Sonntag, 24. Mai 2020

Der Gebhard-Müller-Platz - ein Beispiel für die verfehlte Verkehrspolitik in Stuttgart


Die Unterführung der B14 am Gebhard-Müller-Platz ist eine von vier Unterführungen zwischen dem Marienplatz und dem Neckartor, die eines der Kennzeichen für die Stuttgarter Stadtautobahn und ein Zeichen für die verfehlte Verkehrspolitik in Stuttgart sind. 

Im Rahmen des Projekts Stuttgart 21 soll die Unterführung am Gebhard-Müller-Platz jetzt um ca. 100 Meter verlängert werden. Die endgültige Abstimmung über diese Maßnahme soll in diesen Tagen im Stuttgarter Gemeinderat stattfinden.

Wenn man das Projekt Stuttgart 21 mal als gegeben betrachtet, ist das Ansinnen einer Verlängerung der B14-Unterführung am Gebhard-Müller-Platz folgerichtig. Dort wo heute der Verkehr der B14 noch oberirdisch verläuft, liegen im Rahmen des Projekts Stuttgart 21 zukünftig der Zugang zur neugebauten Stadtbahnhaltestelle Staatsgalerie sowie der Südzugang zum Stuttgart 21-Durchgangsbahnhof. Es ist fast unmöglich, diese Zugänge fahrgastfreundlich zu gestalten, wenn hier die oberirdische B14 im Weg ist.

Zwei Lager im Stuttgarter Gemeinderat
Im Stuttgarter Gemeinderat gibt es in Bezug auf die Verlängerung der B14-Unterführung am Gebhard-Müller-Platz zwei Lager. Die Grünen und die Fraktionsgemeinschaft SÖS, LINKE, PluS lehnen eine Verlängerung der Unterführung ab - unter Verweis auf die anstehende Neuplanung des Straßenraums der B14 vom Marienplatz bis zum Neckartor. Die anderen Fraktionen befürworten die Verlängerung der Unterführung.


Letztendlich liegen beide Seiten falsch. Die Kontroverse um die Verlängerung der B14-Unterführung am Gebhard-Müller-Platz zeigt vielmehr die verfehlte Stuttgarter Verkehrspolitik.

Stuttgart ist eine der wenigen Großstädte in Europa, die kaum Straßenringe aufweisen. Insbesondere fehlen ein Mittlerer Ring und ein Außenring. Als Folge führen die Bundesstraßen B14 und B27 mitten durch den Stuttgarter Talkessel. Autofahrer, die vom großen Schnellstraßennetz im Osten Stuttgarts (B14, B29) zu den Autobahnen im Westen von Stuttgart (A8, A81) gelangen wollen, müssen mitten durch den Stuttgarter Talkessel fahren. Denn es fehlt der Mittlere Ring und hier insbesondere die Südtangente als Teil eines Mittleren Rings.

Durchgangsverkehr wird mitten durch den Stuttgarter Talkessel geleitet
Solange aber überörtlicher Durchgangsverkehr zwangsläufig durch den Stuttgarter Talkessel gelenkt wird und solange die B14 nicht im Verlauf einer Südtangente, sondern mitten durch den Stuttgarter Talkessel geführt wird, kann man keine einzige der vier Unterführungen der B14 zwischen dem Marienplatz und dem Neckartor beseitigen. Umgekehrt gilt aber, dass sobald die Südtangente des Mittleren Rings fertig ist, alle vier Unterführungen (somit also die Unterführungen am Österreichischen Platz, am Wilhelmsplatz, am Charlottenplatz und am Gebhard-Müller-Platz) zurückgebaut werden können.

Da die Fertigstellung einer Südtangente noch mindestens 20 Jahre auf sich warten lassen wird, führt an einer Verlängerung der B14-Unterführung am Gebhard-Müller-Platz zunächst mal kein Weg vorbei.

Die Grünen und die Fraktionsgemeinschaft SÖS, LINKE, PluS liegen also falsch, wenn sie die Verlängerung der B14-Unterführung am Gebhard-Müller-Platz ablehnen.

Falsch liegen aber auch die übrigen - das Projekt Stuttgart 21 unterstützenden - Parteien. Denn es ist das Projekt Stuttgart 21, das jetzt bereits seit mehreren Jahrzehnten die Verkehrsplanung in Stuttgart anhält und zurückwirft. Der fehlende Mittlere Ring und Außenring, die fehlende dritte Stammstrecke für die Stuttgarter Stadtbahn und die fehlende zweite Stammstrecke für die S-Bahn gehen zum größten Teil auf das Konto von Stuttgart 21.

Was ist jetzt zu tun?
Es ist jetzt das zu tun, was immer dann zu tun ist, wenn größte Not besteht. Es gilt jetzt zusammenzurücken. Beide politischen Seiten (stellvertretend seien jetzt mal die Grünen und die CDU genannt) müssen jetzt Zugeständnisse machen und über ihren Schatten springen.

Die Grünen müssen über ihren Schatten springen und die von der CDU vorgeschlagene Filderauffahrt und Südtangente als Teil eines Mittleren Rings akzeptieren und mittragen. 

Die CDU muss über ihren Schatten springen und dringend notwendige Änderungen am jahrzehntealten Projekt Stuttgart 21 sowie die dritte Stammstrecke für die Stuttgarter Stadtbahn in der Form einer Niederflurstraßenbahn akzeptieren und mittragen.

Andernfalls muss man für die verkehrliche Zukunft Stuttgarts schwarz sehen.

Der Mittlere Ring
Ganz kurz noch ein paar Erläuterungen zum Mittleren Ring:

Ein Mittlerer Ring verläuft zwischen den Inneren und den Äußeren Stadtbezirken. Der Stuttgarter Mittlere Ring besteht aus vier Elementen - der Osttangente, der Südtangente, der Westtangente und der Nordtangente. 

Die Osttangente besteht bereits zum größten Teil und umfasst die B10 vom Pragsattel bis zum Dreieck B10/B14 am Großmarkt. Die Westtangente besteht ebenfalls bereits zum größeren Teil und umfasst den Straßenzug vom Dreieck Johannesgraben über den Schattenring und das Wildparkdreieck bis zum Botnanger Sattel.

Die wichtigste und größte Neubaumaßnahme für einen Stuttgarter Mittleren Ring ist die Südtangente vom Dreieck B10/B14 am Großmarkt bis zum Dreieck Johannesgraben. Sie umfasst den Filderaufstiegstunnel von S-Wangen bis S-Degerloch, einen Tunnel bzw. eine Umfahrung von S-Degerloch, einen zum Teil nach oben geöffneten Tunnel und eine Nordumfahrung von S-Möhringen sowie eine zweite Fahrbahn bei der bestehenden Ostumfahrung von S-Vaihingen. 

Die Tunnelrampe zur B14-Unterführung am Gebhard-Müller-Platz mit dem Gebäude der Stuttgarter Staatsgalerie dahinter: Eine städtebaulich katastrophale Situation. Solange aber Stuttgart keinen Mittleren Ring hat, wird man mit dieser Sache leben müssen.  
    

   

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