sind Gelder beim Bund für die Gäubahn zu beantragen, die eine Beseitigung der bestehenden Engpässe erlauben. Das sind die Strecke Böblingen-Herrenberg, wo ein drittes oder sogar noch ein viertes Gleis gebaut werden müssen, und die Strecke Horb-Tuttlingen, wo abschnittsweise ein zweites Gleis gebaut werden muss. Zudem muss die Panoramastrecke der Gäubahn modernisiert werden. Hierbei kann durchaus auch mal in bestehender Tunnel verlängert werden.
8. Die Verkehrsziele des Bundes gehen vor städtebaulichen Zielen der Landeshauptstadt Stuttgart. Zudem gibt es keinen Nachweis, dass eine Beibehaltung der Panoramastrecke der Gäubahn sowie eines Kopfbahnhofs beim Stuttgarter Hauptbahnhof den Wohnungsbau in Stuttgart behindert. Denn viele, viele andere Städte in Deutschland und Europa, die kein 21er-Projekt verfolgen, sondern ihren Bahnhof oben belassen, betreiben sogar mehr Wohnungsbau als Stuttgart.