Sonntag, 24. Februar 2013

Ohne Klarheit und Einvernehmen über die Prämissen keine Diskussion über Stuttgart 21-Alternativen

Die Sendung "Eisenbahnromantik" des SWR befasste sich am 23.02.2013 mit dem Thema der Alternativen zu Stuttgart 21. Hierbei wurde auch ein Vorschlag für einen neuen Fernbahnhof in Untertürkheim vorgestellt. Dieser Vorschlag kam ein wenig wie der Blitz aus heiterem Himmel. Denn in der großen Bürgerbewegung gegen Stuttgart 21 wurde ein solcher Vorschlag bisher nicht thematisiert.

Zunächst einmal sollten wir jedoch den Autoren dieser Ausgabe der Sendung Eisenbahnromantik für ihren Mut danken, das Thema der Alternativen zu Stuttgart 21 aufzugreifen. Das ist ja im schwierigen Umfeld des SWR nicht selbstverständlich.

Kommen wir zunächst mal ganz kurz zu dem in der Sendung vorgestellten Ausbau des Bahnknotens Stuttgart in der Form eines neuen, zusätzlich zum Kopfbahnhof zu bauenden Fernverkehrsbahnhof in S-Untertürkheim, der in Richtung Norden über die bestehende Güterzugumgehungsbahn und in Richtung Süden über einen Tunnel nach Wendlingen angeschlossen werden soll.


Diese Ausbauvariante des Bahnknotens Stuttgart kann man erst dann bewerten, wenn Zahlen über die auftretenden Fahrzeitgewinne und Fahrzeitverluste vorliegen. Für die im Fernverkehr in Stuttgart durchfahrenden Fahrgäste würde ein neuer Fernbahnhof in Untertürkheim Zeitvorteile bringen. Denn die Fahrtstrecke verkürzt sich gegenüber dem bestehenden Zustand und die Aufenthaltszeit im Bahnhof wird ebenfalls um vielleicht eine Minute kürzer. Für die Fahrgäste, die in Stuttgart in den Fernverkehr einsteigen oder aussteigen, wird es jedoch mehrheitlich Verlängerungen bei der Reisezeit geben.

Fernbahnhof Untertürkheim führt nicht nur zu Fahrzeitgewinnen
Das hängt zunächst einmal damit zusammen, dass ein Fernverkehrsbahnhof in Untertürkheim nicht so zentral liegt wie der Kopfbahnhof und dass sich deshalb der Anreiseweg für viele Fahrgäste verlängert. Bei einem neuen Fernverkehrsbahnhof Untertürkheim halten zudem bei weitem nicht so viele S-Bahn, Stadtbahn- und Buslinien wie beim Kopfbahnhof. Die Stuttgarter Fahrgäste haben also neben dem längeren Anreiseweg auch noch damit zu kämpfen, dass sie häufiger umsteigen müssen. Das zusätzlich erforderlich werdende Umsteigen verlängert die Reisezeiten enorm.

Eine weitere Gruppe von Reisenden kommt mit den Regionalzügen aus dem ganzen Land und steigt in Stuttgart in den Fernverkehr um. Auch für diese Fahrgäste ergeben sich bei einem Fernverkehrsbahnhof Untertürkheim Reisezeitverlängerungen. Denn bei weitem nicht alle Regionalzüge werden in Untertürkheim halten. Daraus folgt, dass viele Reisende zukünftig zweimal umsteigen müssen, um zum Fernverkehr zu kommen.

Es wird also eine ganz nüchterne Analyse sein, die über Ja oder Nein zu einem Fernverkehrsbahnhof Untertürkheim entscheiden wird. Überwiegen die Reisezeitvorteile durch den Fernverkehrsbahnhof, könnte er möglicherweise gebaut werden. Überwiegen jedoch die Reisezeitverlängerungen, darf dieser Bahnhof auf keinen Fall gebaut werden.

Ohne Prämissen hängt ein alternativer Ausbauvorschlag in der Luft
Das soll es erst mal gewesen sein an konkreten Kommentaren zum Vorschlag eines Fernverkehrsbahnhofs Untertürkheim. Jetzt gilt es, einige ganz allgemeine Feststellungen zu den Stuttgart 21-Alternativen zu treffen. Beim Vorschlag des Fernverkehrsbahnhofs Untertürkheim hatte man den Eindruck, dass diese Stuttgart 21-Alternative irgendwie in der Luft hängt, dass sie einen etwas hemdsärmeligen Charakter hat - übrigens genauso wie dies beim Projekt Stuttgart 21 selbst der Fall ist.

Die Ursache ist schnell klar. Mit dem Vorschlag eines neuen Fernverkehrsbahnhofs in Untertürkheim wird im Grunde der zweite Schritt vor dem ersten gemacht. Und der erste Schritt heißt: Es sind erst einmal die Prämissen festzulegen, die den Ausbauvarianten des Bahnknotens Stuttgart und somit den Alternativen zu Stuttgart 21 zugrundeliegen sollen.

Ich erhebe hier in diesem Blog in keinster Weise den Anspruch, die richtigen Prämissen für den Ausbau des Bahnknotens Stuttgart zu nennen oder die Prämissen vollständig zu nennen. Wie jeder und jede Andere auch darf ich jedoch versuchen, verschiedene Prämissen zu formulieren. Das will ich jetzt mal tun. 

1. Der Ausbau des Bahnknotens Stuttgart muss etapierbar sein
Ein Alles-oder-Nichts-Projekt wie Stuttgart 21 beinhaltet unabsehbare Gefahren. Eventuelle Nutzen fallen erst nach Jahrzehnten an. Die Wahrscheinlichkeit, irgendwann während der langen Bauzeit als Bauruine zu enden, ist hoch. Alle Alternativen zu Stuttgart 21 müssen deshalb etapierbar sein. Sie müssen aus einzelnen Modulen bestehen, die jeweils für sich genommen gebaut werden können und einen eigenständigen verkehrlichen Nutzen entfalten. 

2. Der bestehende Kopfbahnhof muss erhalten bleiben
Ein Kopfbahnhof hat viele Vorteile. Andere Städte wären froh, wenn sie auch einen Kopfbahnhof hätten. Die Prämisse des Erhalts der Kopfbahnhofs schließt jedoch nicht aus, dass irgendwann ein zweiter Bahnhof zusätzlich zum Kopfbahnhof gebaut wird. Sie schließt auch nicht aus, dass ein zusätzlicher Durchgangsbahnhof parallel zur Gleisachse des Kopfbahnhofs nach dem Vorbild der Zürcher Durchmesserlinie gebaut wird. 

3. Der Ausbau des Bahnknotens Stuttgart muss tatsächlich ein Ausbau sein
Eine Analyse Dutzender europäischer Bahnprojekte zeigt, dass all diese Projekte tatsächlich Ausbauprojekte in dem Sinne sind, dass die Kapazität für den Bahnverkehr erhöht wird, dass zusätzliche Bahnhofsgleise gebaut werden und dass zusätzliche Streckengleise gebaut werden. Stuttgart 21 sticht unter all diesen Projekte hervor dadurch, dass hier Bahnanlagen und Kapazität reduziert werden. Die Alternative zu Stuttgart 21 muss so geartet sein, wie Bahnprojekte in Europa üblicherweise geartet sind. Sie muss einen tatsächlichen Ausbau beinhalten.

4. Der Stuttgarter Flughafen wird nicht an den Fernverkehr angeschlossen
Eine Analyse der Bahnanbindung der europäischen Flughäfen zeigt, dass Flughäfen von der Größe des Stuttgarter Flughafens nicht an den Fernverkehr angeschlossen werden. Das Fluggastaufkommen ist viel zu klein, um den Schienenanschluss zu rechtfertigen. Der für die Fernzüge erforderliche Umweg ist zu groß, die für die Flughafenanbindung erforderlichen Tunnel sind zu kostspielig, die erforderlichen Flughafenbahnhöfe verschlingen enorme Wartungskosten ohne adäquate Nutzen. Die typische und erfolgversprechendste Anbindung von Flughäfen in der Größe des Stuttgarter Flughafens ist über eine Express-S-Bahn oder ein anderes innovatives Verkehrsmittel an den nächstgelegenen Bahnknoten bzw. an mehrere nächstgelegene Bahnknoten. 

5. Die Förderung des Schienengüterverkehrs ist gleichrangig mit der Förderung des Schienenfernverkehrs
Wenn man schon das Wort Magistrale in den Mund nimmt, dann muss man den Güterverkehr genauso im Auge haben wie den Personenfernverkehr. Das will auch die EU. Investitionen in den Güterverkehr können wesentlich größere Effekte in Sachen Energieverbrauch, CO²-Emmissionen und Nutzen-Kosten-Verhältnis haben als gleich hohe Investitionen in den Personenfernverkehr. Bei den Alternativen zum Ausbau des Bahnknotens Stuttgart und des Bahnkorridors Stuttgart-Ulm muss der Schienengüterverkehr eine größere Rolle spielen als bei Stuttgart 21 und der NBS Wendlingen-Ulm.      

6. Der Ausbau des Bahnknotens Stuttgart muss auch die Defizite bei S-Bahn und Stadtbahn beseitigen 
Das kleinste S-Bahnnetz aller vergleichbaren Regionen, keine Pläne zur Entlastung der überlasteten Stammstrecke der S-Bahn, im Stadtbahnnetz eine Stammstrecke zu wenig, kein urbanes Niederflur-Straßenbahnnetz - die Defizite im Nahverkehr der Region Stuttgart sind umfangreich. Ein Ausbau des Bahnknotens Stuttgart darf deshalb den Ausbau des Nahverkehrs der Region Stuttgart und die Beseitigung von dessen Defiziten nicht außer Acht lassen.      

7. Der Ausbau des Nahverkehrs in der Region Stuttgart hat Vorrang vor Investitionen in die Magistrale
Über 95 Prozent aller Fahrten in der Region Stuttgart finden nicht im Fernverkehr, sondern mit dem Regionalverkehr, mit der S-Bahn, mit der Stadtbahn und mit dem Bus statt. Gleichzeitig haben wir aber im Post vom 12.02.2013 in diesem Blog gesehen, dass in der Region Stuttgart im Vergleich mit anderen Regionen noch viel zu wenig mit dem öffentlichen Verkehr gefahren wird. 

Vor diesem Hintergrund darf es nicht sein, dass Milliarden in den Ausbau der Magistrale Paris-Bratislava (oder auch Frankfurt-München) gesteckt werden, während gleichzeitig die für die Umwelt und die Volkswirtschaft viel wichtigeren Invesitionen in den Nah- und Regionalverkehr der Region Stuttgart auf Sparflamme gehalten werden. 

Alternativen zu Stuttgart 21, die die Prämissen berücksichtigen
Ich habe in diesem Blog bereits wiederholt verschiedene Module innerhalb von Alternativen zu Stuttgart 21 sowie zur NBS Wendlingen-Ulm beschrieben. An erster Stelle standen und stehen hierbei die Express-S-Bahn vom Kopfbahnhof über S-Vaihingen, den Flughafen und Wendlingen nach Plochingen sowie der 10 Kilometer lange Umfahrungstunnel der Geislinger Steige. Hierbei habe ich aber stets Wert darauf gelegt, dass als Erstes Prämissen definiert werden und dass sich die Module und Alternativen im Rahmen der vorher definierten Prämissen bewegen.

Fazit Die weitere Vorgehensweise muss somit klar sein. Es bringt wenig, wenn jetzt jede Woche eine neue Alternative zu Stuttgart 21 durch die Stadt getrieben wird. An erster Stelle der Agenda muss die Diskussion und letztendlich das Einvernehmen über die Prämissen eines Ausbaus des Bahnknotens Stuttgart stehen. Bis hierzu ein Ergebnis vorliegt, muss der Kopfbahnhof wieder in den Zustand gebracht werden, wie er vor dem Beginn der Stuttgart 21-Vorbereitungsarbeiten bestanden hat - einschließlich einer ersten Mindestmodernisierung. (= K20).
      

     

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