Im letzten Post ging es um den Gotthard-Basistunnel. Es wurde klar, dass dieses viele Milliarden Euro teure Jahrhundertvorhaben nur mit großen Einschränkungen in der Lage sein wird, die verkehrlichen Erwartungen zu erfüllen.
Die im letzten Post angestellten Überlegungen sollen jetzt auf die Neubaustrecke Wendlingen - Ulm übertragen werden.
Die Neubaustrecke Wendlingen - Ulm hat eine Länge von 58 Kilometern. Die Geschwindigkeit der ICE wird mit 250 km/h angenommen. Auf einem Teil der Steigungsstrecke über die Schwäbische Alb werden die ICE die 250 km/h nicht ganz erreichen können. Dieser Effekt wird für die folgende Berechnung vernachlässigt.
Güterzüge fahren heute und auch in Zukunft 80 bis 100 km/h schnell. Während bei der Berechnung für den Gotthard-Basistunnel im letzten Post eine Geschwindigkeit der Güterzüge von 100 km/h angenommen wurde (Gotthard-Basistunnel = Flachbahn), kann für die NBS Wendlingen - Ulm nur eine Geschwindigkeit von 80 km/h angenommen werden. Denn diese Strecke ist sehr steil, steiler noch als die bestehende Geislinger Steige und bei dieser Steilheit können die Güterzüge nicht 100 km/h fahren.
Die Güterzüge fahren bei Wendlingen über die sogenannte Kleine Wendlinger Kurve, von Plochingen her kommend, auf die Neubaustrecke auf. Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 80 km/h benötigen die Güterzüge für die 58 Kilometer lange Strecke 43 Minuten. Im Verlauf der Strecke gibt es keine Ausweichmöglichkeiten.
Die ICE benötigen für die 58 Kilometer lange Strecke eine Fahrzeit von 16 Minuten. Hierbei ist das Anhalten im Bahnhof Ulm mit einer Bremsverzögerung von 0,5 m/s² berücksichtigt.
Als Fahrplan ist für die Neubaustrecke ein Halbstundentakt im ICE-Verkehr vorgesehen. Nehmen wir mal an, dass ein ICE zur Minute 00 bei Wendlingen auf die Neubaustrecke einfährt. Dieser ICE ist dann zur Minute 16 in Ulm. Ein Güterzug könnte frühestens zur Minute 05 als Folgezug über die Kleine Wendlinger Kurve auf die Neubaustrecke einfahren. Dieser Güterzug ist dann zur Minute 48 in Ulm. Der nächste ICE fährt zur Minute 30 bei Wendlingen in die Neubaustrecke ein. Dieser ICE ist zur Minute 46 in Ulm. Aber halt! Zu dieser Minute ist der vorherfahrende Güterzug ja noch auf der Strecke. Der ICE kann also zur Minute 46 gar nicht in Ulm sein. Vielmehr muss der ICE hinter dem Güterzug auf der freien Strecke warten.
Damit haben wir dieselben Betriebsverhältnisse, wie sie auch beim 250 km/h-Verkehr im Gotthard-Basistunnel auftreten würden: der ICE läuft auf den Güterzug auf. Oder anders ausgedrückt: Güterzüge haben auf der Neubaustrecke Wendlingen - Ulm keinen Platz.
Dies gilt umso mehr, als ja bisher nur die beiden ICE pro Stunde und Richtung berücksichtigt worden sind. Das Land BW will jedoch auf der Neubaustrecke auch Regionalverkehr betreiben und zum Beispiel einen IRE mit 160 km/h über Ulm nach Lindau führen. Dieser IRE hätte zwischen den ICE tatsächlich Platz, denn seine Geschwindigkeit von 160 km/h ist näher an den 250 km/h der ICE als die Geschwindigkeit der Güterzüge.
Auf einem anderen Blatt steht, wie oft der IRE fahren kann. Bei der Neubaustrecke Nürnberg-Ingolstadt kann ein entsprechendes Angebot nur alle zwei Stunden gefahren werden. Dies führt zu teilweise übervollen Zügen. Der Grund für den Zwei-Stunden-Takt ist, dass die Trassenpreise der tunnelreichen Neubaustrecke Nürnberg-Ingolstadt so hoch sind, dass der Freistaat Bayern als Besteller des Regionalverkehrs sich den Stundentakt auf dieser Strecke gar nicht leisten kann. Warum sollte dies bei der noch tunnelreicheren Neubaustrecke Wendlingen - Ulm später mal anders sein?
Kehren wir aber zu den Güterzügen zurück. Beim Sach- und Faktencheck unter dem Schlichter Heiner Geisler waren die Güterzüge im Verlauf der Neubaustrecke Wendlingen - Ulm ja auch das Thema. Dort wurde aber nur darauf abgehoben, dass wegen der starken Steigungen der Neubaustrecke der Güterverkehr kaum stattfinden kann.
Es können nur sogenannte leichte Güterzüge verkehren, also Güterzüge mit einer beschränkten Anhängelast und damit mit vergleichsweise wenigen Wagen. Maßgebend ist der Stillstand eines Güterzugs mitten auf der Steigungsstrecke im Störungsfall. Dann muss die Lok in der Lage sein, den Güterzug aus dem Stand wieder in Bewegung zu setzen.
Beim Sach- und Faktencheck wurde also nur betont, dass die sogenannten leichten Güterzüge unrealistisch und unwirtschaftlich sind und dass deshalb auf der Neubaustrecke zukünftig kein Güterverkehr zu erwarten ist. Nicht ausreichend betont wurde der Aspekt, dass der Güterzugverkehr auch wegen der fehlenden Leistungsfähigkeit der Strecke nicht möglich ist. Die fehlende Leistungsfähigkeit der Strecke resultiert wiederum aus dem großen Geschwindigkeitsunterschied zwischen ICE und Güterzügen und den fehlenden Ausweichstellen im Verlauf der Strecke.
Allenfalls könnten leichte Güterzüge während der Nachtstunden ohne ICE-Verkehr, von Null Uhr bis fünf Uhr, auf der Neubaustrecke verkehren. Während dieser Zeit hat jedoch auch die Filstalbahn genügend freie Kapazität. Und die Trassenpreise der Filstalbahn sind wesentlich günstiger als die Trassenpreise der Neubaustrecke. Deshalb wird kein Güterbahnbetreiber nachts seine Güterzüge (die zudem ganz kurz sein müssten) auf die Neubaustrecke schicken.
Dann gibt es noch die Option von zukünftigen schnellen Güterzügen, die ähnlich schnell wie ICE fahren können, weil sie eine stromlinienförmige Verkleidung wie die ICE aufweisen. Nichts deutet jedoch darauf hin, dass diese Güterzüge in absehbarer Zeit Wirklichkeit werden bzw. dass sie einen wesentlichen Teil des Gütertransports übernehmen können.
Fazit: Die Neubaustrecke Wendlingen - Ulm ist in mehrerer Hinsicht für den Güterverkehr ungeeignet. Die für die Wirtschaftlichkeitsberechnung der Neubaustrecke angesetzten Güterzüge müssten aus der Wirtschaftlichkeitsberechnung sofort wieder herausgenommen werden. Damit wird die Neubaustrecke unwirtschaftlich.
Weiteres Fazit: Die Neubaustrecke Wendlingen - Ulm löst die Probleme des Korridors Stuttgart - Ulm in keinster Weise. Sie bietet keine Lösung für Mobilität zu akzeptablen Preisen. Sie bietet keine Lösung für den Güterverkehr, sie bietet keine Lösung für die Lärmprobleme im Neckar- und Filstal, sie bietet keine Lösung für eine S-Bahn Plochingen - Göppingen. Es ist deshalb dringend erforderlich, dass alternative Konzepte zur Neubaustrecke Wendlingen - Ulm erörtert werden.
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