Sonntag, 16. Oktober 2011

Trennwirkung der Bahn ist bei Kopfbahnhofstädten nur halb so groß wie bei Städten mit Durchgangsbahnhof

Als Begründung für Stuttgart 21 werden immer wieder auch städtebauliche Gründe ins Feld geführt. Die städtebaulichen Argumente für Stuttgart 21 lassen sich in vier Teilbereiche gliedern:

  • neue Flächen für Büros und Handel
  • neue Flächen für den Wohnungsbau
  • neue Parkflächen
  • Beseitigung der Trennung von Stadtgebieten durch Bahnstrecken. 

 
Mit den ersten drei Argumenten hat sich dieser Blog bereits auseinandergesetzt. Kurzgefasst gab es hierbei die folgenden Erkenntnisse:
  • Neue Flächen für Büros und Handel benötigt die Stuttgarter Innenstadt nicht. Vielmehr hat die Stadt Mühe, in den kommenden 30 Jahren die bereits vorhandenen Brachen und Leerstände zu füllen.
  • Ein Bedarf für Wohnungsbau ist vorhanden. Jedoch verhindert Stuttgart 21 den Wohnungsbau in den kommenden 15 bis 20 Jahren. Bei einem Ausbau des Kopfbahnhofs stehen mindestens 75 Prozent der bei Stuttgart 21 freiwerdenden Flächen ebenfalls für Wohnungsbau zur Verfügung. Und diese Flächen können im Gegensatz zu Stuttgart 21 ab sofort bebaut werden.
  • Die bei Stuttgart 21 vorgesehenen neuen Parkflächen können den Verlust an Parkfläche in der Innenstadt nicht ausgleichen. Beim Ausbau des Kopfbahnhofs wird durch die Verlegung des Abstellbahnhofs nach Untertürkheim eine noch größere neue Parkfläche geschaffen als bei Stuttgart 21. Zudem wird der vorhandene Park in der Innenstadt nicht angetastet.

Mit dem Argument der Trennung von Stadtteilen durch die Bahnstrecken hat sich dieser Blog noch nicht ausreichend beschäftigt. Festgestellt haben wir jedoch schon, dass die Trennung der Stadt durch die Hauptverkehrsstraßen zumindest in Bezug auf die Aspekte Lärm sowie Abgase einschließlich Feinstaub wesentlich gravierender ist als die Trennung der Stadt durch die Bahnstrecken. Lediglich beim optischen Aspekt ist die Trennwirkung durch die Bahnstrecken etwas größer als die Trennwirkung durch die Straßen. 

Zudem ist zu berücksichtigen, dass die hier zu betrachtenden Bahnstrecken nicht vom Güterverkehr befahren werden. Die vom Güterverkehr befahrenen und besonders lauten Bahnstrecken werden durch Stuttgart 21 nicht angetastet und verlaufen weiterhin durch die Stadt.

Nun gilt es jedoch, die Trennwirkung der Bahnstrecken in Stuttgart weiter zu relativieren. Hierzu ist ein grundsätzlicher Vergleich zwischen der Situation bei Kopfbahnhöfen und der Situation bei Durchgangsbahnhöfen angebracht. Die Mehrzahl der deutschen Städte verfügt über Durchgangsbahnhöfe. Durchgangsbahnhöfe zeichnen sich dadurch aus, dass es auf beiden Seiten des Bahnhofes Gleisvorfelder sowie Zu- und Ablaufstrecken gibt. Dagegen gibt es bei Kopfbahnhöfen nur auf einer Seite des Bahnhofs ein Gleisvorfeld sowie Zu- und Ablaufstrecken.

Bei einem Durchgangsbahnhof wird also eine Stadt vollständig zerschnitten und zweigeteilt. Es gibt zwei Stadthälften. Die größere der beiden Hälften ist meist auf derjenigen Seite des Durchgangsbahnhofs, auf der sich die Innenstadt befindet. Die etwas kleinere Hälfte ist auf der anderen Seite. Und diese andere Hälfte ist oft die Rückseite, die Sorgenseite der Stadt. So ist das z.B. in Nürnberg, in Hannover, in Düsseldorf. Aber man darf hier nicht nur Großstädte betrachten. Das gilt auch für eine dreistellige Zahl von mittelgroßen Städten, auch in der Region Stuttgart, z.B. Ludwigsburg.

Wie anders sieht das bei den Kopfbahnhofstädten aus! Da werden die Innenstadt und die innere Stadt nicht oder kaum getrennt. Denn die Bahnanlagen führen nur aus einer Richtung mehr oder weniger weit in die innere Stadt hinein. Was wurde den Menschen in Stuttgart da nicht alles eingeredet! Wie schlimm würden die Bahnanlagen die Stadt trennen. Dabei trifft dies im bundesweiten Vergleich gar nicht zu. Die Innenstadt von Stuttgart wird durch Bahnanlagen überhaupt nicht getrennt. Und zwischen der Innenstadt und den angrenzenden Stadtbezirken sind zumindest in drei Himmelsrichtungen ebenfalls keine trennenden Bahnanlagen vorhanden. 

Würde die Trennwirkung von Bahnstrecken in den Städten als bundesweites, gravierendes Problem gesehen, müsste man somit zunächst einmal die Durchgangsbahnhöfe zum Beispiel von Nürnberg, Hannover oder Düsseldorf tiefer legen. Denn diese Durchgangsbahnhöfe und noch viele andere mehr haben einschließlich ihrer Zu- und Abläufe eine wesentlich größere Trennwirkung auf die Stadt als ein Kopfbahnhof. Aber all dies ist nur graue Theorie. Es wird nicht einmal im Entferntesten das Geld vorhanden sein, um auch nur einen dieser Bahnhöfe tiefer zu legen. Also sollte man es bleiben lassen.  

Es gibt eine Stadt in Deutschland, die ihren Durchgangsbahnhof im Rahmen eines viergleisigen Ausbaus tiefer gelegt hat - Neu-Ulm. Dies war bereits das Thema in diesem Blog. Der Vollständigkeit halber ist unten eines der bereits in diesem Blog gezeigten Bilder vom neuen Bahnhof in Neu-Ulm noch einmal dargestellt. Da hat man also in Neu-Ulm eine dreistellige Millionensumme in die Tieferlegung des Bahnhofs investiert. Aber so richtig zufriedenstellend ist die ganze Sache nicht geworden. Es zieht sich nun ein Wall durch die Stadt, ein Wall, wie er auch bei Stuttgart 21 durch den Mittleren Schlossgarten und quer zum Stuttgarter Talkessel kommen würde. 

Zusammengefasst: Bei Stuttgart 21 haben sich ein paar Möchte-Gern-Stadtplaner ausgetobt. Vom Hubschrauber aus und als schnelle Idee mag das Ganze ja noch ein wenig Glanz gezeigt haben. Eine Beschäftigung mit den stadtplanerischen Details von Stuttgart 21 führt jedoch zur Schlussfolgerung: Hände weg von Stuttgart! Stopp von Stuttgart 21!       
Der Durchgangsbahnhof in Neu-Ulm wurde tiefer gelegt. Allerdings liegt der neue Bahnhof nicht so tief, dass die Teile der Stadt auf beiden Seiten des Bahnhofs ebenerdig miteinander verbunden sind. Vielmehr verläuft mitten durch die Stadt ein Wall, über den auch der gesamte Verkehr gehen bzw. fahren muss. Hier im Bild überwindet eine Straße den Wall.

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