Die Bundeskanzlerin Angela Merkel kann es nicht nachvollziehen. In ihrer berühmten Rede im Bundestag, bei der sie die kommende Landtagswahl in Baden-Württemberg zur Abstimmung über das Projekt Stuttgart 21 erklärt hat, hat sie auch die Partei Bündnis 90 / Die Grünen angegriffen. Sinngemäß hielt sie den Grünen vor, im Badischen für einen Tunnel zu sein (gemeint war der Rastatter Tunnel), in Stuttgart jedoch Tunnelbauten (Stuttgart 21) abzulehnen. Damit wollte sie die Grünen und alle Gegner von Stuttgart als unzuverlässige Kantonisten brandmarken.
Vielleicht ist es in diesem Zusammenhang hilfreich, einfach einmal die Unterschiede zwischen dem Rastatter Tunnel und Stuttgart 21 aufzulisten. Vielleicht wird dann etwas klarer, warum die Grünen und überhaupt alle Gruppen und Menschen, denen die Zukunft der Bahn am Herzen liegt, für den Rastatter Tunnel und gegen Stuttgart 21 eintreten.
1. Der Rastatter Tunnel befindet sich im Verlauf der wichtigsten Magistrale Europas, der Magistrale Rotterdam-Genua und dazu noch im Verlauf der untergeordneten Magistrale Paris-Budapest. Stuttgart 21 befindet sich zwar im Verlauf der untergeordneten Magistrale Paris-Budapest, ist jedoch als Bahnhofsprojekt für diese Magistrale ohne Bedeutung.
2. Der Rastatter Tunnel verdoppelt die Kapazität der wichtigen Güterverkehrsachse Rotterdam-Genua, indem im Bereich Rastatt zu den bestehenden zwei Gleisen zwei weitere Gleise hinzukommen. Stuttgart 21 führt zu keinerlei Erhöhung der Kapazitäten, schon gar nicht für den Güterverkehr.
3. Der Rastatter Tunnel hat einen hohen Nutzen-Kosten-Faktor von 2,9. Das heißt, dass der Nutzen fast dreimal so hoch ist wie die Kosten. Für Stuttgart 21 ist ein Nutzen-Kosten-Faktor nicht einmal bekannt. Das Projekt wird von der Bahn nur deshalb begonnen, weil das Land, die Region und die Stadt Unsummen zuschießen.
4. Der Rastatter Tunnel ist seit dem Jahr 1998 planfestgestellt. Beim Projekt Stuttgart 21 sind 15 Jahre nach Planungsbeginn immer noch wesentliche Abschnitte noch nicht einmal erörtert, geschweige denn planfestgestellt.
5. Der Ratatter Tunnel bringt dem Personenfernverkehr der Nord-Süd-Achse Frankfurt - Basel sowie der Ost-West-Achse München - Paris beträchtliche Fahrzeitverkürzungen. Heute müssen diese Züge mit 80 km/h durch den kurvigen Rastatter Bahnhof fahren. Zukünftig können sie mit 250 km/h fahren. Stuttgart 21 bringt kaum Fahrzeitgewinne, für verschiedene Relationen sogar Fahrzeitverlängerungen.
6. Für den Rastatter Tunnel wird kein Bahnhof abgerissen, kein denkmalgeschütztes Gebäude zerstört. Der bestehende Bahnhof Rastatt bleibt voll funktionsfähig erhalten. Für Stuttgart 21 wird einer der bemerkenswertesten, denkmalgeschützten Bahnhöfe Europas zerstört.
7. Der Rastatter Tunnel beeinträchtigt keine Mineralwasserquellen oder Grundwasserströme. Stuttgart 21 stellt eine Gefahr für das zweitgrößte Mineralwasservorkommen Europas sowie für die Grundwasserströme im Stuttgarter Talkessel dar.
8. Der Rastatter Tunnel mit Investitionskosten von 650 Mio Euro kann innerhalb von 3 bis 4 Jahren fertiggestellt werden. Die Gefahr einer Bauruine ist sehr klein. Der volle Nutzen ist nach 4 Jahren Bauzeit da. Ganz im Gegensatz dazu verhält es sich bei Stuttgart 21 mit einer Bauzeit von mindestens 15 Jahren, Kosten von 5 Milliarden Euro (wahrscheinlicher 8 - 10 Mia) und der Gefahr, auf einer riesigen Bauruine sitzen zu bleiben.
9. Der Rastatter Tunnel mit einer Länge von 4.270 Meter und einigen Kilometern Zulaufstrecken ist ein im Vergleich zu Stuttgart 21 (33 Kilometer Tunnel) maßvolles Projekt.
10. Der Rastatter Tunnel wird allen Beteiligten (Anwohner, Bürger im weiteren Umkreis, Politiker, Interessenvertreter, Bahnfahrer) begrüßt. Stuttgart 21 wird von großen Teilen der Bevölkerung abgelehnt.
11. Für den Rastatter Tunnel sind bereits Millionenbeträge in Planung und Bau geflossen. Entlang des Neubaus der B36 wurde bereits der Unterbau der neuen Bahnstrecke über mehrere Kilometer Länge hergestellt. Diese Trasse kann nun möglicherweise wegen Stuttgart 21 nicht fertiggebaut werden. Ein Projekt mit hohem Nutzen wird zu Gunsten eines Prestigeprojekts ohne Nutzen zurückgestellt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sollte sich vielleicht erst einmal über die Projekte informieren, bevor sie im Bundestag Menschen angreift, die sich bei diesen Projekten auskennen. Sollte sie jedoch keine Zeit haben, sich mit den Projekten näher zu befassen (was absolut nachvollziehbar wäre), dann müsste man ihr raten, einfach zu diesen Themen zu schweigen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.