Dienstag, 24. April 2012

Ohne vom Land bestellte IRE-Züge keine Neubaustrecke Wendlingen - Ulm

Baden-Württemberg leistet beträchtliche Zuschüsse für die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm. Dazu gehören selbstverständlich die 950 Millionen Euro, die das Land direkt für den Bau der Neubaustrecke zuschießt. Das ist seit langem bekannt und soll hier zunächst nicht das Thema sein.

Hier geht es darum, weitere indirekte Zahlungen des Landes für die spätere Instandhaltung und den Betrieb der Neubaustrecke zu thematisieren. Ohne diese indirekten Zahlungen, die auf dem Umweg über die Trassengebühren für vom Land zu bestellende Interregio-Express-Züge in die Kassen der Bahn gespült werden, würde die Neubaustrecke nicht gebaut werden und könnte die Neubaustrecke später nicht instandgehalten werden.



Sehen wir uns ganz kurz das geplante Betriebsprogramm für die Neubaustrecke an. Geplant sind zwei ICE pro Stunde und Richtung (eigenverantwortlicher Fernverkehr der Bahn). Dazu kommt ein vom Land zu bestellender IRE pro Stunde und Richtung (Regionalverkehr ist Sache des Landes). Hierbei ist es zunächst unerheblich, ob später zu bestimmten Tageszeiten noch ein weiterer ICE pro Stunde fährt. Zu vernachlässigen ist auch, ob später während der Berufsverkehrszeiten der IRE sogar alle halbe Stunde fahren soll.

Das Verhältnis zwischen dem eigenverantwortlichen Fernverkehr der DB und dem vom Land bestellten Regionalverkehr im Verlauf der Neubaustrecke beträgt somit in erster Näherung zwei zu eins. Würde das Land den Interregio-Express nicht bestellen, würden im Verlauf der Neubaustecke ein Drittel weniger Züge fahren. Jetzt heißt es allerdings hellhörig zu werden.

Denn der Nutzen-Kosten-Faktor der Neubaustrecke ist grenzwertig, also nur wenig über eins. Und das ja auch nur, weil einige Leichtgüterzüge eingerechnet worden sind, die möglicherweise nie dort fahren werden. Und hier ist noch gar nicht berücksichtigt, dass wegen der jetzt angekündigten Bauzeitverlängerung von einigen Jahren (siehe im vorangegangenen Post in diesem Blog) der Nutzen-Kosten-Faktor bereits unter eins abgesunken ist. Lässt man dies außer acht, würde allein der Abzug eines Drittels der Züge ausreichen, den Nutzen-Kosten-Faktor der Neubaustrecke weit, weit unter eins sinken zu lassen.

Damit ist klar: die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm konnte nur deshalb geplant werden und jetzt in einen symbolischen Baubeginn gehen, weil Baden-Württemberg neben dem eigentlichen Bau auch den späteren Betrieb und die spätere Instandhaltung massiv subventioniert.

Die vom Land für den Betrieb der Regionalexpress-Züge zu zahlenden Trassengebühren im Verlauf der extrem teuren Neubaustrecke werden exorbitant hoch sein. Bei der ähnlich teuren Strecke Nürnberg-Ingolstadt kann sich der Freistaat Bayern nur alle zwei Stunden einen Interregio-Express leisten. Für das Geld, das BW für einen Zug auf der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm hinblättern muss, könnte man auf einer anderen herkömmlichen Strecke gleich mehrere Züge bestellen.

Dies alles entspricht nicht dem Geist der Bahnreform von 1994. Im Rahmen dieser Reform erhalten die Bundesländer Geld vom Bund, um den Regionalverkehr zu finanzieren (die sogenannten Regionalisierungsmittel). Diese stets zu knappen Gelder müssen so eingesetzt werden, dass sie für die Bevölkerung den größten Nutzen bringen bei gleichzeitig geringstmöglichen Kosten. Es geht also darum, den Pendlern, den Auszubildenden und Freizeitreisenden ein möglichst attraktives und gleichzeitig preisgünstiges Regionalzugangebot zu bieten. Die wertvollen Regionalisierungsmittel dürfen aber den genannten Zwecken nicht entzogen und für die Bestellung von Zügen auf exorbitant teuren ICE-Strecken und damit für die Finanzierung dieser ICE-Strecken eingesetzt werden.

Nun mag der eine oder andere Einwand kommen. Ist das Interesse der Menschen aus Oberschwaben, vom Bodensee und aus dem Allgäu, schnell nach Stuttgart und weiter nach Frankfurt, ins Rheinland und nach Norddeutschland zu kommen, nicht legitim? Ja, selbstverständlich! Aber dafür braucht es keinen IRE auf der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm. Hierzu fährt man mit dem IRE z.B. von Ravensburg nach Ulm und steigt dort auf den ICE um. So weit, so gut. Jetzt mag aber ein anderer Einwand kommen. Ist es nicht legitim, wenn die Menschen aus Oberschwaben, vom Bodensee oder aus dem Allgäu auch mit Regionalzügen und damit zum Beispiel mit dem Baden-Württemberg-Ticket oder dem Wochendeticket nach Stuttgart oder z.B. nach Karlsruhe kommen wollen? Ja, selbstverständlich! Aber dazu braucht es ebenfalls keinen IRE auf der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm. Vielmehr muss der z.B. von Ravensburg kommende IRE in Ulm weiter über die Bestandsstrecke, die Filstalstrecke, nach Stuttgart fahren, über eine Strecke also, wo er in der Nähe der im Land wohnenden Menschen vorbeifährt und auch immer mal wieder anhalten kann (z.B. in Geislingen, Göppingen, Plochingen).

Es ist also legitim, von Oberschwaben schnell in andere Gebiete Deutschlands kommen zu wollen. Und es ist auch legitim, von Oberschwaben mit einem Regionalverkehrsticket in andere Gebiete Baden-Württembergs kommen zu wollen. Es ist aber nicht legitim, von Oberschwaben ganz schnell mit dem Regionalverkehr in alle Teile Deutschlands kommen zu wollen. Hierzu ist der Regionalverkehr nicht da. Hierzu ist der ICE da.

Man mag sich auch kaum die praktischen Folgen eines IRE-Betriebs auf der Schnellfahrstrecke Wendlingen-Ulm ausdenken. Wenn man zwischen Stuttgart und Ulm auf der Schnellfahrstrecke mit dem IRE und damit mit den vergleichsweise billigen Reginalverkehrstickets (z.B. Baden-Württemberg-Ticket) fahren kann, wird ja wohl kaum mehr jemand für diese Relation den ICE mit seinen exorbitant hohen Fahrpreisen wählen. Als Folge werden die IRE-Züge wohl überfüllt sein (das Beispiel Nürnberg-München lässt grüßen). Die ICE hingegen werden an Fahrgastschwund leiden. Damit wird ein Teufelskreis nach unten in Gang gesetzt. Die Bahn wird die von ihr eigenwirtschaftlich zu erbringenden ICE-Verkehrsleistungen tendenziell reduzieren. Das Land wird im Gegenzug gezwungen sein, in die Bresche zu springen und immer mehr Regionalzugleistungen auf der Strecke zu finanzieren. Damit ist dann die Bahnreform endgültig gescheitert. Denn es läuft dann darauf hinaus, dass die Bahn mit ihren Strecken und Zügen einschließlich der Fernzüge doch wieder ausschließlich von der öffentlichen Hand und insbesondere von den Bundesländern finanziert wird.

Und kommen wir noch zur Verfassungsmäßigkeit der Finanzierung der Neubaustrecke. Vorwürfen, die Mischfinanzierung der Neubaustrecke durch Bund und Land sei verfassungswidrig, begegnete die frühere CDU-Landesregierung von BW immer mit dem Argument, dass auf der Strecke ja auch Regionalzugleistungen stattfinden werden.
Berücksichtigt man das weiter oben Gesagte, wird die ganze Widersprüchlichkeit und Dramatik dieses Arguments klar. Das Land bezuschusst eine Bundesaufgabe mit fast einer Milliarde Euro, weil zur Finanzierung der späteren Instandhaltungskosten dieser Bundesaufgabe und zur Erreichung einer knappen Wirtschaftlichkeit der Bundesaufgabe das Land den späteren Betrieb der Bundesaufgabe mit weiteren gesetzlich grenzwertigen Zuschüssen unterstützt.

Das ist jetzt etwas zu kompliziert geraten. Fassen wir es kürzer. Die Katze der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm beißt sich in den Schwanz. Die verfassungswidrige Mischfinanzierung der Strecke wird mit einer ebenfalls nicht gesetzeskonformen späteren weiteren Mischfinanzierung der Instandhaltung der Strecke begründet.

Es wird ein Rätsel bleiben, weshalb zum Beispiel die GRÜNEN, die der Neubaustrecke vor der BW-Wahl mit dem Argument der verfassungswidrigen Mischfinanzierung den Garaus machen wollten, nach der Wahl auf dieses geradezu auf der Straße liegende Argument nicht mehr weiter eingegangen sind. Falsch wird das Argument durch das Nichtstun der GRÜNEN allerdings nicht. Und die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm bleibt eines der unnötigsten und für das System Bahn gefährlichsten Bauvorhaben in der Geschichte der Eisenbahn.                             

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