Ja!. Der erst vor wenigen Tagen erneut lancierte Vorschlag, die S-Bahnlinie S1 von Herrenberg auf direktem Wege nach Nagold zu verlängern, hat sehr wohl etwas mit dem Projekt Stuttgart 21 zu tun. Das wollen wir heute herausarbeiten.
Die Zeitung "Schwarzwälder Bote" hat ausführlich über diesen neuen, alten Vorschlag berichtet. Demnach haben zwei Rentner aus Nagold die Verlängerung der S1 auf direktem Wege von Herrenberg nach Nagold erneut in die Diskussion gebracht. Das Vorhaben dürfte um die 300 Mio. Euro kosten und auch einen ca. drei Kilometer langen Tunnel beinhalten.
Der Gemeinderat von Nagold hat sich mit diesem Vorschlag befasst und ihn abgelehnt. Man will in Nagold einem Metropolexpress von Nagold über Hochdorf und Eutingen im Gäu nach Herrenberg und Stuttgart den Vorzug geben. Dieses Vorhaben lässt sich wohl schneller verwirklichen als der Vorschlag einer direkten S-Bahnverbindung.
Nun haben beide Varianten - die direkte S-Bahn-Verbindung wie auch der etwas umwegig geführte Metropolexpress ihre Vor- und Nachteile. Darum soll es heute jedoch gar nicht gehen.
Heute geht es um die Struktur von Bahnnetzen. Und da gibt es bei den Bahnnetzen in der Region Stuttgart durchaus Auffälligkeiten, dass nämlich diese Bahnnetze allesamt ungünstig strukturiert sind.
Die Baum-Analogie
Wählen wir die Baum-Analogie. Ein Baum besteht aus einem Stamm, aus Ästen und aus Zweigen. Die Natur selbst sorgt dafür, dass Stamm, Äste und Zweige in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen, so dass der Baum nicht beim ersten Windstoß umfällt.
Auch bei den Schienennetzen gibt es Stammstrecken, Streckenäste und Streckenzweige. Hier ist es nicht die Natur, sondern der planende Mensch, der für ein ausgewogenes Verhältnis sorgen muss. Das aber ist in der Region Stuttgart leider nicht vorhanden. Solange der Kern eines Netzes unterdimensioniert ist, darf man an neue Streckenzweige und Streckenverlängerungen gar nicht denken.
Die Stuttgarter Stadtbahn hat nur zwei Stammstrecken
Kommen wir als erstes zum Stuttgarter Stadtbahnnetz. Als Einziges unter den städtischen Schienenverkehrsnetzen in den vergleichbaren Großstädten hat die Stuttgarter Stadtbahn nur zwei Stammstrecken. Die Netze in den anderen Großstädten haben alle drei oder mehr Stammstrecken.
Das führt in Stuttgart dazu, dass das Stadtbahnetz überlastet, unflexibel und nicht erweiterbar ist. Auch für die Stuttgarter Stadtbahn gibt es zahlreiche Vorschläge für neue Streckenzweige. Denjenigen, die diese Vorschläge unterbreiten, möchte man jedoch zurufen, das erst mal zu unterlassen und sich erst mal für die Stärkung des Kerns des Stadtbahnnetzes einzusetzen.
Das Netz der Stuttgarter S-Bahn ist an vielen Stellen unterdimensioniert
Im Jahr 1992 wurde die Stuttgarter S-Bahn nach Herrenberg verlängert. Dort ist die Stuttgarter S-Bahn aber bis heute nicht richtig angekommen. Denn nach wie vor gibt es bei der S1 zwischen Böblingen und Herrenberg Taktlücken. Wegen eines Fernzugs, der auf demselben Gleis fährt, ist der 15-Minuten-Takt der S1 immer wieder fahrplanmäßig unterbrochen.
Solche Taktlücken gehören zu den fahrgastunfreundlichsten Schikanen, die man sich ausdenken kann. Ein drittes Gleis zwischen Böbingen und Herrenberg, mit dem die Taktlücken beseitigt werden können, ist längst überfällig. Solange es aber dieses dritte Gleis nicht gibt und solange diese Taktlücken weiterbestehen, braucht man an eine Verlängerung der S1 von Herrenberg nach Nagold erst gar nicht zu denken.
Auch die (einzige) Stammstrecke der Stuttgarter S-Bahn ist überlastet. Nicht zuletzt wegen Stuttgart 21 ist eine zweite Stammstrecke für die Stuttgarter S-Bahn in weiter Ferne. Man kann jedoch eine allererste Stufe hin zu einer zweiten Stammstrecke begehen, indem man in einem ergänzenden Kopfbahnhof beim Stuttgarter Hauptbahnhof auch zwei Gleise für die S-Bahn einrichtet. Diese beiden Gleise werden dann selbstverständlich erst mal im Störungsfall von der S-Bahn genutzt. Darüber hinaus werden jedoch zukünftig auch bestimmte S-Bahnzüge planmäßig im Kopfbahnhof enden und so die Stammstrecke entlasten.
Einer der ganz wenigen Politiker, die diese Netzstruktur-Zusammenhänge zu verstehen scheinen, ist der baden-württembergische Verkehrsminister Hermann. Denn Hermann fordert genau diese zusätzlichen Gleise für die S-Bahn in einem ergänzenden Kopfbahnhof beim Stuttgarter Hauptbahnhof.
Auch Stuttgart 21 ist - wer hätte das gedacht? - unterdimensioniert
Bis heute wird gerätselt, warum ausgerechnet Stuttgart und die Region Stuttgart so unter der Unterdimensionierung ihrer Schienennetze leiden, einer Unterdimensionierung, die sich vor allem in einem zu schwachen Stamm äußert. Liegt es an der schwäbischen Mentalität oder hat Stuttgart in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg mit seinen Politikern und Planern einfach Pech gehabt?
Stuttgart 21 ist unterdimensioniert, was die Zahl der Bahnsteiggleise im Stuttgarter Hauptbahnhof betrifft. Das haben wir ja in diesem Blog schon vielfach gesehen. So benötigt der Stuttgarter Hauptbahnhof für einen Vollknoten im Rahmen des Deutschlandtakts mindestens 14 Bahnsteiggleise, wobei hier immer noch einige Bahnsteiggleise des Tiefbahnhofs doppelt belegt sind und einige Züge des Rendezvous in einen Warteraum geschickt werden müssen. Auch bei der Zahl der Zu-/Ablaufgleise zum Stuttgarter Hauptbahnhof ist Stuttgart 21 unterdimensioniert. Für einen Vollknoten im Rahmen des Deutschlandtakts benötigt der Stuttgarter Hauptbahnhof 12 Zu-/Ablaufgleise. Das sind vier mehr als bisher bei Stuttgart 21 geplant.
Stuttgart 21 raubt der Gäubahn ihre eigenen Zulaufgleise zum Stuttgarter Hauptbahnhof
Nach den immer noch nicht offiziell stornierten Planungen wird die Gäubahn im Rahmen von Stuttgart 21 ihre eigenen Zulaufgleise zum Stuttgarter Hauptbahnhof verlieren. Statt dessen werden die Gleise der Gäubahn bei den bisherigen Stuttgart 21-Planungen in den Flaschenhals Fildertunnel geleitet. Das gilt sowohl bei der alten "Filder-Murks-Planung" als auch beim neuen Vorschlag für einen weiteren 10 bis 12 Kilomter langen Tunnel für die Gäubahn auf den Fildern.
Das aber wirkt sich dann auch auf die Gäubahn bis Herrenberg sowie auf die S1 negativ aus. Denn der Verlust der eigenen Zulaufgleise für die Gäubahn zum Hauptbahnhof bedeutet eine Zunahme der Verspätungen für die Gäubahn und damit auch eine Zunahme der Verspätungen für die S-Bahnlinie S1.
Solange also die Führung der Gäubahn über den Flaschenhals Fildertunnel noch nicht vom Tisch ist und in der Folge eine Zunahme der Verspätungen bei der Gäubahn und bei der S1 droht, ist an eine direkte Verlängerung der S1 bis Nagold überhaupt nicht zu denken.
Für was sollte man sich aus Nagolder Sicht engagieren?
Eine direkte Verlängerung der S1 nach Nagold ist erst mal tabu. Die Pläne dafür sollte man in den Schubladen lassen. An erster Stelle der Agenda steht die Stärkung des Kerns der Stuttgarter Bahnnetze. Nur wenn der Kern gestärkt ist, kann man dann auch mal wieder an Streckenverlängerungen und neue Streckenzweige denken.
Konkret bedeutet dies, dass erst mal das dritte Gleis zwischen Böblingen und Herrenberg gebaut werden muss und die Gäubahn ihre eigenen Zulaufgleise zum Stuttgarter Hauptbahnhof auch beim Projekt Stuttgart 21 behalten muss.
Engagieren sollte man sich in Nagold auch für eine Verlängerung des Metropolexpress Stuttgart-Calw bis Nagold. So gibt es eine weitere Anbindung des Raums Nagold an den Großraum Stuttgart, diesmal an den wichtigen Nordraum mit seinen zahlreichen Arbeitsplätzen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.