Die von der Bahn präsentierten Kosten für das Weiterführen bzw. für das Aus von Stuttgart 21 sind so nah beieinander, dass dem Land Baden-Württemberg und der Landeshauptstadt Stuttgart als Vertragspartner jetzt eine ganz wichtige Bedeutung für das weitere Schicksal von Stuttgart 21 zukommt.
Entsprechend der Auskunft des Vorsitzenden des Verkehrsausschusses des Bundestags, Anton Hofreiter, liegen nur noch 77 Millionen Euro Unterschied in der Wirtschaftlichkeit für die Bahn zwischen der Weiterführung und dem Stopp von Stuttgart 21. Dies ist umso bemerkenswerter, als ja die Gesamtkosten für Stuttgart 21 von der Bahn zur Zeit mit 6,8 Milliarden Euro angegeben werden. Diese Gesamtkosten würden sich bis zu einer Projektfertigstellung jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit verdoppeln. Die DEUTSCHE WIRTSCHAFTS NACHRICHTEN berichten zudem online, dass Stuttgart 21, würde es fertiggestellt, für die Bahn auf Dauer unwirtschaftlich wäre.
Diese Zahlen kann man auch dahingehend interpretieren, dass die Bahn und der Bund jetzt die Projektpartner Land und Stadt um eine kleine finanzielle Hilfe für den Ausstieg aus Stuttgart 21 gebeten haben. Ursprünglich wollte sich das Land BW mit 823 Mio Euro und weiteren Subventionen an Stuttgart 21 beteiligen. Die Stadt wollte sich mit 238 Mio Euro direkt und mit über 700 Mio indirekt über Grundstückskäufe beteiligen. Im Vergleich zu diesen Riesensummen nehmen sich die 77 Millionen Euro, die jetzt noch für das Aus von Stuttgart 21 fehlen, wie Peanuts aus.
Das Land und die Stadt können als Projektpartner von Stuttgart 21 der Bahn beim Ausstieg aus Stuttgart 21 in vielfältiger Weise helfen. Das wurde in diesem Blog bereits ausführlich dargestellt.
Das Land übernimmt den Stuttgart 21-Abschnitt Plieningen-Wendlingen
Das Land kann zum Beispiel den Planfeststellungsabschnitt 1.4 von Stuttgart 21 (von S-Plieningen bis Wendlingen) von der Bahn abkaufen und dort die dringend erforderliche Express-S-Bahn vom Flughafen nach Wendlingen bauen. Konkret würde das Land der Bahn alle bisher für diesen Planfeststellungsabschnitt angefallenen Planungs- und Baukosten ersetzen und die Bahn dann mit dem Weiterbau beauftragen. Ebenfalls mit im Finanzierungsboot sitzen hierzu noch der Flughafen und der Verband Region Stuttgart. Ähnlich könnten das Land und der Verband Region Stuttgart in Bezug auf das fünfte und sechste Gleis zwischen Bad Cannstatt und dem Kopfbahnhof (für die S-Bahn) verfahren.
Die Stadt hat Spielraum bei den Grundstücksgeschäften
Die Stadt kann über die Grundstücksgeschäfte der Bahn entgegenkommen. Es müssen ja bei weitem nicht alle Grundstücksgeschäfte rückgängig gemacht werden, weil nicht wenige Grundstücke auch ohne Stuttgart 21 bebaut werden können. Die Stadt kann der Bahn zudem einen Beitrag für die Modernisierung des Kopfbahnhofs leisten. Das ist keine unzulässige Subvention. Vielmehr geht es konkret darum, dass die Fußgängerunterführung in der Mitte der Bahnsteige neu gebaut werden muss und hierbei die Unterführung bis zum Schlossgarten und bis ins A1-Gebiet verlängert wird. Damit dient die Unterführung zukünftig allen Fußgängern in Stuttgart, auch denjenigen, die keine Bahnreisenden sind.
Ministerpräsident Kretschman und Oberbürgermeister Kuhn haben es also jetzt in der Hand, Land und Stadt vor einem geradezu biblischen Schaden zu bewahren. Sie haben es auch in der Hand, Schaden von der Eisenbahn der Bundesrepublik Deutschland und vom deutschen Staat abzuwenden. Der Bau von Stuttgart 21 würde nicht nur der Bundeseisenbahn einen Verlustbringer für die kommenden hundert Jahre bescheren. Er wäre auch das Aus für eine attraktive und bezahlbare Eisenbahn in Deutschland und er würde Stuttgart und Baden-Württemberg endgültig in den Verkehrsschatten und in das städtebauliche Desaster werfen.
Nun könnte von Kretschmann und von Kuhn der Einwand kommen, dass ihnen die (politischen) Hände gebunden seien und sie deshalb hier nicht tätig werden könnten.
Wie lange soll die Volksabstimmung gültig sein?
Kretschmann könnte vielleicht zum wiederholten Mal die Volksabstimmung zu Stuttgart 21 ins Feld führen. In Bezug auf die Volksabstimmung stellt sich jedoch eine Kardinalfrage: Wie lange soll denn, bitte schön, die Volksabstimmung gültig sein? Soll sie ein Jahr, drei Jahre, fünf Jahre, zwanzig Jahre, hundert Jahre oder bis in alle Ewigkeit gültig sein?
Eine Aussage zur Dauer der Gültigkeit der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 macht das betreffende Gesetz nicht. Die gehandhabte Praxis bei Wahlen und Abstimmungen ist jedoch, dass die Dauer der Gültigkeit zeitlich begrenzt ist. Wahlen haben eine Gültigkeit zwischen vier und acht Jahren. Sehen wir mal nach Bayern, das in Sachen direkte Demokratie weit voraus ist. Ein Bürgerentscheid darf dort innerhalb eines Jahres nur durch einen neuen Bürgerentscheid geändert werden, es sei denn, die entsprechende Sach- oder Rechtslage hat sich grundlegend verändert.
Das Beispiel aus Bayern zeigt somit zwei Dinge auf. Die Gültigkeitsdauer von Bürgerentscheiden ist mit der Bindungswirkung von nur einem Jahr relativ stark begrenzt. Zudem kann ein Bürgerentscheid auch innerhalb des ersten Jahres jederzeit aufgehoben werden, wenn sich entscheidende Fakten geändert haben.
Da das Gesetz zur Volksabstimmung zu Stuttgart 21 keine Aussagen über die Gültigkeitsdauer der Abstimmung trifft und da anderseits diese Volksabstimmung selbstredend nicht für alle Ewigkeit gelten kann, stellt sich die Frage nach den Kriterien für das Ende der Gültigkeit der Volksabstimmung. Dies können zeitliche und sachliche Kriterien sein. Als zeitliches Kriterium kann angenommen werden, dass eine Volksabstimmung nicht länger gültig sein kann als eine Legislaturperiode (somit maximal vier Jahre). Als sachliches Kriterium kann angenommen werden, dass die Volksabstimmung mit dem Eintreten wesentlicher neuer Kriterien zum Sachverhalt, über den abgestimmt wurde, ungültig wird.
Das angenommene zeitliche Kriterium für die Ungültigkeit der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 ist noch nicht erfüllt. Jedoch sind die sachlichen Kriterien erfüllt (Stichwort: neuer Sachstand zu den Kosten, zur Leistungsfähigkeit und zur Wirtschaftlichkeit). Von daher ist die Volksabstimmung zu Stuttgart 21 ab sofort nicht mehr gültig.
OB Fritz Kuhn im Spannungsfeld zwischen Volksabstimmung und Aufsichtsratsvorsitz
Fritz Kuhn hat sein Handeln als OB in Stuttgart auch immer wieder vom Ergebnis der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 abhängig gemacht. Für den Stuttgarter OB gilt in Sachen der Gültigkeitsdauer der Volksabstimmung selbstverständlich dasselbe wie für das Land.
Es kommt jedoch hinzu, dass die Volksabstimmung ausschließlich eine Sache des Stuttgart 21-Vertragspartners Land war. Dieser Vertragspartner ließ in der Volksabstimmung darüber abstimmen, ob das Land seinen Finanzierungsanteil an Stuttgart 21 zurückziehen solle. Kuhn ist jedoch nicht Repräsentant des Stuttgart 21-Vertragspartners Land, sondern der oberste Repräsentant des Stuttgart 21-Vertragsparters Stadt Stuttgart. Der Stuttgart 21-Vertragspartner Stadt hat bisher keine Bürgerbefragung zu Stuttgart 21 durchgeführt. Im Gegenteil: Der Vorgänger von Fritz Kuhn hat ein Bürgerbegehren mit fast 70.000 Unterschriften ins Leere laufen lassen. Fritz Kuhn konnte und kann sich somit in keinster Weise in Bezug auf sein Handeln zu Stuttgart 21 auf die Volksabstimmung des Landes berufen.
Die Grünen-Bundespolitikerin Renate Künast hat jetzt angekündigt, dass bei einer Regierungsbeteiligung der Grünen in der kommenden Legislaturperiode des Bundes der Aufsichtsrat der Bahn nicht entlastet werden wird, sollte er einer Fortführung von Stuttgart 21 zustimmen. In diesem Fall kommen auf den Aufsichtsrat der Bahn also Haftungsklagen zu.
Nun ist Fritz Kuhn der Aufsichtsratsvorsitzende der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB). Was für den Aufsichtsrat der Bahn gilt, hat auch für den Aufsichtsrat der SSB Gültigkeit. Sollte der Aufsichtsrat der SSB den Bau des vollkommen unnötigen, Stuttgart21-bedingten, Stadtbahntunnels neben der Heilbronner Straße und durch das A1-Gebiet jetzt nicht stoppen, muss auch für diesen Aufsichtsrat die Haftungsfrage geklärt werden
Fazit
Winfried Kretschmann und Fritz Kuhn haben es also jetzt in der Hand und sie haben jetzt die Pflicht, durch ein minimales Entgegenkommen an die Bahn den Ausstieg aus Stuttgart 21 zu ermöglichen. Diese Chance jetzt nicht zu ergreifen und dieser Pflicht jetzt nicht zu genügen, wäre töricht und würde dem Land und der Stadt wie auch der Eisenbahn in den kommenden hundert Jahren einen riesigen Schaden zufügen. .
Ergänzung vom 28.02.2012, 20 Uhr
In einem Interview mit den Stuttgarter Nachrichten hat der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Bahn, Alexander Kirchner, jetzt genau das bestätigt, was in diesem Artikel dargestellt wird. Herr Kirchner wartet darauf, dass Stadt und Land ihm erklären, dass sie einen Teil der Ausstiegskosten übernehmen wollen. Zudem sollen Stadt und Land ihm Alternativen erklären und ihm sagen, wie ein Teil der von Stadt und Land für Stuttgart 21 vorgesehenen Mittel auch für die Alternativen weiterverwendet werden kann.
Also, Herr Kretschmann und Herr Kuhn, worauf warten Sie noch. Besteigen Sie das Flugzeug oder den Zug und fahren Sie nach Berlin. Herr Kirchner wartet noch bis kommenden Montag.
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