Montag, 19. November 2012

Die Fehlplanung Stuttgart 21 hat die Region Stuttgart bereits um 20 Jahre zurückgeworfen

Das zur Zeit wegen vorbereitender Arbeiten für Stuttgart 21 bestehende S-Bahn-Chaos in der Region Stuttgart mit Engpässen, Wartezeiten und verspäteten Zügen verdeutlicht jetzt allen Pendlern in der Region Stuttgart, was Fachleuten seit langem bekannt ist. Stuttgart 21 hat bereits mit heutigem Stand die Region Stuttgart, eine der wichtigsten Metropolregionen Europas, um mindestens 20 Jahre in ihrer verkehrlichen und raumordnerischen Entwicklung gegenüber anderen Regionen zurückgeworfen.

Denn wegen des Phantoms Stuttgart 21 unterbleibt nun bereits seit mindestens 20 Jahren eine grundlegende Modernisierung des Stuttgarter Hauptbahnhofs, eine Modernisierung und Anpassung des S-Bahnnetzes, eine Neustrukturierung des Stadtbahnnetzes, eine Anpassung des Straßenverkehrsnetzes an die heute gültigen städtebaulichen - und Umweltstandards und eine urbane Bebauung der vielen brachliegenden Gleisflächen. Und würde Stuttgart 21 gebaut werden, würde die Region Stuttgart weitere 20 Jahre gegenüber anderen Regionen zurückfallen.

Das wollen wir uns jetzt für die genannten fünf Themen einmal näher ansehen.


Modernisierung des Hauptbahnhofs
Die großen Kopfbahnhofstädte des deutschsprachigen Raums - Frankfurt/Main, München, Leipzig, Zürich - haben in den vergangenen Jahrzehnten ihre Kopfbahnhöfe grundlegend modernisiert. Die architektonische Schönheit der Bahnhofskathedralen wird in Frankfurt, Leipzig und Zürich verbunden mit den Annehmlichkeiten der modernen Zeit wie z.B. Einkaufszentren und Restaurantmeilen. München hat seinen nach dem Zweiten Weltkrieg neu erbauten Kopfbahnhof vor einem Jahrzehnt grundlegend modernisiert und plant jetzt den Neubau des Bahnhofsgebäudes.

In Zürich wurde erst vor wenigen Jahren eine vollständig neu gebaute, breite, mit Fahrtreppen ausgestattete Fußgängerunterführung am Ende der Bahnsteige mit direktem Zugang zur S-Bahn und zur zukünftigen Durchmesserlinie in Betrieb genommen. Damit wurden die Fahrgastströme auf den Bahnsteigen entzerrt und die Zugänglichkeit der Bahnsteige verbessert.

Was hätte beim Stuttgarter Hauptbahnhof in den vergangenen 20 Jahren nicht alles schon gemacht werden können! Der Kopfbahnhof hätte 11 Meter breite Bahnsteige bekommen können - durch den Abriss der nicht mehr benötigten Gepäckbahnsteige und das paarweise Zusammenlegen der Gleise. Der Kopfbahnhof hätte eine neue, breite, moderne Fußgängerunterführung auf Höhe der Bahnsteigemitte erhalten können - und möglicherweise eine weitere Fußgängerunterführung am Bahnsteigende. Der Kopfbahnhof hätte ein neues, helles Dach erhalten können. Das veraltete Stellwerk wäre längst erneuert und an einen anderen Ort verbracht worden. Die Bebauung des Südflügels hätte modernisiert werden können und in architektonisch herausragender Form bis zur Wolframstraße verlängert werden können. Dann wäre in der Straße "Am Schlossgarten" ein großartiger Boulevard entstanden.

Modernisierung und Anpassung des S-Bahnnetzes
Andere S-Bahn-Städte mit Kopfbahnhöfen sind bei der Entwicklung ihres S-Bahnnetzes schon längst weiter als Stuttgart. Hamburg hat schon längst eine zweite Stammstrecke für die S-Bahn gebaut. In München steht nach jahrelangen Planungen der Bau einer zweiten Stammstrecke bevor. Frankfurt/Main hat so etwas ähnliches wie einen Ringschluss in der Innenstadt geschaffen und damit die Kapazität der S-Bahn wesentlich erweitert. Und Zürich erhält mit der Inbetriebnahme der im Bau befindlichen Durchmesserlinie ebenfalls eine zweite Stammstrecke für die S-Bahn. Denn die Durchmesserlinie wird außer von einigen Intercitylinien auch von der S-Bahn befahren werden.

Stuttgart tritt bei der Entwicklung seines S-Bahnnetzes seit 20 Jahren auf der Stelle. Dabei ist es gar nicht sicher, ob für Stuttgart eine zweite Stammstrecke für die S-Bahn der richtige Weg ist. Dieses Thema haben wir ja in diesem Blog an anderer Stelle schon vertieft. Für die Region Stuttgart eignen sich eher Tangentiallinien, die die S-Bahn-Stammstrecke in der Stuttgarter Innenstadt entlasten können. An allererster Stelle der Agenda steht hier die Express-S-Bahn vom Kopfbahnhof über S-Vaihingen, Flughafen und Wendlingen nach Plochingen. Mit großer Wahrscheinlichkeit wäre diese attraktive und zukünftsweisende S-Bahnlinie schon längst gebaut worden, hätte man sich in den vergangenen 20 Jahren nicht mit Stuttgart 21 herumschlagen müssen.

Neustrukturierung des Stadtbahnnetzes
Das Stuttgarter Stadtbahnnetz gehört zu den verkorkstesten und am schlechtesten strukturierten Netzen unter allen U-Bahn-, Stadtbahn- und Straßenbahnnetzen vergleichbarer Städte in Europa. Das Netz hat nur zwei Stammstrecken. Die überwiegende Zahl der Netze der anderen Städte haben drei oder mehr Stammstrecken. Das führt dazu, dass der Fahrplan des Stuttgarter Stadtbahnnetzes ganz schlecht ist. Das Netz ist überlastet. Eine Verlagerung des Autoverkehrs hin zur Stadtbahn ist unter diesen Umständen illusorisch.

In Stuttgarter Heslach folgen sich z.B. die beiden dort verkehrenden Stadtbahnlinien im Minutenabstand. Oft muss der zweite Zug hinter dem ersten warten. Dann tut sich 9 Minuten nichts. Bei der Haltestelle Rotbühlplatz folgen sich die drei dort verkehrenden Linien ebenfalls im Minutenabstand. Zwei der drei Züge fahren sogar - zumindest auf dem Papier - zur gleichen Minute in die Haltestelle ein. Dann tut sich dort ebenfalls 8 Minuten nichts mehr. Die Bevölkerung - sofern sie nicht längst aufgegeben hat und in die innere Immigration gegangen ist - beschwert sich über den Weg der Bezirksbeiräte. Erfolg hat es nicht. Muss man im Stadtbahnnetz umsteigen, gibt es vielfach keine passenden Anschlüsse. Die Umsteigezeiten sind lang.

Hätte die Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) in den vergangenen Jahren nicht an vorderster Stelle der S21-Propaganda gestanden, hätte man sich dort bereits um eine Verbesserung des Stadtbahnnetzes kümmern können. Dann gäbe es heute bereits eine dritte Stammstrecke für die Stadtbahn. Und diese dritte Stammstrecke würde von Niederflurstraßenbahnen befahren. Die beiden heute bestehenden Stammstrecken wären entlastet. Dann könnte eine Taktverdichtung bei den auf diesen beiden Stammstrecken verbleibenden Linien stattfinden. Die neue Straßenbahn hätte die Urbanität und Attraktivität Stuttgart`s bereits signifikant erhöht.

Anpassung des Straßenverkehrsnetzes
In kaum einer anderen Großstadt in Deutschland steht das Straßenverkehrswesen so auf dem Kopf wie in Stuttgart. Viel zu viele Stellplätze in der Innenstadt, ein überdimensionierter Cityring, zwei Bundesstraßen mitten durch die Innenstadt, zu breite Radialstraßen, aber das weitgehende Fehlen eines Mittleren Rings verunmöglichen jede Anstrengung auf eine Besserung der Verhältnisse für die Bewohner der Stadt.

Auch in diesem Punkt wäre man schon sehr viel weiter, müssten das Stadtplanungsamt und das Tiefbauamt der Landeshauptstadt Stuttgart nicht ihre Kapazitäten für Stuttgart 21 verbrauchen.

Bebauung von Gleisflächen
Es ist sonderbar: Aber diejenigen Städte, die ihren Kopfbahnhof modernisiert haben, wickeln zur Zeit sehr viel größere Bauprogramme - auch auf ehemaligen Gleisflächen - ab als Stuttgart. Fährt man mit dem Zug nach München, Frankfurt/Main oder Zürich, sieht man, wie in diesen Städten auf den an die noch benötigten Gleisflächen angrenzenden Grundstücken eine enorme Bautätigkeit stattfindet. Da werden Büros und Wohnungen gebaut, dass man als Stuttgarter nur neidisch werden kann.

Wegen Stuttgart 21 stagniert in Stuttgart die Bebauung der zahlreich vorhandenen nicht mehr benötigten Gleisflächen nun schon seit Jahren. Und sie würde für weitere 20 Jahre oder viel länger stagnieren, würde Stuttgart 21 tatsächlich gebaut.

Fazit
Wegen einer spinnerten Idee stagniert nun schon seit 20 Jahren die Entwicklung der Landeshauptstadt Stuttgart und ihrer Region. Die Metropolregion Stuttgart fällt im Vergleich zu den anderen Regionen in Europa zusehends zurück. Das politische Klima in der Region ist vergiftet. Energie und Elan für neue Ideen sind unter diesen Umständen nicht mehr vorhanden. Die Politik hat sich in der Region Stuttgart in eine Sache verrannt, aus der es ohne Ansehensverlust kaum mehr ein Entrinnen gibt. 

Aber bei realisitischer Betrachtung führt kein Weg daran vorbei, Stuttgart 21 jetzt umgehend zu stoppen, den längst fälligen anderen Weg einzuschlagen und damit in die Gemeinschaft der großartigen europäischen Städte zurückzukehren. Ein Ausweg aus dem Dilemma könnten neue Köpfe bringen. Da setze ich dann doch eine kleine Hoffnung in den neuen Stuttgarter OB Fritz Kuhn. Es wäre zu wünschen, dass Fritz Kuhn in seinem Zuständigkeitsbereich (dazu gehört die SSB und die Stadtverwaltung) Zeichen setzt. Und welcher Zeitpunkt wäre günstiger, Zeichen zu setzen als der Beginn einer Amtszeit?          



  
               

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