Freitag, 10. Juli 2020

Was sind die großen Unterschiede zwischen dem vorgeschlagenen Nordzulauf-Tunnel und dem Filder-Gäubahn-Tunnel beim Bahnknoten Stuttgart?

Im Rahmen des Deutschlandtakts gibt es nun gleich zwei Vorschläge für weitere Tunnel beim Bahnknoten Stuttgart. Dies sind der 10 bis 12 Kilometer lange Nordzulauf-Tunnel (Zufahrt Zuffenhausen) und der ebenfalls 10 bis 12 Kilomter lange Filder-Gäubahn-Tunnel.

Beide Tunnelvorschläge könnten unterschiedlicher nicht sein. Als Ergebnis einer groben Bewertung beider Tunnel muss man festhalten, dass der vorgeschlagene Nordzulauf-Tunnel sinnvoll ist und gebaut werden sollte. Der vorgeschlagene Filder-Gäubahn-Tunnel ist jedoch nicht sinnvoll. Sein Bau muss unterlassen werden.

Fangen wir mit dem Vergleich an.

Zusätzliche Zulaufgleise zum Stuttgarter Hauptbahnhof
Der Nordzulauf-Tunnel bietet gegenüber dem Bestand zwei zusätzliche Gleise für eine der wichtigsten Zufahrten zum Stuttgarter Hauptbahnhof. Diese Gleise reichen bis zum Hauptbahnhof, indem sich der Feuerbacher Tunnel von Stuttgart 21 unmittelbar an den Nordzulauf-Tunnel anschließt. Allerdings muss der heute bestehende Pragtunnel mit zwei Gleisen für den Regionalverkehr von Ludwigsburg erhalten bleiben, damit das dann wirklich zwei zusätzliche Gleise bis zum Stuttgarter Hauptbahnhof sind.

Der Filder-Gäubahn-Tunnel bietet keine zusätzlichen Gleise für die Gäubahn. Denn die Gäubahn hat bereits heute im Verlauf der Panoramastrecke zwei Gleise bis zum Hauptbahnhof (das kurze eingleisige Stück beim Nordbahnhof ist einfach zu beseitigen). Es kommt sogar noch schlimmer. Die beiden Gleise des Filder-Gäubahn-Tunnels reichen gar nicht bis zum Hauptbahnhof, sondern münden zunächst mal in die Gleise des Stuttgart 21-Flughafenbahnhofs und dann auch noch in die Gleise des Fildertunnels.

Kantenzeit zwischen dem Stuttgarter Hauptbahnhof und benachbarten Knotenpunkten
Der Nordzulauf-Tunnel ist unabdingbar, um eine Fahrzeit der Fernzüge zwischen Mannheim und Stuttgart zu erreichen, die etwas unter 30 Minuten liegt. Diese Fahrzeit ist erforderlich, um sowohl im ICE-Knoten Mannheim als auch im Bahnknoten Stuttgart ein Rendezvous aller Züge zur vollen und zur halben Stunde zu erreichen (weitere Verstärkerzüge fahren selbstverständlich zwischen diesen Rendezvous-Zeiten).

Die heutige schnellste Fahrzeit zwischen Mannheim und Stuttgart beträgt 37 Minuten. Durch den Feuerbacher Tunnel und das schnellere Ein-/Ausfahren im Stuttgart 21-Tiefbahnhof wird eine Beschleunigung von ca. 2 Minuten erreicht (= 35 Minuten Fahrzeit). Der neue Nordzulauf-Tunnel wird wohl eine Fahrzeitersparnis von ca. 4 Minuten bringen (= 31 Minuten Fahrzeit). Dann gibt es noch beschleunigende Umbauten im Gleisvorfeld des Mannheimer Hauptbahnhofs und eine Erhöhung der Geschwindigkeit im Verlauf der Schnellfahrstrecke Mannheim-Stuttgart von heute 260 km/h auf 280 km/h, allerdings verkehrsabhängig mit Hilfe von ETCS nur dann und dort, wenn und wo sich in den zweigleisigen Tunneln nicht zwei Fernzüge begegnen (= 29 Minuten Fahrzeit).

Der Filder-Gäubahn-Tunnel wird gegenüber dem Bestand zwar auch eine Beschleunigung von ein paar Minuten bewirken. Dieser Tunnel ist jedoch für das Erreichen einer Kantenzeit (ein Vielfaches der Taktzeit, ein Vielfaches von 30 Minuten) nicht alternativlos. Es gibt im Verlauf der Gäubahn viele Stellen, wo man beschleunigen kann. Dazu gehört auch, aber keineswegs alleine, die Panoramastrecke der Gäubahn, die ja saniert und modernisiert werden muss.

K 21 und weitere alternative Ausbaupläne für den Bahnknoten Stuttgart
Der Nordzulauf-Tunnel hat mit Stuttgart 21 direkt nichts zu tun. Diesen Tunnel müsste man auch dann bauen, wenn der Ausbau des Bahnknotens Stuttgart gemäß der Variante K 21 oder einer anderen Variante erfolgt wäre. Eine oberirdische Alternative zu diesem Tunnel gibt es nicht wirklich. Denn in den europäischen Ballungsräumen kann man heute kaum mehr neue Bahngleise oberirdisch bauen.

Während der langen Auseinandersetzung um den Bau von Stuttgart 21 haben auch viele Projektkritiker immer wieder das Vorbild Schweiz und den Integralen Taktfahrplan ins Gespräch gebracht. Daran ist gar nichts auszusetzen. Dann sollte man jetzt aber auch die Konsequenzen tragen und den Ausbau der Strecken zwischen den Knotenpunkten mittragen, der - leider - auch viele Tunnels beinhaltet. In der Schweiz ist es nicht anders.  

Der Filder-Gäubahn-Tunnel jedoch ist ein Kind von Stuttgart 21. Dieser Tunnel dient dazu, die unzulängliche Planung von Stuttgart 21 ein Stück weit zu heilen, ohne dass es allerdings gelingt, die Fehler wirklich mit einem überzeugenden Entwurf auszumerzen. Vielmehr gelingt es lediglich, einige Engstellen zu umgehen, nur um dann wieder vor der nächsten Engstelle zu landen und zu kapitulieren.

Fazit
Der neue Nordzulauf-Tunnel zum Bahnknoten Stuttgart sollte gebaut werden. Dieser Tunnel ist nicht ohne Grund auch bereits im Bundesverkehrswegeplan enthalten. Eine Nutzen-Kosten-Betrachtung hat bereits den Wert von über 1 erbracht.

Dagegen wird es alleine schon aus baulogistischen Gründen kaum möglich sein, gleichzeitig zum neuen Nordzulauf-Tunnel auch noch einen ebenso langen Filder-Gäubahn-Tunnel zu bauen. Dieser Tunnel ist explizit bisher nicht in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen worden. Eine Nutzen-Kosten-Betrachtung steht zudem noch aus. Wegen der mangelnden Zukunftsfähigkeit und wegen der mangelnden Eignung des Tunnels für den Deutschlandtakt darf der Filder-Gäubahn-Tunnel nicht gebaut werden.

          

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.