Dies ist der erste von vier geplanten Posts in diesem Blog, die sich mit dem Thema einer Innenstadterweiterung in Stuttgart befassen werden. Eine der - zumindest offiziell so dargestellten - Triebfedern für Stuttgart 21 sind ja städtebauliche Gründe. Durch das Freiwerden des Gleisvorfelds beim Kopfbahnhof soll ein neuer Innenstadt-Stadtteil entstehen, die Innenstadt somit vergrößert werden.
Wir wollen in diesem Blog der Sache etwas näher auf den Grund gehen. Im heutigen Post geht es um die Frage, ob die Stuttgarter Innenstadt objektiv zu klein ist. Im nächsten Post wird dann gefragt, ob Stuttgart 21 die Aufgabe, die Stuttgarter Innenstadt zu vergrößern, erfüllen kann. Im dritten Post zu diesem Thema wird dann, bezugnehmend auf städtebauliche Entwicklungen der Vergangenheit, ein Vorschlag für eine Vergrößerung der Stuttgarter Innenstadt unterbreitet, die diesen Namen auch verdient. Und im vierten Post schauen wir uns einmal an, wie sich die durch die Verlegung des Hauptbahnhofs von der Bolzstraße zum heutigen Arnulff-Klett-Platz in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts möglich gewordene Innenstadterweiterung heute präsentiert.
Wie groß ist eigentlich die zusammenhängend erlebbare Stuttgarter Innenstadt? Vereinfachen wir die Frage etwas: Wie lang ist die Stuttgarter Innenstadt? Der Länge nach erstreckt sich die Stuttgarter Innenstadt vom Arnulf-Klett-Platz beim Hauptbahnhof über die Königstraße und über die Marienstraße bis zur Kreuzung Marien-/ Sophienstraße. Gut, seien wir mal gnädig und lassen die Stuttgarter Innenstadt bis zur Kreuzung Marien-/ Paulinenstraße gehen. Dahinter ist aber definitiv Schluss. Die Länge der Stuttgarter Innenstadt beträgt somit 1,4 Kilometer.
Ist das nun lang oder kurz oder zu lang oder zu kurz? Bei der Beantwortung dieser Frage hilft ein Vergleich mit anderen Städten. Hierzu wählen wir Frankfurt/Main und München aus. Denn diese Städte gehören zu den wenigen in Deutschland, die wie Stuttgart das Privileg haben, einen Kopfbahnhof zu besitzen.
In Frankfurt/Main erstreckt sich die Innenstadt vom Hauptbahnhof bis mindestens zur Konstabler Wache. Das sind 2,0 Kilometer. In München erstreckt sich die Innenstadt vom Hauptbahnhof bis mindestens zum Isartor. Das sind 1,8 Kilometer.
Jetzt wäre zu überlegen, ob es außer diesen Vergleichswerten noch andere Hinweise gibt, die darauf schließen lassen, dass die Stuttgarter Innenstadt eine Vergrößerung vertragen könnte. Da gibt es sicher viele verschiedene Kriterien. Mir fällt jetzt folgendes ein: an schönen Samstagen quillt die Königstraße von Besuchern förmlich über. Es macht dann keinen großen Spaß mehr, sich in der Innenstadt aufzuhalten. Zwischen dem Hauptbahnhof und der Marienstraße kommt man dann nur noch im Trippelschritt und im Slalom voran. Auch dieses Kriterium deutet somit darauf hin, dass die Innenstadt zur Zeit eher zu klein als zu groß ist.
Nun könnte man einwenden, dass die Vergrößerung der Innenstadt ja auch in der Breite erfolgen könnte. Das ist ein wichtiger Gesichtspunkt, der vor allem in Stuttgart von großer Bedeutung ist. Denn es gibt zur Zeit kaum attraktive Straßenzüge und attraktive Blickbeziehungen quer zur Königstraße. Die Entwicklung der Stuttgarter Innenstadt quer zur Königstraße muss ein wichtiger Bestandteil zukünftiger Stadtentwicklung sein. Trotzdem glaube ich, dass dies allein für die nächsten 50 Jahre nicht ausreichend sein wird. Denn quer zur Königstraße bedeutet schließlich auch: quer zum Nesenbachtal. Und diesbezüglich sind die Entwicklungsmöglichkeiten beschränkt.
Jetzt könnte sich aber ein Missverständnis einschleichen. Beim Stichwort einer Vergrößerung der Innenstadt geht es nicht in erster Linie oder zumindest nicht ausschließlich um eine Vergrößerung der Einkaufsmöglichkeiten und des Shopping-Bereichs, des kommerziellen Bereichs. Ginge es alleine darum, könnte man sich die Innenstadterweiterung schenken. Es darf nicht darum gehen, aus der Innenstadt ein einziges großes ECE-Center zu machen. Vielmehr muss es vor allem darum gehen, die urbane Stadt mit ihrer Abfolge an Straßen, Plätzen, Boulevards, prächtigen Gebäuden, Parks und Blickbeziehungen zu erweitern, eine Stadt also, in der sich die Menschen gerne aufhalten, eine Stadt in der Art, wie sie Millionen von Touristen auf ihren Urlaubsreisen gerne aufsuchen und ansehen.
Ein weiterer Einwand mag in Bezug auf die prognostizierte Bevölkerungsentwicklung geäußert werden. Die Progonosen für Deutschland und für viele andere Staaten gehen inzwischen davon aus, dass die Zahl der Erwerbstätigen und in etwas geringerem Umfang die Zahl der Einwohner in den kommenden 30 Jahren zurückgehen wird. Es stellt sich somit die Frage, ob unter diesen Umständen eine Erweiterung der Innenstadt noch Sinn macht. Ich glaube, dass es auch bei zurückgehenden Einwohnerzahlen sinnvoll sein kann, die Innenstadt von Stuttgart zu erweitern. Dies muss selbstverständlich einhergehen mit einer Stornierung der weiteren Erschließung auf der Grünen Wiese und längerfristig sogar mit einem Rückbau von Teilen der in den vergangenen Jahrzehnten in suburbia gebauten Gewerbegebieten und Einkaufszentren.
Halten wir also fest: Die Stuttgarter Innenstadt ist tatsächlich ein wenig zu klein, auch im Vergleich mit anderen Städten. Will man diese Feststellung quantifizieren, läuft es darauf hinaus, dass die Stuttgarter Innenstadt in der Länge um ca. 500 Meter zu klein ist. Eine Vergrößerung der Stuttgarter Innenstadt kann, richtig geplant, eine interessante Zukunftsaufgabe für die Stadtplanung der kommenden 30 bis 50 Jahre sein.
Im folgenden Post wird es um die Frage gehen, ob das Projekt Stuttgart 21 in der Lage ist, die Innenstadt im gewünschten Maß und in der gewünschten Form zu vergrößern. Die Antwort nehmen wir gleich heute vorweg: sie lautet nein.
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