Im Koalitionsvertrag 2021 in BW zwischen den Grünen und der CDU wird im Zusammenhang mit dem Ausbau des Bahnknotens Stuttgart auch ein Nordkreuz genannt.
Man braucht jetzt keine Angst zu haben, dass das Ding bald gebaut wird. Das Nordkreuz soll gemäß Koalitionsvertrag perspektivisch gebaut werden. Das heißt, dass sich mindestens in der aktuellen Legislatur nichts in Sachen Nordkreuz tun wird. Weil die ganze Sache aber von grundsätzlicher Bedeutung ist, soll sie heute Thema hier in diesem Blog sein.
Das Nordkreuz würde tangential verkehrende S-Bahnlinien umfassen, S-Bahnlinien also, die weder den Stuttgarter Hauptbahnhof noch die Stuttgarter Innenstadt anfahren. Das sieht man anderswo in Deutschland kaum - aus gutem Grund. Die tangential verkehrenden Linien haben weit weniger Fahrgäste als die radial zum Hauptbahnhof verkehrenden Linien. Sie würden genauso viel Geld wie die radialen Linien kosten, aber nur von einem Teil der Fahrgäste genutzt werden. Die radialen Linien würden durch die tangentialen Linien geschwächt. Der Bahnknoten Stuttgart in Form des Hauptbahnhofs würde ebenfalls geschwächt.
Gibt es ein Maximum der Auslastung eines Bahnknotens wie Stuttgart-Hauptbahnhof? Falls es dieses Maximum gibt, so wird es beim Stuttgarter Hauptbahnhof doch bei weitem noch nicht erreicht.
Jetzt sehen wir uns ein paar Zahlen an. Quelle ist die Drucksache 19/20455 des Deutschen Bundestags vom 29.06.2020, eine Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage verschiedener Abgeordneter zur Verlässlichkeit des Schienenverkehrs an Knotenbahnhöfen.
Gemäß der Wikipedia hat der Zürcher Hauptbahnhof 461.000 Fahrgäste pro Tag.
Wo bitte besteht bei diesen Zahlen ein Bedarf für tangentiale S-Bahnzüge in Stuttgart? Angesagt ist für Stuttgart vielmehr der massive, weitere Ausbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs, so dass dort mehr Fahrgäste aus allen Himmelsrichtungen ankommen und umsteigen.
Enthalten in den genannten Zahlen ist die S-Bahn. Da gibt es in der verwendeten Quelle weitere Zahlen, die hoch interessant sind.
Dem Augenschein nach steigen im S-Bahnhaltepunkt Stuttgart-Hauptbahnhof (tief) noch mehr Fahrgäste aus und ein als beim S-Bahnhaltepunkt Stuttgart-Stadtmitte. Das dürften einiges über 100.000 sein. Damit verbleiben im Stuttgarter Hauptbahnhof ohne S-Bahn maximal 150.000 Reisende/Besucher pro Tag.
Noch einmal: Diese Zahlen rechtfertigen keinen Bau des Nordkreuzes oder irgendwelcher sonstiger tangentialer Verkehrslösungen. An erster Stelle der Agenda muss vielmehr stehen, so viele Verkehre wie irgend möglich zum Stuttgarter Hauptbahnhof zu führen und den Stuttgarter Hauptbahnhof hierfür massiv auszubauen. Ggf. muss nach dem jetzt anvisierten Ergänzungsbahnhof zum Stuttgart 21-Tiefbahnhof ein zweiter Ergänzungsbahnhof gebaut werden.
Die Champions in Deutschland machen es nicht anders. In München ist die zweite Stammstrecke der S-Bahn im Bau, die selbstverständlich ebenfalls über den Hauptbahnhof führen wird. Dazu kommt noch der Bau der vierten Stammstrecke der Münchner U-Bahn, die einen zusätzlichen viergleisigen Bahnhof beim Hauptbahnhof erhalten wird.
In Frankfurt am Main wird ein neuer Fernverkehrstunnel mit einem viergleisigen Bahnhof gebaut werden. Der Tunnel führt selbstverständlich über den Hauptbahnhof. In Hamburg soll der Hauptbahnhof weiter gestärkt werden durch zwei zusätzliche Gleise sowie den Bau der vierten Stammstrecke der U-Bahn, die selbstverständlich ebenfalls über den Hauptbahnhof führen wird.
Also: Knotenpunktsbahnhöfe können enorme Verkehrsmengen und Zugzahlen abfertigen - wenn sie entsprechend ausgebaut sind. München, Frankfurt, Hamburg und Zürich (Beispiele) gehen diesen Weg konsequent. In Stuttgart hat man in den vergangenen Jahrzehnten eher einem Kapazitätsrückbau beim Stuttgarter Hauptbahnhof das Wort geredet. Mit dem jetzt geplanten Ergänzungsbahnhof wurde die Kehrtwende eingeleitet. Weitere Maßnahmen im Stuttgarter Hauptbahnhof müssen folgen. Tangentiale Linien (z.B. Nordkreuz) sind keine Lösung des Problems.
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