Freitag, 25. Mai 2018
Neue Neckarbrücke Bad Cannstatt zeigt die Probleme und Nachteile des Alles-oder-Nichts-Projekts Stuttgart 21
Die neue Neckarbrücke Bad Cannstatt des Projekts Stuttgart 21 soll im Laufe des Jahres 2019 weitgehend fertiggestellt werden. Eine Inbetriebnahme von Stuttgart 21 ist allerdings frühestens im Jahr 2025 zu erwarten.
Stuttgart 21 ist ein Alles-oder-Nichts-Projekt. Als Folge kann bei Stuttgart 21 keine Teilinbetriebnahme erfolgen. Stuttgart 21 kann erst in Betrieb gehen, wenn auch beim letzten Teilbauvorhaben die letzte Schraube festgezogen ist, die letzte Abnahme erfolgt ist und der letzte Probebetrieb erfolgreich abgeschlossen worden ist. Diese Probleme und Nachteile eines Alles-oder-Nichts-Projekts wie Stuttgart 21 werden jetzt in Form der neuen Neckarbrücke einem größeren Kreis der interessierten Bevölkerung erneut bewusst.
In den ersten Jahren dieses Blogs wurde die Thematik des Alles-oder-Nichts-Projekts Stuttgart 21 immer wieder angesprochen. Es wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass es ein derartiges Alles-oder-Nichts-Projekt wie Stuttgart 21 bei keinem anderen Ausbauvorhaben* eines Bahnknotens in Europa gibt. Es wurde immer wieder betont, dass das Alles-oder-Nichts-Projekt Stuttgart 21 wirkliche Erfolge beim Ausbau des Bahnknotens Stuttgart nun schon seit Jahrzehnten behindert.
*Es gibt berechtigte Zweifel daran, ob man Stuttgart 21 überhaupt als ein Ausbauvorhaben bezeichnen kann. Es ist wohl eher ein Umbauvorhaben. Denn verschiedenen Ausbaumaßnahmen stehen bei Stuttgart 21 Netzteile gegenüber, die nicht ausgebaut werden, sowie Netzteile, bei denen sogar ein Rückbau erfolgt.
Nun gibt die Neckarbrücke Bad Cannstatt erneut Gelegenheit, auf die Problematik des Alles-oder-Nichts-Projekts Stuttgart 21 einzugehen. Diese Problematik kann man bei der Neckarbrücke Bad Cannstatt in zwei Zeitachsen unterteilen, nämlich eine Zeitachse, die in die Zukunft weist, und eine Zeitachse, die in die Vergangenheit zurückblickt.
8 bis 10 Jahre, vielleicht sogar für immer werden am Neckarknie in Stuttgart zwei viergleisige Eisenbahnbrücken nebeneinander stehen
Sehen wir uns als erstes die Zeitachse an, die in die Zukunft weist. Hierzu sind noch einmal die folgenden Jahreszahlen festzuhalten: 2019 für die weitgehende Fertigstellung der neuen Neckarbrücke Bad Cannstatt und frühestens Ende 2025 für den jetzt geplanten Inbetriebnahmetermin von Stuttgart 21. Es gibt berechtigte Zweifel daran, ob es bei diesem Inbetriebnahmetermin bleibt. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ist auch dieser Inbetriebnahmetermin nicht zu halten. Man denke zum Beispiel nur an die Gäubahn. Es gibt eine Wahrscheinlichkeit, dass im Jahr 2025 der geplante eingleisige Gäubahn-Bahnhof beim Flughafen noch nicht fertiggestellt sein wird. Dann aber kann man auch Stuttgart 21 nicht in Betrieb nehmen - es sei denn, dass man in Kauf nimmt, die Gäubahn über viele Jahre hinweg in Stuttgart-Vaihingen oder bei Stuttgart-Nord enden zu lassen. Das aber wäre ein letzter Offenbarungseid von Stuttgart 21.
Es bleibt somit bei dieser Gäubahnproblematik nichts anderes übrig, für eine Sicherung des Inbetriebnahmezeitpunkts von Stuttgart 21 im Jahr 2025 die in diesem Blog schon vielfach vorgeschlagene neue Doppelspur von der Verzweigung nördlich von Zuffenhausen bis zu einem sechsgleisigen Kopfbahnhof vorgezogen zu bauen und diese neue Doppelspur auch für die Züge der Gäubahn und für die Züge der S-Bahnlinie S 6 zu öffnen.
Kehren wir aber zur Neckarbrücke zurück. Mit Fertigstellung der neuen Neckarbrücke gibt es in diesem Bereich des Neckarknies zwei viergleisige Neckarbrücken, die alte, bestehende Neckarbrücke und eben die neue Neckarbrücke. Dieser Zustand wird nun ca. 9 bis 10 Jahre andauern. Denn die alte Neckarbrücke würde bei einer Inbetriebnahme von Stuttgart 21 Ende 2025 nicht schon am nächsten Tag, sondern vielleicht erst nach einem oder zwei Jahren abgerissen.
Das müsste eigentlich auch den CDU-Kreisverband Stuttgart interessieren. Denn in einem Flyer des CDU-Kreisverbands zur Volksabstimmung über Stuttgart 21 ist unter Punkt 4 "Neckarüberquerung bei Bad Cannstatt" polemisierend festgehalten, dass ".....Das Neckarknie bei Bad Cannstatt würde mit Eisenbahnbrücken regelrecht zugepflastert".
Gemeint war hier das Projekt K 21, das in der Tat und vollkommen richtig eine zusätzliche zweigleisige Eisenbahnbrücke über den Neckar zur Aufnahme des fünften und sechsten Gleises für die Zufahrt Bad Cannstatt vorsah.
Wenn der CDU-Kreisverband bei sechs Gleisen über den Neckar beim Neckarknie bereits eine regelrechte Zupflasterung sieht, wie würde der CDU-Kreisverband dann eine Situation beurteilen mit Brücken für acht Gleise über den Neckar, eine Situation wie sie jetzt mit Stuttgart 21 für die Mindestzeit von ca. 8 bis 10 Jahren, möglicherweise sogar länger und möglicherweise sogar zeitlich unbegrenzt droht, wenn sich Vorschläge durchsetzen, die bestehende Neckarbrücke für den Fuß- und Radverkehr zu erhalten?
Das Alles-oder-Nichts-Projekt Stuttgart 21 bringt für Stuttgart einen mindestens 30jährigen Rückstand bei Verkehrsdingen
Kommen wir nun zur Betrachtung des in die Vergangenheit zurückreichenden Zeitstrahls.
Hierzu ist zunächst einmal festzuhalten, dass die Zufahrt Bad Cannstatt zum Stuttgarter Hauptbahnhof die gravierendste Engstelle beim Bahnknoten Stuttgart seit langem ist. Hätte man sich entschieden, den Bahnknoten Stuttgart nicht im Rahmen des Alles-oder-Nichts-Projekts Stuttgart 21 auszubauen, sondern im Rahmen eines etappierbaren Ausbauprojekts, wie das bei allen Bahnknoten in Europa ansonsten der Fall ist, dann hätte eines der ersten Ausbaumodule sicher den Ausbau der Zufahrt Bad Cannstatt beinhaltet.
Bereits in den Achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts war die Engstelle der Zufahrt Bad Cannstatt öffentliches Thema. Die Zufahrt Bad Cannstatt besteht aus vier Gleisen. Zwei Gleise sind die S-Bahngleise, zwei weitere Gleise sind die Fernbahn- und Regionalbahngleise. Wegen der Überlastung der Fernbahn- und Regionalbahngleise und wegen der Gleiszuordnung im Kopfbahnhof müssen die Mehrzahl der von Tübingen kommenden Regionalzüge sowie im Berufsverkehr sogar noch weitere Regionalzüge von Waiblingen über die Gleise der S-Bahn zum Kopfbahnhof geführt werden. Das führt zur Unpünktlichkeit bei der S-Bahn und bei den Regionalzügen. Das führt auch dazu, dass in der Zufahrt Bad Cannstatt nicht soviele Züge fahren können wie eigentlich erforderlich.
Der Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart VVS hat bereits in den Achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts den Bau eines fünften oder besser eines fünften und sechsten Gleises für die Zufahrt Bad Cannstatt gefordert. Denn die Probleme der Zufahrt Bad Cannstatt waren offensichtlich. Heute - ca. 30 Jahre später - hat sich daran nichts geändert.
Wäre der Ausbau des Bahnknotens Stuttgart im Rahmen eines etappierbaren Ausbauprojekts vonstatten gegangen, hätte man sich mit großer Wahrscheinlichkeit als erstes daran gemacht, für die Zufahrt Bad Cannstatt zwei weitere Gleise zu bauen. Die Planungs- und Genehmigungszeit für diese beiden neuen Gleise wäre dann ca. von 1988 bis 1991 gegangen. Daran hätte sich eine ca. vierjährige Bauzeit angeschlossen von 1992 bis 1995. Ende 1995 wären diese beiden zusätzlichen Gleise dann zur Verfügung gestanden.
Das Projekt Stuttgart 21 sieht ebenfalls einen Ausbau der Zufahrt Bad Cannstatt vor, denn sowohl der Cannstatter Tunnel als auch der Untertürkheimer Tunnel als auch ein Teil des Fildertunnels sind der heutigen Zufahrt Bad Cannstatt zuzuordnen. Der Projekt Stuttgart 21 geht aber frühestens 2025 in Betrieb. Damit gibt es bei Stuttgart 21 die dringend notwendigen Verbesserungen für die Zufahrt Bad Cannstatt mit einer Verspätung von mindestens 30 Jahren gegenüber einem etappierbaren Ausbauprojekt des Bahnknotens Stuttgart.
30 Jahre!
30 Jahre Verspätung also, wenn es darum geht, die S-Bahn wieder pünktlicher zu machen, indem in der Zufahrt Bad Cannstatt die S-Bahnzüge ihre Gleise nicht mehr mit Regionalzügen teilen müssen.
30 Jahre Verspätung bei einer Verbesserung auch der Pünktlichkeit der Regionalzüge, wenn sie in der Zufahrt Bad Cannstatt eigene Gleise haben.
30 Jahre Verspätung, wenn es darum geht, zusätzliche Regionalzüge für die Zufahrt Bad Cannstatt zu bestellen und damit mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen.
30 Jahre Verspätung in Bezug auf eine Entlastung der überfüllten S-Bahn, indem Fahrgäste von der S-Bahn auf die neu bestellten Regionalzüge Bad Cannstatt-Hauptbahnhof umsteigen können.
30 Jahre Verspätung bei einer Entlastung der Stuttgarter Stadtbahn, die ja wegen des Fehlens einer dritten Stammstrecke im Kern ihres Netzes überlastet ist. Das fünfte und sechste Gleis der Zufahrt Bad Cannstatt hätte hier ebenfalls für eine Entlastung sorgen können.
30 Jahre Verspätung, wenn es darum geht, den Kraftfahrzeugverkehr im Stuttgarter Talkessel zu reduzieren und die Feinstaub- und Stickoxidbelastung zu vermindern. Die vor Gericht mit dem Land Baden-Württemberg ausgehandelte Reduzierung der Kfz-Verkehrzahlen am Neckartor um 20 Prozent, die vom Land Baden-Württemberg allerdings wohl nicht erfüllt werden wird, wäre mit dem fünften und sechsten Gleis der Zufahrt Bad Cannstatt realistisch gewesen.
Fazit
Die Entscheidung, den Bahnknoten Stuttgart nicht im Rahmen eines etappierbaren Projekts, sondern im Rahmen des Alles-oder-Nichts-Projekts Stuttgart 21 auszubauen, hatte und hat verheerende Auswirkungen auf die Verkehrssituation in der Landeshauptstadt Stuttgart. Die jetzt bald fertiggestellte Neckarbrücke von Stuttgart 21 ruft dieses Fanal nachhaltig in Erinnerung. Unter anderem diese Entscheidung für ein Alles-oder-Nichts-Projekt hat dazu geführt, dass Stuttgart in Verkehrsdingen inzwischen zum Außenseiter in Europa geworden ist und einen Rückstand von mindestens 30 Jahren aufweist.
Kein anderer Bahnknoten in Europa ist dem Alles-oder-Nichts-Projekt Stuttgart 21 gefolgt. Überall wird der Ausbau etappierbar vorangetrieben, wobei die bestehenden Bahnanlagen zum größten Teil erhalten bleiben. Zudem sind die Bahnprojekte in allen großen Bahnknoten in Europa tatsächliche Ausbauprojekte, bei denen auf den ersten Blick der Ausbaugedanke mit einer Steigerung der Leistungsfähigkeit und der Betriebsqualität deutlich wird.
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