Die Bahnanbindung des Münchner Flughafens besteht seit dem Jahr 1992 und wird seitdem stufenweise verbessert. Im heutigen Post in diesem Blog wollen wir die Bahnanbindung des Münchner Flughafens näher analysieren und sie in Bezug setzen zur Bahnanbindung des Stuttgarter Flughafens beim Projekt Stuttgart 21.
Das Ergebnis der Analyse und des Vergleichs kann man gleich vorwegnehmen. Bei der Bahnanbindung des Münchner Flughafens wurde und wird alles richtig gemacht. Bei Stuttgart 21 dagegen stolpert man von einem Fehler zum nächsten. Das gilt für die Bahnanbindung des Stuttgarter Flughafens ebenso wie für das Projekt Stuttgart 21 als Ganzes.
Die Analyse der Bahnanbindung des Münchner Flughafens gliedert sich in fünf Teile:
- Wie wird auf Kostenexplosionen reagiert?
- Wie wird das Baurecht bei komplexen Projekten gehandhabt?
- Ist das Projekt in einzelne Module zerlegbar und etappierbar?
- Wie ist die Struktur der Bahnanbindung des Flughafens?
- Welcher Ausbaustandard wird gewählt? Welche Rolle spielen Engstellen?
Stuttgart wird - würde das Projekt Stuttgart 21 fertiggestellt - eine weltweite Sonder- und Außenseiterposition im Eisenbahnwesen einnehmen. Eine solche Position scheint der Stadt, bzw. wenigstens bestimmten Kreisen der Stadt augenscheinlich zu gefallen. Denn Stuttgart ist ja auch eine der ganz wenigen Städte der Welt, die sich bisher um die Umsetzung eines Ringstraßensystems bei gleichzeitiger Drosselung des Autoverkehrs innerhalb der Ringe erfolgreich gedrückt haben. Stuttgart hat es auch geschafft, bei seinem städtischen Schienenverkehrsnetz (Stadtbahn) einen einmaligen strukturellen Engpass zu schaffen. Nur zwei Stammstrecken der Stadtbahn müssen 18 Außenäste* bedienen. Das ergibt einen Außenast-Stammstrecken-Quotienten von 9 (neun), einmalig in Deutschland und wahrscheinlich in Europa.
* ohne die Strecken vom Wallgraben zum Bahnhof Vaihingen, von Möhringen nach Plieningen, vom Pragsattel nach Bad Cannstatt und vom Augsburger Platz nach Untertürkheim. Diese Strecken werden nur von tangentialen Linien bedient. Würden diese Strecken ebenfalls von radialen Linien bedient, wäre der Außenast-Stammstrecken-Quotient noch höher.
Alle Städte, die Kopfbahnhöfe oder unterdimensionierte Durchgangsbahnhöfe haben, wählen, wenn es an einen Ausbau ihres Bahnknotens geht, die Variante Kombibahnhof. Das heißt, es wird zusätzlich zum Kopfbahnhof bzw. zusätzlich zum bestehenden Durchgangsbahnhof ein weiterer Durchgangsbahnhof mit zwei jeweils zweigleisigen Zulaufstrecken gebaut (Durchmesserlinie). Die neue Durchmesserlinie ergibt zusammen mit dem bestehenden Bahnhofs- und Zulaufstreckensystem eine markante Steigerung der Bahnkapazitäten für den jeweiligen Bahnknoten.
Stuttgart 21 wäre als Bahnprojekt weltweit einmalig
Ganz anders - und weltweit einmalig - kommt das Projekt Stuttgart 21 daher. Es wird ein neuer Durchgangsbahnhof gebaut mit neuen Zulaufstrecken. Gleichzeitig aber sollen der bestehende Bahnhof und die bestehenden Zulaufstrecken vollständig stillgelegt werden. Von einer markanten Steigerung der Bahnkapazitäten kann da keine Rede sein. Der neue achtgleisige Durchgangsbahnhof kann den bestehenden 16gleisigen Kopfbahnhof nicht adäquat ersetzen. Bei den Zulaufstrecken ergibt sich die paradoxe Situation, dass eine der beiden bisherigen Hauptzufahrten, die Zufahrt Bad Cannstatt, zwar durch gleich zweieinhalb neue Zufahrten ersetzt werden soll. Die andere der beiden Hauptzufahrten, die Zufahrt Zuffenhausen, die in derselben Liga spielt wie die Zufahrt Bad Cannstatt, soll jedoch weiterhin wie bisher nur zwei Gleise aufweisen, obwohl diese Zufahrt bereits heute zu den Spitzenzeiten ausgelastet ist und als Mischverkehrszufahrt Fern-/Regionalverkehr nicht mehr als 12 bis 13 Züge pro Gleis und Stunde verkraften kann.
Das ist aber noch längst nicht alles. Stuttgart 21 bringt auch zusätzliche, neue Engpässe für den Bahnknoten Stuttgart, nicht nur beim Hauptbahnhof und bei den Zulaufstrecken, sondern vor allem auch bei der Anbindung an das Bestandsnetz. Da wäre zum Beispiel die Wendlinger Kurve mit ihren neuen höhengleichen Gleiskreuzungen und ihrem eingleisigen Streckenabschnitt zu nennen. Dazu gehören auch die beiden neuen höhengleichen Gleiskreuzungen, die beim Bahnhof Plochingen entstehen. Ebenfalls gehört dazu die neue höhengleiche Gleiskreuzung und der neue eingleisige Abschnitt zwischen dem Untertürkheimer Tunnel und dem S-Bahnhaltepunkt Nürnberger Straße. Nicht zuletzt gehört dazu auch der neue Mischbetrieb S-Bahn/Regionalbahn/Fernbahn zwischen Rohr und dem Flughafen, die neue höhengleiche Gleiskreuzung beim Flughafen und der eingleisige Bahnhof für die Gäubahn beim Flughafen.
Die Themen Kombibahnhof und Durchmesserlinie waren schon mehrfach in diesem Blog vertreten. Nicht zuletzt haben wir bereits zahlreiche Städte in Europa genannt, in denen ein Kombibahnhof in Betrieb, in Bau oder in Planung ist.
Die Stuttgarter Gemeinderatsfraktion der CDU unter ihrem Vorsitzenden Alexander Kotz hat vor wenigen Tagen neue Vorschläge für zukünftige Straßentunnel in der Landeshauptstadt vorgestellt. Es geht zunächst um zwei Tunnel. Ein ca. 7 Kilometer langer Tunnel (bzw. zwei nebeneinanderliegende Tunnelröhren) soll den Knoten B10/B14 beim Gaskessel mit der B27 bei Degerloch verbinden. Ein zweiter Tunnel (Ostheimer Tunnel) soll den Gaskessel mit der Stuttgarter Innenstadt beim Gebhard-Müller-Platz verbinden.
Ungeachtet der Sinnhaftigkeit dieser neuen Vorschläge ist es zunächst mal zu begrüßen, dass aus dem Gemeinderat überhaupt strategische Vorschläge zur verkehrlichen Zukunft Stuttgarts kommen. Das ist eigentlich viel zu wenig der Fall. Der Stuttgarter Gemeinderat ist viel zu oft nur ein Abnickgremium. Es spricht überhaupt nichts dagegen, dass die CDU, wie auch die Fraktionen aller anderen Parteien, sich zukünftig mehr Gedanken über die verkehrliche Zukunft Stuttgarts machen und sich auch nicht scheuen, strategische Vorschläge und Anträge einzureichen.
Vor dem Hintergrund des Stuttgart 21-Desasters erscheinen jedoch die jetzt gemachten Vorschläge der CDU unter einem etwas merkwürdigen Licht. Das verkehrlich kaum wirksame, aber megateure Verkehrsprojekt Stuttgart 21 hat die Landeshauptstadt Stuttgart in verkehrlichen Dingen jetzt bereits um ca. 30 Jahre zurückgeworfen. Das gilt in Bezug auf die Anlage von Straßenringen (in erster Linie: Mittlerer Ring) ebenso wie für die dritte Stammstrecke der Stuttgarter Stadtbahn. Andere vergleichbare Städte haben all dies bereits. Den Rückstand kann Stuttgart nicht mehr aufholen.