Mittwoch, 14. November 2012

Warum der Stuttgart 21-Tiefbahnhof so mickrig ausfallen muss

Mit nur acht Gleisen und einer Bahnsteigbreite von nur 10 Metern ist der bei Stuttgart 21 geplante Hauptbahnhof-Tiefbahnhof so klein und mickrig wie kein anderer Hauptbahnhof einer vergleichbaren Region in Europa.

Betrachtet man die Zahl der Gleise, muss man feststellen, dass Stuttgart 21 mit seinem nur achtgleisigen Hauptbahnhof weit, weit unterhalb der Werte liegt, die vergleichbare Großstädte in Deutschland und in anderen europäischen Ländern bzw. vergleichbare Metropolregionen in Europa aufweisen.

Auch die Breite der Bahnsteige des Stuttgart 21-Tiefbahnhofs fällt auf. Mit einer Breite von nur 10 Metern und einer Vielzahl von Einbauten auf den Bahnsteigen werden diese Bahnsteige nicht in der Lage sein, den Bahnverkehr des 21. Jahrhunderts in einer für die Fahrgäste akzeptablen Weise zu bewältigen. 


Der zur Zeit im Bau befindliche Bahnhof der Zürcher Durchmesserlinie hat dagegen Bahnsteigbreiten von 12,50 Metern und weniger Einbauten als der Stuttgart 21-Bahnhof. Selbst der nur von relativ wenigen Fahrgästen genutzte Bahnhof Vaihingen/Enz weist Bahnsteigbreiten von 8,50 Metern auf, wobei auch hier die Einbauten auf den Bahnsteigen lange nicht so groß und sperrend sind wie bei Stuttgart 21. 

Auch der Kopfbahnhof in Stuttgart weist hier zumindest potenziell bessere Werte auf. Reist man die nicht mehr benötigten Gepäckbahnsteige ab und legt die Gleise paarweise zusammen, erhält man eine Bahnsteigbreite im Kopfbahnhof von 11 Metern und das bei wesentlich weniger Hindernissen und Einbauten wie beim Stuttgart 21-Tiefbahnhof. Den Umstand, dass der Kopfbahnhof zur Zeit diese 11 Meter Bahnsteigbreite noch nicht aufweist, kann man kaum dem Kopfbahnhof anlasten. Dafür ist Stuttgart 21 verantwortlich, das nun schon seit über 20 Jahren die längst fällige Modernisierung des Kopfbahnhofs blockiert.      

Was ist die Ursache für das Zwergentum des Stuttgart 21-Tiefbahnhofs?
Wir wollen im heutigen Post versuchen, die eigentliche Ursache für das Zwergentum des Stuttgart 21-Tiefbahnhofs zu finden. Nähern wir uns langsam der Problematik an.

Als erstes könnte man sagen, dass es die Kosten sind, die für den beschämenswert kleinen Hauptbahnhof bei Stuttgart 21 maßgebend sind. Da ist etwas Wahres dran. Der Stuttgart 21-Hauptbahnhof ist ja ein unterirdischer Bahnhof. Jedes Gleis mehr kostet selbstverständlich eine Stange Geld. Und jeder Meter, den die Bahnsteige breiter werden, kostet ebenfalls Geld. Aber so ganz zufriedenstellend und abschließend ist diese Argumentation doch noch nicht.

Beim Blick auf ein Luftbild kann man auf ein weiteres Argument für die Kleinwüchsigkeit des Stuttgart 21-Hauptbahnhofs kommen. Der Tiefbahnhof ist wegen einer gegebenen städtebaulichen Situation eingeengt. Auf der einen Seite ist es der Turm des Bonatz-Baus, der die Grenze setzt. Auf der anderen Seite lässt das Gebäude der LBBW eine Verbreiterung nicht zu. Jedoch ist auch dieses Argument nicht ganz zufriedenstellend. Denn man könnte Teile des LBBW-Gebäudes abreisen, um den Tiefbahnhof breiter werden zu lassen. Wie bitte? Ja selbstverständlich könnte man einen Teil des LBBW-Gebäudes abreisen und die Büroflächen an anderer Stelle neu schaffen. Was wird für Stuttgart 21 nicht alles abgerissen! Das LBBW-Gebäude steht nicht unter Denkmalschutz. Gibt es jemanden, dem dieser Klotz gefällt?

Es liegt an den Gleisvorfeldern
Was aber ist dann der eigentliche Grund für den viel zu kleinen Tiefbahnhof bei Stuttgart 21? Um hier weiterzukommen, müssen wir uns den an den Tiefbahnhof angrenzenden Gleisflächen zuwenden. Das sind die Gleisvorfelder. Unter einem Gleisvorfeld verstehen wir hier und heute diejenigen Gleisbereiche, die sich zwischen den Bahnsteiggleisen und den Streckengleisen befinden. Dort liegen die Weichen und Gleiskreuzungen eines Bahnhofs. Die Gleisvorfelder haben die Aufgabe, die Bahnsteiggleise mit den Streckengleisen zu verbinden. Idealerweise ist es möglich, von jedem Bahnsteiggleis in jedes Streckengleis zu fahren.

Nun gibt es in Bezug auf die Größe eines Gleisvorfelds eine Abhängigkeit. Das Gleisvorfeld ist umso größer, je mehr Bahnsteiggleise ein Hauptbahnhof hat und je breiter die Bahnsteige sind. Und diese Abhängigkeit ist nicht linear. Die Verdoppelung der Gleiszahl führt also nicht zu einer Verdoppelung der Größe des Gleisvorfelds, sondern bereits zu einer Verdrei- oder Vervierfachung der Größe.    

Betrachten wir zum Vergleich hierzu einmal das östliche Gleisvorfeld des Hauptbahnhofs von Karlsruhe. Der Hauptbahnhof von Karlsruhe ist ein Durchgangsbahnhof. Es gibt dort 14 Durchgangsgleise (die beiden zusätzlich vorhandenen Kopfbahnhofgleise sind hier nicht relevant, weil sie nur das westliche Gleisvorfeld betreffen). Von Osten treffen drei jeweils zweigleisige Zulaufstrecken auf den Hauptbahnhof. Das östliche Gleisvorfeld hat also die Aufgabe, die Verbindung zwischen den 14 Bahnsteiggleisen und den 6 Streckengleisen herzustellen.

Eine Messung mit Hilfe von google-maps ergibt eine Länge des östlichen Gleisvorfelds des Karlsruher Hauptbahnhofs von 620 Metern. Da dieses Gleisvorfeld oberirdisch liegt, sind die 620 Meter überhaupt kein Problem. Wie wäre das aber beim Stuttgart 21-Tiefbahnhof?. Hätte dieser Tiefbahnhof 14 Gleise, wäre eine ähnliche Länge des Gleisvorfelds auf beiden Seiten des Tiefbahnhofs erforderlich. Die beiden Gleisvorfelder könnten wegen der Topographie des Stuttgarter Talkessels aber ausschließlich in einer Kaverne unter dem Stuttgarter Kesselrand zu liegen kommen. Unglaublich: eine 620 Meter oder längere, eine über 100 Meter breite und was weiß ich wie hohe Kaverne!  

Kavernen dieser Größenordnung gibt es durchaus. Man kennt sie aus den Alpen von den Wasserkraftwerken. Dort werden die Kavernen allerdings ausschließlich in stabilem Gestein (z.B. im Granit) und nicht im Gipskeuper aufgefahren. Zudem befinden sich direkt über den Kraftwerkskavernen keine dichtbesiedelten Stadtteile. Man kann davon ausgehen, dass Kavernen, wie sie für ein Gleisvorfeld eines durchschnittlichen Bahnhofs erforderlich sind, unter dem Stuttgarter Kesselrand nicht gebaut werden können.

Fazit
Das also ist das Geheimnis für die mickrigen Ausmaße des Stuttgart 21-Tiefbahnhofs. Es sind die Gleisvorfelder, die bei Stuttgart 21 auf Teufel komm raus so klein wie irgend möglich gehalten werden müssen. Denn für größere Gleisvorfelder, wie sie bei normalen Bahnhöfen erforderlich wären, müssten riesige Kavernen im Gipskeuper direkt unterhalb dicht besiedelter Stadtteile gebaut werden. Und das ist bautechnisch nicht möglich. Da könnte man dann gleich den Stuttgarter Kesselrand abtragen.

Wegen dieses markanten Systemfehlers von Stuttgart 21 steht aber das Projekt insgesamt in Frage. Alle Vergleiche mit anderen Großstädten und Metropolregionen in Europa zeigen, dass Stuttgart in absehbarer Zeit einen Hauptbahnhof mit mindestens 20 Gleisen braucht. Wenn im Rahmen von Stuttgart 21 dieser Bahnhof wegen des unterirdischen Querverlaufs zum Talkessel und wegen der Unmöglichkeit der Einrichtung der Gleisvorfelder in Kavernen im Gipskeuper unmittelbar unterhalb von Gebäuden nicht möglich ist, dann muss Stuttgart 21 insgesamt ad acta gelegt werden. 16 der 20 benötigten Gleise haben wir in Stuttgart ja bereits. Die fehlenden 4 Gleise können in modulförmiger Bauweise zum Kopfbahnhof dazukommen oder sie können nach dem Vorbild der Zürcher Durchmesserlinie (und das ist nicht identisch mit der für Stuttgart diskutierten Kombilösung!) angelegt werden.             

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