Samstag, 23. Februar 2019

Die Große Wendlinger Kurve bei Stuttgart 21: Viel Geld für die nur teilweise Beseitigung eines Engpasses

Mit zusätzlichen 100 Millionen Euro Baukosten, aufgeteilt auf den Bund, das Land BW, sowie die Regionen Stuttgart und Neckar-Alb soll die Kleine Wendlinger Kurve des Projekts Stuttgart 21 zur Großen Wendlinger Kurve ausgebaut werden.

Der Ausbau der Kleinen Wendlinger Kurve zur Großen Wendlinger Kurve beseitigt jedoch den Engpass Wendlinger Kurve nur zum Teil. Für die Neckar-Alb-Bahn, die bei der Wendlinger Kurve die NBS Wendlingen-Ulm kreuzt, bleibt die Wendlinger Kurve ein Engpass - egal ob als Kleine oder Große Wendlinger Kurve.   

Engstellen sind ein integraler Bestandteil der Projekts Stuttgart 21. Das hat seine Ursache in der Unwirtschaftlichkeit des Projekts. Es ist eben mitnichten so, dass sich - wie das in der Anfangszeit von Stuttgart 21 ganz mutige Befürworter behauptet haben - das Projekt Stuttgart 21 alleine durch die freiwerdenden Grundstücke finanziert.

Im Gegenteil ist das Projekt Stuttgart 21 so teuer, dass beim Ausbau der Bahninfrastruktur jede nur mögliche Einsparung genutzt werden muss. Von Ausbaustandards, wie man sie bei vielen anderen Bahnprojekten in Europa findet, kann Stuttgart 21 nur träumen.

Die drei Kategorien an Engstellen bei Stuttgart 21
Die Engstellen bei Stuttgart 21 lassen sich in drei Kategorien einteilen:
1. Der Hauptbahnhof mit seinen nur acht Gleisen
Diese Engstelle hat massive Folgen auf die möglichen Betriebsszenarien sowie auf die maximale Anzahl der Züge.


2. Die Zulaufstrecken mit ihrem ungleichmäßigen Ausbau
Insgesamt verfügt der Hauptbahnhof bei Stuttgart 21 über acht Zu-/Ablaufgleise (ohne S-Bahn). Diese Gleise sind jedoch ungleich verteilt. Sechs dieser Gleise ersetzen die heutige Zufahrt Bad Cannstatt. Nur zwei Gleise ersetzen die heutige Zufahrt Zuffenhausen. Somit wird die heute bereits an der Belastungsgrenze operierende Zufahrt Zuffenhausen nicht ausgebaut. 

3. Die Engstellen bei der Anbindung von Stuttgart 21 an das Bestandsnetz
Hier gibt es zahlreiche Engstellen. Zu den bekanntesten dieser Engstellen gehören die Führung der Gäubahn auf einer S-Bahntrasse zwischen Rohr und Flughafen sowie die Wendlinger Kurve.

Sehen wir uns die Kleine Wendlinger Kurve, ein Bestandteil von Stuttgart 21, einmal näher an. Hier kommen die folgenden Engstellen zusammen:
1. Eingleisige Führung der Fahrtrichtung vom Flughafen nach Nürtingen sowie der Gegenrichtung von Nürtingen zum Flughafen
2. Höhengleiche Gleiskreuzung zwischen der Fahrtrichtung von Nürtingen zum Flughafen und der Fahrtrichtung vom Flughafen nach Ulm
3. Einfädelung der Fahrtrichtung von Nürtingen zum Flughafen in die Fahrtrichtung von Ulm zum Flughafen
4. Höhengleiche Gleiskreuzung zwischen der Fahrtrichtung von Nürtingen nach Plochingen und der Fahrtrichtung vom Flughafen nach Nürtingen
5. Einfädelung der Fahrtrichtung vom Flughafen nach Nürtingen in die Fahrtrichtung von Plochingen nach Nürtingen

In unmittelbarer Nachbarschaft zur Wendlinger Kurve gibt es weitere entweder bereits bestehende oder mit Stuttgart 21 neu hinzukommende Engstellen:
6. Mischbetrieb ICE (250 km/h) und Regionalzüge (160 km/h) zwischen der Wendlinger Kurve und dem Flughafen
7. Höhengleiche Gleiskreuzung im Bahnhof Wendlingen zwischen der Fahrtrichtung von Nürtingen nach Plochingen und der S-Bahn von Stuttgart nach Kirchheim/Teck
8. Einfädelung der S-Bahn von Kirchheim/Teck nach Stuttgart in die Fahrtrichtung von Nürtingen nach Plochingen
9. Höhengleiche Gleiskreuzung im Bahnhof Plochingen zwischen der Fahrtrichtung von Nürtingen über Plochingen nach Esslingen und der Fahrtrichtung von Esslingen über Plochingen nach Göppingen
10. Einfädelung der Fahrtrichtung von Nürtingen über Plochingen nach Esslingen in die Fahrtrichtung von Göppingen über Plochingen nach Esslingen
11. Höhengleiche Gleiskreuzung der Fahrtrichtung von Esslingen über Plochingen nach Nürtingen und der S-Bahn von Kirchheim/Teck nach Stuttgart
12. Einfädelung der Fahrtrichtung von Esslingen über Plochingen nach Nürtingen in die S-Bahn von Stuttgart nach Kirchheim/Teck.

Von diesen zwölf aufgelisteten, in unmittelbarer Nachbarschaft liegenden Engstellen besteht heute lediglich die Engstelle Nr. 7, die Engstelle Nr. 8 und die Engstelle Nr. 12. Alle anderen Engstellen kommen mit Stuttgart 21 neu hinzu.

Die Große Wendlinger Kurve ist teuer, löst aber nicht alle Probleme
Kommen wir nun zur Großen Wendlinger Kurve. Die Große Wendlinger Kurve ist im Gegensatz zur Kleinen Wendlinger Kurve zweigleisig. Zudem tauchen die Züge mit Fahrtrichtung Flughafen unter dem Gleis der Fahrtrichtung Ulm hindurch. Damit ist die Große Wendlinger Kurve in der Lage, die Engstellen Nr. 1 und Nr. 2 zu beseitigen. Alle anderen Engstellen bleiben auch mit der Großen Wendlinger Kurve erhalten.

Insbesondere bleibt die höhengleiche Gleiskreuzung im Verlauf der Neckartalbahn zwischen den Zügen der Fahrtrichtung Plochingen und den vom Flughafen kommenden Zügen erhalten. Auch hier hätte man eine höhenfreie Lösung wählen können. Das war aber wohl selbst den Politikern, so sonst gerne die Stuttgart 21-Kosten auf andere Projekte auslagern, zu teuer.

Fazit
Stuttgart 21 besteht aus zahlreichen Engstellen. Eine der markantesten Engstellen ist die Wendlinger Kurve. Mit zusätzlichen Mitteln von 100 Mio. Euro - die allerdings nicht unter dem Projekt Stuttgart 21 aufscheinen - soll die Wendlinger Kurve nun ausgebaut werden, um das Schlimmste zu verhindern. Trotz dieses Ausbaus bleiben jedoch zahlreiche weitere Engstellen bei der Wendlinger Kurve sowie in deren unmittelbarer Nachbarschaft bestehen.
Ein Bohrer bereitet die Baugrubenverbauung beim Portal auf der Seite Nürtingen des Tunnels der Kleinen Wendlinger Kurve vor.
Blick auf die Neckartalbahn bei Oberboihingen (zwischen Wendlingen und Nürtingen) mit Blick Richtung Nürtingen (-Reutlingen-Tübingen): Auf dem Bild gut zu erkennen ist ein von der zweigleisigen Strecke der Neckartalbahn abzweigendes Gleis, das zunächst mal im Nichts endet. Die Verzeigungsweiche ist ebenfalls bereits eingebaut. Dieses Gleis wird dereinst durch den Tunnel bei der Wendlinger Kurve und weiter auf der Neubaustrecke in Richtung Flughafen führen. Eine Inbetriebnahme ist frühestens 2025 möglich. Man könnte in Anlehnung an die Wortschöpfung aus Oberfranken sagen: Eine "So-da-Weiche" und ein "So-da-Gleis".  Die später mal vom Flughafen kommenden Züge werden über dieses heutige "So-da-Gleis" zunächst mal auf dem Gleis der Gegenrichtung der Neckartalbahn landen und dann erst über eine doppelte Weichenverbindung auf das richtige Gleis geleitet - eine klassische höhengleiche Gleiskreuzung, die auch mit der Großen Wendlinger Kurve nicht beseitigt wird.  

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