Pünktlich zur Bundestagswahl, bei der gemäß den Prognosen für die Grünen wohl Verluste zu erwarten sind, hat sich jetzt der baden-württembergische Verkehrsminister Hermann (Grüne) wieder zu Stuttgart 21 geäußert. In einem Interview mit der Wochenzeitung KONTEXT legt er seine Sicht der Dinge zu Stuttgart 21 dar. Nicht fehlen darf bei den Hermann`schen Äußerungen selbstverständlich auch die latente Klage über die angeblich ungerechte Behandlung der Grünen durch die Gegner von Stuttgart 21.
Diese auch immer wieder als "Grünen-bashing" gebrandmarkten kritischen Meinungsäußerungen gegenüber der Partei Bündnis 90 / Grüne bzw. gegenüber bestimmten Repräsentanten dieser Partei haben jedoch durchaus ihre Berechtigung. Man stellt zunächst allgemein fest, dass augenscheinlich bei den Grünen überdurchschnittlich viele Mimosen Parteimitglieder sind. Denn andere Parteien gehen mit Kritik vielfach souveräner um als die Grünen dies tun.
Entscheidend ist jedoch, dass weder die CDU, noch die SPD vor irgendeiner Wahl versprochen haben, Stuttgart 21 zu beenden. Deshalb wird auch niemand der CDU oder der SPD das Brechen von Wahlversprechen vorwerfen. Die Grünen haben jedoch vor den Wahlen jeweils versprochen, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um Stuttgart 21 zu stoppen. Also müssen sich die Grünen auch gefallen lassen, dass man sie an dieses Wahlversprechen erinnert und dass man gegebenenfalls auch kritisiert, wenn diese Partei eben nicht alles in ihrer Macht Stehende getan hat, um dem Jahrhundertmurks Stuttgart 21 ein Ende zu setzen. Die Menschen merken auch relativ schnell, wenn bestimmte Versprechen nur aus taktischen Motiven heraus gegeben werden und keine ehrliche Absicht dahintersteckt. Als Beispielperson für dieses Verhalten kann man wohl den derzeitigen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann nennen. Ich denke, dass auch Cem Özdemir zu dieser Gruppe von Personen gehört.
Es ist ja schon schlimm genug, wenn man ein Projekt wie Stuttgart 21 auf Teufel komm raus durchpeitschen will, wie CDU und SPD dies tun. Es gibt aber noch etwas Schlimmeres. Das besteht darin, dass man vor Wahlen vorgibt, gegen Stuttgart 21 zu sein und alles dafür zu tun, das Projekt zu beenden, wogegen man dann nach der Wahl feststellen muss, dass diese Versprechen nicht eingehalten werden. Das ist dann tatsächlich eine Sache, die weit über Stuttgart 21 hinausreicht. Denn dieses Verhalten schadet der Demokratie und führt zu Verdruss in der Bevölkerung. Die Grünen werden sich mit diesem Verhalten jedenfalls keinen Gefallen tun.
Immer wieder die Volksabstimmung
Verkehrsminister Hermann`s Totschlagsargument für das Nichtstun der Landesregierung in Sachen Stopp von Stuttgart 21 ist einmal mehr die Volksabstimmung des Landes zu diesem Projekt. Man reibt sich schon verwundert die Augen. Diese Volksabstimmung soll also für alle Zeiten gültig sein. So etwas gibt es allenfalls in der Erbmonarchie oder in einer Religion. Nichts, aber auch gar nichts ist in einer Demokratie für alle Zeiten gültig, keine Wahl, keine Volksabstimmung. In den Ländern, die immer wieder als Vorbild für Volksabstimmungen herangezogen werden, hätte es im Falle von Stuttgart 21 bereits mehrere Volksabstimmungen gegeben, die wegen der sich ändernden Sach- und Faktenlage erforderlich geworden wären.
Was treibt die Grünen eigentlich an, sich so an die Volksabstimmung zu klammern? Ist es das Eingeständnis der eigenen Unfähigkeit, eine klare Politik gegen Stuttgart 21 zu machen oder ist es der Wunsch der Alt-68er, die jetzt Minister geworden sind, gegen Ende ihres Berufslebens etwas mehr Ruhe zu haben?
Deutschland ist nach wie vor ein Rechtsstaat
Beim Starren auf die Volksabstimmung gerät etwas ganz anderes aus dem Blickwinkel. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Rechtsstaat. Ich habe eine Umfrage in Erinnerung - die Quelle kann ich gerade nicht nennen - dass die ganz große Mehrheit der Deutschen es gut findet, dass wir in einem Rechtsstaat leben. Was für Folgen hat nun dieser Rechtsstaat gerade für Stuttgart 21? Nun, das Wort sagt es schon, auch bei Stuttgart 21 müssen sich alle an Recht und Gesetz halten. Selbst eine Volksabstimmung kann das geltende Recht nicht umgehen. Das Volk kann nicht über etwas abstimmen, was nach Recht und Gesetz gar nicht zulässig ist. Und wenn das Volk darüber bereits abgestimmt hat, dann ist die Abstimmung ungültig.
Die nicht geklärte Verfassungsmäßigkeit der Mischfinanzierung von Stuttgart 21, das gesetzliche Verbot, für die NBS Wendlingen-Ulm Regionalzugleistungen zu bestellen, das Nichteinhalten der Voraussetzungen für die europäischen Magistralen, Dutzende Ausnahmegenehmigungen und viele andere Dinge mehr müssten eigentlich dazu führen, dass Stuttgart 21 sofort gestoppt wird. Die Volksabstimmung des Landes hat bei diesen den Rechtsstaat betreffenden Angelegenheiten keine Bedeutung.
Warum nennt Minister Hermann den OB Fritz Kuhn nicht?
Mit keinem Wort erwähnt Verkehrsminister Hermann im Interview mit Kontext den Stuttgarter OB Fritz Kuhn und dessen Bedeutung für den Stopp von Stuttgart 21. Das tut er möglicherweise mit Absicht. Denn so geht er einer weiteren Diskussion aus dem Weg, wie die Grünen Stuttgart 21 sehr wohl stoppen können.
Es mag ja sein, dass die Grünen im Landesparlament nur einen Stimmenanteil von 24,2 Prozent haben. Es mag ja sein, dass das Infragestellen der Volksabstimmung des Landes durch Verkehrsminister Hermann wütende Reaktionen der Stuttgart 21-Betreiber nach sich zieht. Aber genau dies müsste Hermann und Kuhn jetzt veranlassen, einen Doppelpass zu spielen: Hermann hält sich mit Äußerungen zu Stuttgart 21 in der Öffentlichkeit zurück; im Gegenzug äußert sich Fritz Kuhn umso mehr öffentlich zu Stuttgart 21 und trifft Maßnahmen, das Projekt zu stoppen.
Das ist nicht nur möglich, sondern absolut korrekt. Denn Fritz Kuhn hat als OB von Stuttgart nicht nur einen Stimmenanteil von 24,2 Prozent. Er ist zu 100 Prozent OB von Stuttgart. Er wurde in einer Direktwahl gewählt. Er wurde mit absoluter Mehrheit gewählt. Er wurde als Gegner von Stuttgart 21 gewählt. Und er wurde mit wesentlich mehr Stimmen gewählt als sein Vorgänger und Stuttgart 21-Betreiber Schuster. Zudem gab es bisher in Stuttgart keine Volksabstimmung. Schlimmer noch: zweimal wurde den Stuttgarter Bürgern die Volksabstimmung zu Stuttgart 21 verweigert. Zudem ist die Landeshauptstadt Stuttgart monetär bei Stuttgart 21 - alles zusammengerechnet - sogar noch stärker engagiert als das Land.
Was also liegt unter diesen Umständen näher, als dass Fritz Kuhn zukünftig die Hauptrolle übernimmt, um Stuttgart 21 zu stoppen? Das freilich geschieht zur Zeit nicht (siehe den vorangegangen Post in diesem Blog "Wird Stuttgart`s OB Fritz Kuhn zum Rohrkrepierer vom Nesenbach?"). Und weil dies nicht geschieht, müssen sich die Grünen den Vorwurf gefallen lassen, Stuttgart 21 aus irgendwelchen Gründen nicht stoppen zu wollen.
Mehrere Kombilösungen
Nur von einer Kombilösung zu schwadronieren, wie Hermann es jetzt im Kontext-Interview getan hat, reicht nicht aus, um bei der Bevölkerung wieder Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Abgesehen davon, dass der Begriff Kombilösung für etwas ganz anderes steht als Hermann gemeint hat. Heiner Geißler und die Schweizer Verkehrsberatungsfirma SMA verstanden unter der Kombilösung ein Projekt, das den Feuerbacher Tunnel, einen viergleisigen Tiefbahnhof und den Fildertunnel beinhaltet, nicht jedoch den Cannstatter Tunnel und nicht den Untertürkheimer Tunnel. Alle bestehenden Bahnstrecken bleiben erhalten. Die Hermann`sche Komiblösung beinhaltet jedoch das gesamte Stuttgart 21-Projekt und zusätzlich die Beibehaltung der bestehenden oberirdischen Strecken.
Zwar ist der Begriff Kombilösung nicht urheberrechtlich geschützt. Jedoch sollte sich Hermann für seinen Vorschlag mal eine andere Wortschöpfung einfallen lassen, damit nicht demnächst eine vollständige Verwirrung herrscht. Aber die Mühe kann er sich eigentlich sparen. Denn Hermann hat sich bei seinem Vorschlag sicher nicht überlegt, dass gerade das Freiwerden der Gleisflächen die Haupttriebfeder für den Bau von Stuttgart 21 ist.
Mit den Grünen ist zur Zeit in Sachen Stopp von Stuttgart 21 wohl kein Blumentopf zu gewinnen. Den Grünen wird dieses Verhalten noch auf die Füße fallen. Für die große Bürgerbewegung gegen Stuttgart 21 bedeutet dies, sich zukünftig noch stärker als bisher von allen Parteien unabhängig zu machen und weiterhin mit allen Mitteln des Rechtsstaats gegen dieses Projekt vorzugehen.
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