Stuttgart 21 nein - Zweite Stammstrecke der Münchner S-Bahn ja: Diese Meinung hat durchaus Argumente für sich. Denn im Gegensatz zum Bahnrückbauprojekt Stuttgart 21 stellt die zweite Stammstrecke der Münchner S-Bahn eine ganz gewaltige Erweiterung der Bahnkapazität im Großraum München dar.
In den letzten Tagen wurden jedoch weitere Probleme mit der zweiten Stammstrecke für die Münchner S-Bahn bekannt. Die Zeitung Münchner Merkur berichtet in ihrer Internetausgabe mit Datum vom 10.09.2013, dass das Büro VIEREGG-RÖSSLER GmbH (VR) massive Zweifel an den Brandschutzgutachten für die in großen Tiefen unterirdisch verlaufende S-Bahn angemeldet hat.
"Zweite Röhre ist brandgefährlich"
Die zweite Röhre für die Münchner S-Bahn ist nach Auffassung von VR brandgefährlich. Das lässt aufhorchen, denn der geplante Haltepunkt Ostbahnhof der zweiten Stammstrecke wird sich in einer Tiefe von 36 Metern befinden, die Haltepunkte Marienplatz und Hauptbahnhof werden noch tiefer liegen. VR wirft der Bahn vor, eine vollkommen falsche Brandsimulation für den Tunnel durchgespielt zu haben. Das geplante Absaugen der Luft im Brandfall wirkt sich nach Auffassung von VR zudem nicht rauchmindernd, sondern brandbeschleunigend aus.
Bereits zuvor hat die Münchner Verkehrsgesellschaft MVG gewarnt, dass ein sicherer Betrieb im Hauptbahnhof bei einem Evakuierungsfall nicht gewährleistet ist. Wie auch bei den Brandschutzproblemen bei Stuttgart 21 wiegelt die Bahn im Fall der zweiten Stammstrecke der Münchner S-Bahn ab, ohne jedoch die vorgebrachten Punkte widerlegen zu können.
Die massiven Brandschutzprobleme bei der Zweiten Stammstrecke der Münchner S-Bahn wie auch die problematische Tiefenlage dieser Strecke sowie auch verkehrliche Schwachpunkte lassen nun plötzlich die Projekte Stuttgart 21 und Zweite Stammstrecke der Münchner S-Bahn in einem gemeinsamen Licht erscheinen. Beide Projekte sind problematisch und beide Projekte müssen allein aus dem Grund storniert werden, weil es jeweils bessere und schneller umsetzbare Alternativen und nicht ausgelastete Systeme im jeweiligen Umfeld gibt. Das sehen wir uns jetzt in Kürze für Stuttgart 21 und für die Zweite Stammstrecke der Münchner S-Bahn an. Beginnen wir mit Stuttgart 21.
Die großen Reserven des Stuttgarter Bahnsystems
Der bestehende Bahnhof der S-Bahn am Stuttgarter Flughafen ist modern und bei weitem nicht ausgelastet. Ebenfalls nicht ausgelastet ist die S-Bahnstrecke vom Flughafen nach S-Vaihingen. Genauso wenig ausgelastet ist die Gäubahn zwischen S-Vaihingen und S-Nord. Bevor man ein problematisches Projekt wie Stuttgart 21 beginnt, sollte man vor dem Hintergrund der bestehenden großen betrieblichen und verkehrlichen Reserven beim Bahnsystem am Stuttgarter Flughafen doch erst einmal sehen, wie man diese Reserven optimal nutzt.
Konkret kann der Flughafenbahnhof mindestens zwei S-Bahnlinien zusätzlich aufnehmen. Ebenso kann die S-Bahnstrecke vom Flughafen nach S-Vaihingen zwei S-Bahnlinien zusätzlich aufnehmen, die sogar als Express-S-Bahn ohne Halt zwischen Flughafen und S-Vaihingen verkehren können. Die S-Bahnstrecke von S-Vaihingen über Schwabstraße zum Hauptbahnhof tief (Stammstrecke) ist überlastet. Nicht ausgelastet ist hingegen die Gäubahn zwischen S-Vaihingen und S-Nord. Sie kann mit einer Modifizierung des Signalsystems zwei S-Bahnlinien zusätzlich aufnehmen.
Zu den verkehrlichen Reserven des bestehenden Flughafenbahnhofs gehört, dass dieser Flughafenbahnhof bisher nur in eine Richtung angebunden ist (den kurzen Tunnel nach Bernhausen lassen wir außer Acht). Eine Anbindung des Flughafenbahnhofs in zwei Richtungen erhöht die Kapazität des S-Bahnsystems sowie die Qualität der Anbindung des Flughafens enorm.
An Stelle von Stuttgart 21 lassen sich somit mit relativ kleinem Aufwand und in wesentlich kürzerer Zeit zwei Express-S-Bahnlinien einrichten.
1. Express-S-Bahn von Plochingen mit Zwischenhalt in Wendlingen, am Flughafen und in S-Vaihingen zum Hauptbahnhof (Kopfbahnhof)
2. Express-S-Bahn von Nürtingen mit Zwischenhalt am Flughafen, in S-Vaihingen, in S-Zuffenhausen, in Ludwigsburg, in Bietigheim-Bissingen und an allen weiteren Stationen nach Vaihingen (Enz)
Mit diesen beiden Express-S-Bahnlinien, die zudem etappierbar zu bauen sind, lassen sich alle für Stuttgart 21 geplanten verkehrlichen Belange um ein Vielfaches besser, schneller und kostengünstiger erreichen. Und bei diesem System gibt es für die weitere Zukunft fast unzählige weitere Ausbauoptionen.
Beim Ausbau der Strecke Stuttgart-Plochingen ist der Güterverkehr zu berücksichtigen
Die Zukunft des Ausbaus der Bahnstrecke Stuttgart-Plochingen bleibt zunächst offen - und das ist auch gut so. Denn dieser Ausbau hängt von der zukünftigen Entwicklung des Schienengüterverkehrs ab. Diesbezüglich kann es in der Zukunft Überraschungen geben. Es kann sein, dass es bei den bestehenden Güterzügen bleibt, die sogar noch länger als heute werden. In diesem Fall sollte man an einen Schurwaldtunnel zwischen Bad Cannstatt und Plochingen denken, der von den Güterzügen und den ICE gemeinsam befahren wird.
Es kann aber auch ganz anders kommen. Es kann sein, dass beim Lkw-Verkehr zukünftig das automatische fahrerlose Fahren zumindest auf der Autobahn eingeführt wird. Zudem gibt es Pläne, die rechten Fahrstreifen der Autobahnen mit einem Fahrdraht zu versehen und die Lkw mit Elektromotoren auszurüsten. In diesem Fall hätte wohl der Schienengüterverkehr keine Zukunft.
Es gibt aber auch Untersuchungen und Pläne, dass der Schienengüterverkehr zukünftig ganz anders aussehen wird als heute, in der Form, dass zukünftig jeder Güterwagen einen eigenen Motor hat und vollautomatisch fahrerlos fährt. Die Wagen folgen sich im 30 Sekunden-Takt. In diesem Fall ist zwischen Stuttgart und Ulm eine eigene Güterverkehrstrasse erforderlich, die nicht gleichzeitig von den ICE befahren werden kann. Für die Leistungsfähigkeit dieses Systems ist es wichtig zu wissen, dass ein einzelner Güterwagen sehr viel länger sein kann als ein Lkw und dass weiterhin auch mehrere Güterwagen zusammengekuppelt fahren können.
Die großen Reserven des Münchner Schnellbahnsystems
Kommen wir jetzt zur Zweiten Stammstrecke der Münchner S-Bahn. Hier gibt es verblüffende Parallelen zu Stuttgart 21 in Bezug auf vorhandene Kapazitätsreserven.
Die Stammstrecke der Münchner S-Bahn ist überlastet. Die Münchner U-Bahn hat drei Stammstrecken. Davon ist die erste Stammstrecke (vom Marienplatz nach Schwabing, U3/U6) vollkommen überlastet. Für diese Strecke gibt es Entlastungplanungen, die einen direkten U-Bahntunnel vom Hauptbahnhof nach Schwabing vorsehen.
Die zweite Stammstrecke der Münchner U-Bahn (Hauptbahnhof - Sendlinger Tor, U1/U2/U7) ist stark ausgelastet. Hier können jedoch im Berufsverkehr noch ein paar mehr Züge verkehren. Diese Züge sind gerade im Bau. Die dritte Stammstrecke der Münchner U-Bahn (Hauptbahnhof - Max Weber-Platz, U4/U5) ist nicht ausgelastet. Im Verlauf dieser Stammstrecke verkehren signifikant weniger Züge und gibt es weniger Fahrgäste als im Verlauf der beiden anderen Stammstrecken.
Die dritte Stammstrecke der Münchner U-Bahn hat also große Kapazitätsreserven. Als Besonderheit weist die dritte Stammstrecke der Münchner U-Bahn auf einer der beiden Seiten (der Westseite) zudem keine Streckenverzweigung auf. Alle Stammstrecken der Münchner U-Bahn verzweigen sich ansonsten im Außenbereich. Die dritte Stammstrecke der Münchner U-Bahn hat noch eine weitere Eigenschaft, die aufhorchen lässt. Sie verläuft parallel und in nur kleinem Abstand zur Stammstrecke der S-Bahn.
Was also liegt näher, als dass man die dritte Stammstrecke der Münchner U-Bahn für eine Entlastung der S-Bahn-Stammstrecke heranzieht und auf den Bau der Zweiten Stammstrecke der S-Bahn zunächst verzichtet! Das kann dann wie folgt aussehen:
Im Westen wird die U-Bahn vom heutigen Endpunkt Laimer Platz bis nach Pasing verlängert. Diese Pläne sind bereits sehr weit gediehen. Pasing ist ein ganz wichtiger S-Bahn-Knotenpunkt. In Pasing gibt es ein großes Umsteigepotenzial von der S-Bahn auf die U-Bahn. Die Stammstrecke der S-Bahn wird dadurch entlastet.
Das ist aber noch lange nicht alles. Im Osten kann die U-Bahn vom derzeitigen Endpunkt Arabellapark der nördlichen Verzweigungsstrecke der dritten Stammstrecke bis zum S-Bahnhaltepunkt Englschalking verlängert werden und auch dort Fahrgäste von der S-Bahn abgreifen.
Als drittes könnte man den bisher fehlenden zweiten Streckenast im Westen der dritten Stammstrecke der U-Bahn einrichten. Wohin soll dieser Streckenast führen? Er könnte vom Laimer Platz in Richtung Norden zunächst einmal zum S-Bahnhof Laim führen, so dass dort die Fahrgäste weiterer S-Bahnlinien auf die U-Bahn umsteigen können. Vom S-Bahnhof Laim könnte die U-Bahn dann weiter in Richtung Schloss Nymphenburg und vielleicht nach Schwabing fahren. Die U-Bahn kommt in München im inneren Bereich mindestens so schnell voran wie die S-Bahn. Die U-Bahn hat in etwa denselben Haltestellenabstand wie die S-Bahn. Und im Gegensatz zur schwerfälligen Abfertigung der S-Bahn in den Haltepunkten fährt die U-Bahn jeweils bereits eine halbe Sekunde nach dem Schließen der Türen ab.
Wie bei Stuttgart 21 gibt es somit auch beim Projekt der Zweiten Stammstrecke der Münchner S-Bahn Alternativen, die auf vorhandenen, ungenutzten Kapazitäten aufbauen und die in Etappen sowie kostengünstiger zu verwirklichen sind. Auch hier gibt es für die weitere Zukunft viele zusätzliche Ausbauoptionen.
Politische Bewertung
Wir müssen damit rechnen, dass auch nach der Bundestagswahl im September 2013 Deutschland weiterhin eine CDU-geführte Regierung hat. Es stellt sich jetzt die Frage, unter welchen Umständen diese Regierung bereit sein wird, Stuttgart 21 fallen zu lassen. Ich bin der Ansicht, dass ein Verzicht auf Stuttgart 21 leichter fallen wird und bei den Politikern und der Bevölkerung auf eine größere Akzeptanz stoßen wird, wenn gleichzeitig auf die zweite Stammstrecke der Münchner S-Bahn verzichtet wird und umgekehrt. Statt dessen werden sowohl in Stuttgart als auch in München innovative, etappierbare und zukunftsgerichtete Schienenverkehrslösungen umgesetzt. Das sollte doch auch der CDU besser gefallen, als sich jahrzehntelang mit den alten Dinosaurierlösungen herumärgern zu müssen.
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