Montag, 9. Dezember 2019

Die neue Linie IRE1 zeigt die Problematik der Durchbindung von Regionalzügen bei Stuttgart 21

Seit dem Frühjahr 2019 ist die neue Regionalzuglinie IRE1 von Karlsruhe über Stuttgart nach Aalen in Betrieb. Die Züge werden zweistündlich im Stuttgarter Hauptbahnhof durchgebunden. 

Wir sehen uns heute die verkehrlichen und betrieblichen Aspekte dieser Durchbindung an und ziehen einen Vergleich des Kopfbahnhofs mit dem Stuttgart 21-Tiefbahnhof.

Die Durchbindung von Regionalzügen in Stuttgart ist ja ein wichtiges Argument für das Projekt Stuttgart 21 geworden. Das war es nicht von Anfang an. Den Anfang bei Stuttgart 21 bildeten der Wunsch des damaligen Bahnchefs, viele Hektar der Bahn gehörender Grund und Boden für den Städtebau versilbern zu können, sowie der Wunsch des Landes Baden-Württemberg, den Stuttgarter Flughafen an das ICE-Netz anzuschließen. 

Beide Anfangsprämissen von Stuttgart 21 haben sich längst in Luft aufgelöst. Die Bahn will den Stuttgarter Flughafen nicht wirklich an das ICE-Netz anschließen. Das ist auch absolut verständlich. Denn wo kämen wir hin, hielte der ICE zukünftig in jeder Großstadt zweimal? Wenige Alibi-ICE am Stuttgarter Flughafen ändern daran nichts.

Was den Grund und Boden betrifft, ließen sich auch ohne Stuttgart 21 fast 90 Prozent der in Frage kommenden Fläche bebauen. Zudem zeichnet sich immer mehr die Notwendigkeit für einen Kombibahnhof ab. Das hätte man gleich von Anfang an so machen können.


Die Durchbindung der Regionalzüge bei Stuttgart 21 kam erst nachträglich   
Im Laufe der Jahre der Stuttgart 21-Planung und -Diskussion kam dann das neue Argument der Durchbindung von Regionalzügen auf, die bei Stuttgart 21 wesentlich besser möglich sei als beim Kopfbahnhof. Ob dies zutrifft, sei mal dahingestellt. Wichtig ist jedoch, dass der beengte Stuttgart 21-Tiefbahnhof auf dieses Konzept der Durchbindung von Regionalzügen angewiesen ist - unabhängig davon, ob diese Durchbindung Sinn macht.    

Kehren wir zurück zum IRE1. Der IRE 1 verkehrt zwischen Karlsruhe und Stuttgart dreimal pro zwei Stunden (es gibt eine Taktlücke immer dann, wenn der IC Karlsruhe-Pforzheim-Stuttgart-Nürnberg fährt). Zwischen Stuttgart und Aalen verkehrt der IRE1 zweistündlich und ergänzt damit den ebenfalls zweistündlich fahrenden IC Stuttgart-Nürnberg.

Der IRE1 ist ein Beweis dafür, dass die Durchbindung von Regionalzügen auch im Stuttgarter Kopfbahnhof möglich ist. Daran hat aber hoffentlich auch niemand gezweifelt. Schließlich werden die Fernzüge ja ebenfalls im Stuttgarter Kopfbahnhof durchgebunden.

Ist die Fahrtstrecke der durchgebundenen Regionalzüge bei Stuttgart 21 kürzer als im Kopfbahnhof?
Ein Argument, das immer wieder gegen die Durchbindung von Regionalzügen im Kopfbahnhof angeführt wird, ist die Verlängerung der Fahrtstrecke. Denn die durchgebundenen Züge müssen ein kurzes Stück beim Einfahren und Ausfahren in den / aus dem Kopfbahnhof doppelt fahren. Sehen wir uns dies mal konkrekt für die Durchbindung von Aalen nach Karlsruhe an.

Hierzu ist festzustellen, dass diese Durchbindung bei der heutigen Situation mit dem Kopfbahnhof sogar um 1,7 Kilometer kürzer ist als bei Stuttgart 21. Dies verwundert nicht wirklich. Denn bei Stuttgart 21 müssen die von Aalen kommenden und in Richtung Karlsruhe durchgebundenen Züge ja eine halbe Stadtrundfahrt unter Untertürkheim, Wangen und Gablenberg machen. Dazu kommt noch eine ganz kritische höhengleiche Gleiskreuzung in Bad Cannstatt zwischen der S-Bahn sowie dem RB nach Waiblingen und dem IRE nach Karlsruhe.

Muss die Aufenthaltszeit eines durchgebundenen Regionalzugs im Kopfbahnhof zwangsweise lang sein? 
Die Aufenthaltszeit des durchgebundenen IRE1 im Stuttgarter Kopfbahnhof beträgt 9 bis 10 Minuten. Das erscheint auf den ersten Blick relativ lange zu sein. Der Kopfbahnhof kann jedoch auch kürzere Aufenthaltszeiten. So gab es vor einigen Jahren, als die IRE-Linie Stuttgart-Lindau noch anders konfiguriert war, eine Aufenthaltszeit von nur vier Minuten für diese Linie. Allerdings hatte dies zur Folge, dass Verspätungen, die ein ankommender Zug mitbrachte, nicht abgebaut werden konnten, sondern vom abfahrenden Zug gleich wieder mitgenommen wurden. Was den Verspätungsabbau betrifft, sind also etwas längere Aufenthaltszeiten der Regionalzüge im Hauptbahnhof gar nicht so schlecht.

Das Problem ist nicht der Kopfbahnhof, sondern die Zulaufstrecken  
Trotzdem: Es bleibt die Frage, warum der IRE 1 doch relativ lange im Kopfbahnhof stehenbleibt. Wenn es nicht am Kopfbahnhof liegt, muss es an den Zulaufstrecken liegen. Und tatsächlich werden wir hier fündig. Sehen wir uns als Beispiel den IRE1 an, der um 8 Uhr 02 in Aalen abfährt. Dieser Zug fährt um 8 Uhr 29 in Schorndorf ab und erreicht den Stuttgarter Hauptbahnhof um 8 Uhr 51. Um 9 Uhr 00 fährt er dann weiter nach Karlsruhe.

Zwischen Schorndorf und Waiblingen nutzt der IRE1 dieselben Gleise wie die S-Bahnlinie S2. Der IRE ist somit wie auch die dort halbstündlich verkehrenden RB in ein enges Korsett eingebunden, das sich aus den Fahrtenlagen der S-Bahn ergibt. Der IRE 1 fährt wie auch die halbstündlich verkehrenden RB vier Minuten vor der nachfolgenden S-Bahn in Schorndorf ab und erreicht den Bahnhof Waiblingen vier Minuten nach der vorausfahrenden S-Bahn. Die viertelstündlich verkehrende S-Bahn fährt z.B. um 8 Uhr 33 in Schorndorf ab. Die vorherige S-Bahn hat den Bahnhof Waiblingen um 8 Uhr 39 erreicht.

Die Fahrtenlage des IRE zwischen Schorndorf und Waiblingen und damit auch seine Ankunftszeit im Stuttgarter Hauptbahnhof sind also wegen der S-Bahn festgezurrt. Ein Ausweichen auf ein anderes Viertelstundenintervall zwischen Schorndorf und Waiblingen ist für den IRE ebenfalls nicht möglich. Denn die benachbarten Viertelstundenintervalle zwischen zwei S-Bahnzügen werden bereits durch den RB belegt.

Wie verhält es sich mit der Strecke Stuttgart-Karlsruhe?
Zunächst einmal gibt es bei dem um 9 Uhr 00 von Stuttgart Richtung Karlsruhe abfahrenden IRE eine Besonderheit. Dieser IRE fährt als Einziger seiner Klasse zur Minute 00 im Hauptbahnhof ab. Die anderen IRE fahren zur Minute 59 ab (z.B. 10 Uhr 59). Das ist alleine den Tageskarten (Baden-Württemberg-Ticket, Metropoltagesticket) geschuldet. Hier hat das Land alles darangesetzt, dass man mit diesen erst ab 9 Uhr 00 gültigen Tageskarten den IRE nach Karlsruhe benutzen kann - eine wirklich gute Sache. Für den hier zu behandelnden Sachverhalt ist das aber kaum von Bedeutung.

Nun könnten wir auch für die Strecke Stuttgart-Karlsruhe alle Zwangspunkte aufführen, z.B. den Anschluss in Vaihingen/Enz an die Regionalbahn Bietigheim-Mühlacker, die Fahrtenlagen auf der Strecke Vaihingen/Enz-Pforzheim, die Fahrtenlagen auf der Strecke Pforzheim-Karlsruhe, die Berücksichtigung des Mischbetriebs mit der Karlsruher Stadtbahn zwischen Pforzheim und Kleinsteinbach sowie die Gleisbelegung im Karlsruher Hauptbahnhof.

Das tun wir aber nicht. Das ist zu arbeitsintensiv für den Moment. Statt dessen gilt es einfach, die Taktung zu nennen. Seit vielen, vielen Jahren bereits fährt der IRE von Stuttgart aus um 9 Uhr nach Karlsruhe ab. Das erfolgte bereits, als diese Linie nur im Zweistundentakt verkehrte. Selbstverständlich muss dies auch so sein, wenn jetzt diese Linie fast im Halbstundentakt verkehrt. Halten wir also fest: Auch die Einhaltung der Taktung kann ein Grund für einen längeren Aufenthalt im Stuttgarter Hauptbahnhof sein. 

Stuttgart 21 ändert an vielen Zulaufstrecken zum Hauptbahnhof nichts
Das Projekt Stuttgart 21 ändert weder an der Strecke der Remsbahn Schorndorf-Waiblingen noch an der Strecke der Residenzbahn Stuttgart-Karlsruhe irgend etwas. Die genannten Zwangspunkte und die Taktung des IRE1 bleiben somit auch bei Stuttgart 21 bestehen.

Man kann deshalb prognostizieren, dass der IRE1 - sollte er bei Stuttgart 21 verkehren - mindestens so lange im Stuttgart 21-Tiefbahnhof stehen wird, wie jetzt im Kopfbahnhof. Erste Fahrplanentwürfe für Stuttgart 21 bestätigen dies. Von einem schnellen Durchfahren mit ganz kurzem Halt der Regionalzüge im Stuttgart 21-Tiefbahnhof ist da keine Rede mehr. Es wird zum Teil relativ lange Halte für die Züge im Stuttgart 21-Tiefbahnhof geben. Und der Grund dafür sind unter anderem die Fahrtenlage und die Zwangspunkte sowie die Taktung auf den Zulaufstrecken.

Wie sieht der verkehrliche Nutzen der Durchbindung von Regionalzügen im Stuttgarter Hauptbahnhof aus?
Der IRE1 ist die erste Regionalzuglinie, die im Zwei-Stunden-Takt im Stuttgerter Hauptbahnhof durchgebunden wird. Das kann sich nun jedermann und jedefrau vor Ort auf dem Bahnsteig mal ansehen. Wie viele Fahrgäste steigen aus und ein? Und wie viele Fahrgäste bleiben im Zug sitzen? Nach meinen, selbstverständlich nicht repräsentativen Beobachtungen bleiben nur ganz wenige Fahrgäste sitzen. Die überwältigende Mehrheit der Fahrgäste steigt aus oder ein.

Das ist aber hier in diesem Blog bereits mehrfach thematisiert worden. Die überwältigende Mehrheit der Fahrgäste der Regionalzüge steigt im Stuttgarter Hauptbahnhof aus und ein. Das erfolgt deshalb, um
einen Anschluss zur S-Bahn zu bekommen
einen Anschluss zur Stadtbahn zu bekommen
einen Anschluss zum Linienbus zu bekommen
einen Anschluss zum Fernverkehr zu bekommen
ein Taxi zu nehmen
zu Fuß in die fußläufig zum Hauptbahnhof liegende Innenstadt weiterzugehen.

Ein weiterer Teil der Fahrgäste steigt im Stuttgarter Hauptbahnhof von einem Regionalzug in den anderen um. Ja, trotz der Durchbindung der Regionalzüge muss weiterhin auch die Mehrheit der Fahrgäste, die nur Regionalzüge für ihre Fahrt benutzen umsteigen. Denn die Durchbindung erfolgt ja jeweils nur in eine Richtung. In alle anderen Richtungen muss man weiterhin umsteigen.

Der Stuttgarter Hauptbahnhof sollte also nicht für die Durchbindung von Regionalzügen optimiert werden, sondern für das Umsteigen. Hierzu muss der Kopfbahnhof zwei komfortable Bahnsteigunterführungen (in Bahnsteigmitte und am streckenseitigen Ende der Bahnsteige) erhalten. Die Gepäckbahnsteige müssen beseitigt werden. Die Gleise müssen paarweise zusammengelegt werden. Die Bahnsteige können so verbreitert werden, um bequeme Zugänge zu den Unterführungen aufzunehmen. Dazu kommt noch ein Ausbau der Zulaufstrecken. 

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