Stuttgart 21 insgesamt und die Anbindung des Stuttgarter Flughafens innerhalb des Stuttgart 21-Schemas im Besonderen sind hochproblematisch. Nirgendwo sonst auf der Welt soll ein Flughafen einen solchen Klotz ans Bein gebunden bekommen, wie das beim Stuttgarter Flughafen mit Stuttgart 21 der Fall ist.
Mindestens 339,4 Millionen Euro* (siehe Auflistung am Ende des Artikels) soll der Flughafen für Stuttgart 21 bezahlen. Begründet wird dies damit, dass der Stuttgarter Flughafen durch Stuttgart 21 mehr Fluggäste erhält. Nicht beachtet hat man hierbei jedoch, dass der Flughafen mit einer zu Stuttgart 21 alternativen Bahnanbindung wesentlich mehr zusätzliche Fluggäste generieren kann, einer Anbindung, wie sie die erdrückende Mehrzahl der Flughäfen auf der Welt aufweist. Diese Anbindung gäbe es zudem für den Flughafen fast umsonst. Denn sie ist ungleich preiswerter als Stuttgart 21.
Wir haben zudem im Post vom 02.02.2014 in diesem Blog gesehen, dass die Flughafenanbindung im Rahmen von Stuttgart 21 sowie der enorme Betrag, den der Flughafen dafür aufwenden muss, gerade den gegenteiligen Effekt erreichen. Die Zahl der Fluggäste sinkt, weil der Flughafen durch die enorme Last von Stuttgart 21 zum teuersten Flughafen Deutschlands geworden ist und die Fluggesellschaften immer mehr Flüge dort streichen.
Wir wollen uns im heutigen Post in diesem Blog das Stuttgart 21-Prinzip der Flughafenanbindung näher ansehen. Dann wollen wir diesem Prinzip eine Bahnanbindung des Stuttgarter Flughafens gegenüberstellen, die dem Schema entspricht, wie es fast alle Flughäfen der Welt, die über eine Bahnanbindung verfügen, aufweisen.
Flughäfen liegen meist abseits der gewachsenen Bahnstrecken
Die Mehrzahl der Flughäfen weltweit liegt nicht in der Nähe oder direkt an einer Bestandsstrecke der Eisenbahn. Das hat seine Gründe. Die Bahnstrecken wurden im allgemeinen im Verlauf von Siedlungsachsen gebaut, bzw. die Siedlungsachsen haben sich an Bahnstrecken entwickelt. Im Bereich der Siedlungsachsen konnte man aber einen Flughafen nicht bauen. Für einen Flughafen sind größere Flächen erforderlich, die frei von Bebauung sind.
Als Beispiel für einen Flughafen aus der kleinen Gruppe der Flughäfen, die sich direkt an Bestandsstrecken der Eisenbahn befinden, fällt mir spontan der Flughafen London-Gatwick ein. Dieser Flughafen liegt direkt an der Hauptstrecke, die von London aus in Richtung Süden nach Brighton führt. Selbstverständlich verfügt der Flughafen London-Gatwick über einen großen Bahnhof direkt an dieser Hauptstrecke (Erst im Januar 2014 hat dort Transportministerin Baroness Kramer einen siebten Bahnsteig eröffnet.). Bei dieser seltenen Spezies von Flughäfen stellt die Bahnanbindung überhaupt kein Problem dar und man braucht sich darüber gar nicht weiter zu unterhalten.
Der Stuttgarter Flughafen gehört zur zweiten, wesentlich größeren Gruppe der Flughäfen, die nicht an einer gewachsenen Bahnstrecke liegen. Bei diesen Flughäfen muss gegebenenfalls eine Bahnanbindung durch den Bau einer Strecke bzw. von mehreren Strecken erst eingerichtet werden.
Das Stuttgart 21-Prinzip der Flughafenanbindung
Es gilt nun herauszustellen, wodurch die Bahnanbindung des Stuttgarter Flughafens im Rahmen des Projekts Stuttgart 21 charakterisiert ist. Das wesentliche Merkmal des Stuttgart 21-Prinzips ist, dass Bestandsstrecken in ihrem Strecken- und Linienverlauf umgelenkt und über den Flughafen geleitet werden. Damit entfällt die Bestandstrecke im Verlauf der Siedlungsachse, für die und in deren Verlauf sie ursprünglich gebaut worden ist, entweder ganz oder zumindest teilweise.
Dieses Prinzip wird bei Stuttgart 21 bei drei Bestandsstrecken angewandt. Die Gäubahn wird vollständig umgelenkt. Sie fährt nicht mehr über Stuttgart-Vaihingen, sondern über den Flughafen. Nun könnte man hier einwenden, dass die Gäubahn ja gar nicht in Stuttgart-Vaihingen anhält. Das trifft zwar momentan zu. Das sagt aber nichts darüber aus, ob Stuttgart-Vaihingen nicht ein potenziell ganz wichtiger Bahnhof für die Gäubahn ist. Wir haben an anderer Stelle in diesem Blog bereits darauf hingewiesen, dass der Bahnhof Stuttgart-Vaihingen der potenziell zweitwichtigste Bahnhof für die Gäubahn in ihrem gesamten Linienverlauf zwischen dem Stuttgarter Hauptbahnhof und Konstanz ist.
Die Umlenkung einer Bestandstrecke über den Flughafen trifft bei Stuttgart 21 parziell auch auf die Strecke Stuttgart-Tübingen zu. Diese Strecke wird zumindest teilweise aus der gewachsenen Siedlungsachse Bad Cannstatt-Esslingen-Plochingen-Wendlingen auf den Flughafen umgelenkt. Schließlich betrifft die Umlenkung über den Flughafen auch die Strecke von Stuttgart nach Ulm, die aus der dicht besiedelten Achse Bad Cannstatt-Esslingen-Plochingen-Göppingen-Geislingen teilweise entfernt und über den Flughafen umgelenkt wird.
Die Umlenkung von Bestandsstrecken über den Flughafen hat zur unmittelbaren Folge, dass die Bahnbedienung der bestehenden Siedlungsachsen eingestellt oder doch zumindest geschwächt wird. Damit haben Tausende von täglichen Bahnnutzern das Nachsehen zu Gunsten einer kleinen Gruppe von Reisenden, die den Flughafen zum Ziel haben.
Die Umlenkung von Bestandsstrecken über den Flughafen hat im Fall Stuttgart mit der dort gegebenen Topographie auch eine vertikale Komponente. Dies trifft auf die Strecken Stuttgart-Tübingen und Stuttgart-Ulm zu, die mit der Umlenkung über den Flughafen im Vergleich zur Bestandsstrecke viele zusätzliche verlorene Höhenmeter bewältigen müssen. Teilweise ist eine solche Umlenkung der Bestandsstrecken über den Flughafen auch mit einer Verlängerung der Fahrzeiten für diejenigen Reisenden verbunden, die aus der Peripherie ins Zentrum eines Verdichtungsraums fahren wollen. Das trifft bei Stuttgart 21 auf die Gäubahn zu.
Die Umlenkung von Bestandsstrecken aus den Siedlungsachsen heraus zum Flughafen zieht den Bau teurer Tunnels nach sich. Das ist systembedingt so. Denn fast nirgendwo auf der Welt wird man eine Bahnstrecke aus einer Siedlungsachse heraus umlenken und in Richtung Flughafen führen können, ohne dass dafür aufwändige Tunnels erforderlich sind. Damit wird jedoch das Stuttgart 21-Prinzip der Flughafenanbindung auch zu einer sehr teuren Angelegenheit. Es wird sogar so teuer, dass die herkömmlichen Finanzierungsquellen für diese Art der Anbindung nicht ausreichen bzw. dass unter den vorgeschriebenen Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen diese Anbindung unwirtschaftlich ist.
Das ist dann auch der eigentliche Grund dafür, dass das Stuttgart 21-Prinzip der Flughafenanbindung praktisch nirgendwo sonst auf der Welt angewandt wird. In Stuttgart führt dieses Prinzip dazu, dass zusätzliche Finanzierungsquellen erforderlich werden. Bei der Suche nach weiteren Finanzierungsquellen ist man auch auf den Stuttgarter Flughafen gestoßen. Kein anderer Flughafen auf der Welt muss für eine Bahnanbindung einen solchen Betrag aufbringen wie der Stuttgarter Flughafen für Stuttgart 21. Noch extremer wird dieser Fall, wenn man die Aufwendungen in Bezug zur Passagierzahl des Flughafens setzt. Begründet wird dieser exorbitant hohe Betrag damit, dass Stuttgart 21 dem Flughafen zusätzliche Passagiere bringt.
Paradoxerweise tritt als Folge von Stuttgart 21 jedoch genau der gegenteilige Effekt ein. Denn Stuttgart 21 schnürt dem Flughafen in finanzieller Hinsicht die Luft ab. Zwangsweise wird der Stuttgarter Flughafen wegen Stuttgart 21 zum teuersten Flughafen Deutschlands, wenn nicht Europas. Das hat hohe Gebühren und hohe Flugpreise zur Folge. Das wiederum führt dazu, dass die Fluggesellschaften Flüge streichen oder ganz wegbleiben und dass sich die Fluggäste teilweise einen anderen Flughafen suchen (müssen). Diese Entwicklung tritt nicht erst bei einer fernen Inbetriebnahme von Stuttgart 21 ein. Sie ist bereits heute im Gang (siehe hierzu auch den Post vom 02.02.2014 in diesem Blog).
Bahnanbindung des Stuttgarter Flughafens gemäß dem Modell, wie es fast überall auf der Welt angewandt wird.
Das Stuttgart 21-Prinzip der Flughafenanbindung wird nicht ohne Grund fast nirgendwo auf der Welt angewandt. Es gilt nun, auch beim Stuttgarter Flughafen noch rechtzeitig zur Besinnung zu kommen, das Steuer herumzureißen und eine sinnvolle und für alle Seiten nutzbringende Bahnanbindung zu installieren.
Das Prinzip der Bahnanbindung von Flughäfen, wie es bei der überwiegenden Zahl der Flughäfen auf der Welt angewandt wird, besteht darin, dass man den Flughafen mit einer Schnellbahn an eine vorhandene Bahnstrecke bzw. an einen vorhandenen Bahnknotenpunkt anbindet. Wo immer möglich, kann man sogar mehrere Anbindungen des Flughafens an vorhandene Bahnstrecken und Bahnknotenpunkte in der Umgebung herstellen. Maßgebend für die Wahl der Anbindung ist einerseits die Struktur des vorhandenen Bahnnetzes mit seinen Bahnknotenpunkten, andererseits aber auch die Siedlungsstruktur und Topographie. Denn die Anbindung sollte so trassiert werden, dass sie weitgehend ohne aufwändige Tunnelbauten auskommt.
Festlegung der Andockstellen der Flughafenschnellbahn an das Bestandsnetz
Heruntergebrochen auf den Stuttgarter Flughafen gilt es zunächst einmal, nach "Andockstellen" am Bahnnetz in der Umgebung des Flughafens Ausschau zu halten. Diesbezüglich liegen beim Stuttgarter Flughafen günstige Verhältnisse vor. Denn es gibt in der unmittelbaren Umgebung des Flughafens sogar fünf Bahnknotenpunkte, die für eine Schnellbahnverbindung (hier in Deutschland sagen wir dazu: Express-S-Bahn) in Frage kommen. Das sind die Bahnknoten Wendlingen, Plochingen, Nürtingen, Vaihingen und Hauptbahnhof.
Hierbei wird es beim Bahnknoten Wendlingen einen Anschluss in Richtung Kirchheim/Teck und später weiter in Richtung Weilheim/Teck, Bad Boll und Göppingen geben. Der Bahnknoten Plochingen stellt eine Verbindung in Richtung Esslingen und in Richtung Göppingen-Ulm her. Der Bahnknoten Nürtingen bietet die Verbindung in Richtung Neuffen sowie in Richtung Reutlingen-Tübingen und darüber hinaus nach Rottenburg und Sigmaringen. Der (potenzielle) Bahnknoten Vaihingen stellt die Verbindung zur Gäubahn (Richtung Horb/Freudenstadt) her. Schließlich bietet der Bahnknoten Hauptbahnhof (Kopfbahnhof) gute Umsteigeverbindungen in Richtung Aalen, Schwäbisch Hall, Heilbronn, Mannheim und Karlsruhe.
Festlegung der Trassen für die Flughafenschnellbahn zwischen dem Flughafen und den Andockstellen an das Bestandsnetz
Der zweite Schritt nach der Festlegung der Andockstellen der Schnellbahnverbindung vom Flughafen an das Bestands-Bahnnetz ist die Wahl des Streckenverlaufs dieser Schnellbahn. Die Schnellbahn zum Bahnknoten Wendlingen übernimmt ein Element aus dem Projekt Stuttgart 21. Dies ist die Trasse parallel zur Autobahn A8 von Plieningen bis auf Höhe Wendlingen. Zwischen dem bestehenden Flughafenbahnhof unter dem Terminal und dem Trassenbeginn bei Plieningen wird eine kurze Tunnelverlängerung gebaut, die die S-Bahn vom Flughafenbahnhof unter der Autobahn hindurchführt und bis zum Beginn der Stuttgart 21-Trasse führt. Bei Wendlingen wird die Wendlinger Gegenkurve gebaut, die die Schnellbahn in den Bahnhof Wendlingen hineinführt.
Die Schnellbahn zum Bahnknoten Plochingen ist nichts anderes als die Verlängerung der Schnellbahn vom Bahnknoten Wendlingen im Verlauf der Bestandsstrecke. Die Schnellbahn zum Bahnknoten Nürtingen verläuft wie die Schnellbahn zum Bahnknoten Wendlingen entlang der A8 und wird mit der Wendlinger Kurve auf die Bestandstrecke nach Nürtingen eingefädelt. Die Schnellbahn zum (potenziellen) Bahnknoten Vaihingen verläuft als Express-S-Bahn auf der vorhandenen S-Bahnstrecke. Sie wechselt zwischen Rohr und Vaihingen von den S-Bahngleisen auf die Gäubahngleise. Die Schnellbahn zum Bahnknoten Hauptbahnhof ist die Verlängerung der Schnellbahn nach Vaihingen. Sie verläuft zwischen Vaihingen und dem Hauptbahnhof über die Gäubahntrasse.
Eine Win-Win-Situation für den Flughafen und für die Stuttgarter S-Bahn
Man könnte sich nun jedoch fragen, ob für den Stuttgarter Flughafen (und auch für die Landesmesse) nicht eine einzige Schnellbahnanbindung ausreichend ist. Das mag tatsächlich so sein. Die beschriebenen Schnellbahnanbindungen vom Flughafen zu den fünf Bahnknoten sind jedoch auch für die Stuttgarter S-Bahn extrem nützlich. Durch die neuen S-Bahnverbindungen Plochingen-Wendlingen-Flughafen-Vaihingen, Nürtingen-Flughafen-Vaihingen sowie Hauptbahnhof-Vaihingen wird die überlastete Stammstrecke der Stuttgarter S-Bahn entlastet. Zudem ergeben sich viele neue attraktive Fahrbeziehungen. Das Stuttgarter S-Bahnnetz wird erweitert und gestärkt und kann so zur Qualität der S-Bahnnetze in den mit Stuttgart im Wettbewerb stehenden Regionen (München, Frankfurt, Zürich) ein wenig aufschließen.
Der Flughafen darf sich gerne mit einem zweistelligen Millionenbetrag an den neuen Schnellbahnverbindungen beteiligen. Das wäre dann gerade mal ein Zehntel des Betrags, den der Flughafen für Stuttgart 21 aufwenden müsste. Somit bekommt der Stuttgarter Flughafen einen ganz attraktiven Bahnanschluss und hat gleichzeitig noch genug Luft zum atmen, um auch zukünftig für die Fluggesellschaften und für die Fluggäste attraktiv zu sein.
* Finanzierungsbeitrag des Stuttgarter Flughafens zu Stuttgart 21 gemäß Finanzierungsvertrag:
107,8 Mio Euro (§6 (1)c)
112,242 Mio Euro (§7 (1))
119,4 Mio Euro bei Kostenüberschreitungen (bereits eingetreten) (§8 (3) b)
weitere Bauwerke ohne Kostennennung (§7 (2))
bei späterem Betrieb weitere regelmäßige Zuschüsse
Summe: mindestens 339,4 Mio Euro
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