Dienstag, 27. Februar 2018

Matthias Gastel (MdB, Bündnis 90/Die Grünen) unterstützt bei Stuttgart 21 eingleisige Strecke für die Gäubahn am Flughafen

Alle Züge der Gäubahn (Fernzüge, schnelle Regionalzüge und Metropolexpresszüge) sollen beim Projekt Stuttgart 21 beim Stuttgarter Flughafen über einen eingleisigen Streckenabschnitt fahren, der zudem auch noch einen Bahnhof beinhaltet. Das jedenfalls unterstützt Matthias Gastel (Mitglied des Deutschen Bundestags, Partei Bündnis 90/Die Grünen).

In seinem Newsletter vom 22.02.2018 stellt Matthias Gastel fest: "Klar ist hingegen, dass alle Züge der Gäubahn (IC- und Regionalzüge) am Flughafen, genauer gesagt am „Bahnhof 3. Gleis“, also parallel zum S-Bahnhof, halten werden."

Mit dieser Feststellung ist anzunehmen, dass Matthias Gastel diesen eingleisigen Abschnitt für die Gäubahn, der als weitere Erschwernis auch noch einen integrierten Bahnhof beinhaltet, nicht nur hinnimmt, sondern damit zufrieden ist und diese Verkehrsführung unterstützt.

Diese Haltung von Matthias Gastel ist unverständlich und falsch. Sie zeigt zudem, dass es mit dem von den Grünen dereinst angekündigten kritischen Begleiten von Stuttgart 21 nicht weit her ist. Niemand, auch nicht dieser Blog, fordert von den Grünen beim derzeitigen Projektstand von Stuttgart 21 noch eine radikale Ablehnung des Projekts. Was man jedoch durchaus fordern kann, ist ein kritisches Begleiten, das diesen Namen verdient und das darauf ausgerichtet ist, die gröbsten Fehler und Unstimmigkeiten von Stuttgart 21 doch noch zu beseitigen.

Sehen wir uns die Problematik der eingleisigen Streckenführung der Gäubahn am Stuttgarter Flughafen einmal näher an.


Die neue eingleisige Strecke der Gäubahn beim Flughafen steht im Widerspruch zu den Anstrengungen, die bestehenden eingleisigen Abschnitte zwischen Horb und Tuttlingen zu beseitigen
Zunächst einmal denkt man an den heutigen Gesamtzustand der Gäubahn mit ihren langen eingleisigen Streckenabschnitten von Horb über Rottweil und Tuttlingen bis zur Einfädelung in die Schwarzwaldbahn beim Hattinger Tunnel. Diese eingleisige Streckenführung war nicht von Anfang an da. Bis zum Zweiten Weltkrieg war die Gäubahn eine durchgehend zweigleisige Hauptbahn. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das zweite Gleis der Gäubahn über weite Strecken als Reparationszahlung demontiert.

Dabei ist es bis heute im wesentlichen geblieben. Quälend lange ziehen sich die Planungen hin, wenigstens kurze Abschnitte der Gäubahn wieder zweigleisig auszubauen. Dieser erneute zweigleisige Ausbau dauert wesentlich länger als dereinst der Neubau der zweigleisigen Gäubahnstrecke gedauert hat.

Es passt absolut nicht zusammen, wenn einerseits versucht wird, eingleisige Abschnitte der Gäubahn zu beseitigen und wenn andererseits im Rahmen von Stuttgart 21 für die Gäubahn ein neuer, sogar besonders schwerwiegender eingleisiger Streckenabschnitt neu hinzukommt.

Der eingleisige Gäubahn-Abschnitt beim Flughafen schränkt die Fahrtenlagen für die Gäubahn und damit den Freiheitsgrad der Fahrplangestaltung massiv ein
Führen wir mal eine Plausibilitätsbetrachtung der Fahrtabläufe bei der eingleisigen Strecke der Gäubahn am Flughafen durch. Hierzu nehmen wir an, dass zwischen zwei Zügen, die dasselbe Gleis benutzen, grundsätzlich ein Brutto-Zeitabstand von 3 Minuten liegen muss. Nehmen wir weiterhin einen einminütigen Aufenthalt der Züge im Flughafenbahnhof an. Nehmen wir weiterhin an, dass die Fahrzeit vom/zum eingleisigen Flughafenbahnhof bis zum Erreichen der zweigleisigen Anschlussstrecke ebenfalls jeweils eine Minute beträgt.

Ein in Richtung Herrenberg fahrender Zug der Gäubahn muss dann die eingleisige Strecke am Flughafen drei Minuten vor der Einfahrt eines von Herrenberg kommenden Zuges der Gäubahn bereits verlassen haben.

Rechnen wir zunächst weiter zurück. 
  • Dieser Zug in Richtung Herrenberg muss vier Minuten vor der Einfahrt des Zuges aus Richtung Herrenberg in die eingleisige Strecke den Bahnhof Flughafen verlassen.
  • Dieser Zug in Richtung Herrenberg muss fünf Minuten vor der Einfahrt des Zuges aus Richtung Herrenberg in die eingleisige Strecke am Bahnhof Flughafen ankommen.
  • Dieser Zug in Richtung Herrenberg muss sechs Minuten vor der Einfahrt des Zuges aus Richtung Herrenberg in die eingleisige Strecke seinerseits in den eingleisigen Streckenabschnitt einfahren.

Rechnen wir nun zeitlich nach vorne.
Der Zug aus Richtung Herrenberg, der in die eingleisige Strecke am Flughafen einfährt, benötigt eine Minute bis zum Halt am Flughafenbahnhof, eine weitere Minute für den Halt am Flughafenbahnhof und eine weitere Minute für die Fahrt vom Flughafenbahnhof bis zum Ende der eingleisigen Strecke. Drei Minuten nach dem Verlassen der eingleisigen Strecke kann erneut ein Zug aus Richtung Hauptbahnhof in die eingleisige Strecke einfahren.

Damit ergibt sich eine Zeit von 6 + 1 + 1 + 1 + 3 = 12 Minuten, die ein Zug der Gäubahn beim Flughafen den Gegenzug behindert. Nehmen wir mal an, dass der zukünftige Fahrplan der Gäubahn aus vier Zügen pro Stunde und Richtung besteht (zwei Metropolexpresszüge pro Stunde und Richtung Stuttgart-Horb, ein schneller Regionalzug bzw. Fernzug pro Stunde und Richtung Stuttgart-Konstanz/Zürich, sowie ein Regionalzug pro Stunde und Richtung Stuttgart-Freudenstadt). Dann wird die Verfügbarkeit bei den Fahrtenlagen für die Gäubahn allein schon durch die eingleisige Strecke am Flughafen von ursprünglich 60 Minuten/Stunde auf 60-12x4 = 12 Minuten/Stunde reduziert. Das ist eine massive Reduzierung, die bereits alleine für sich genommen ohne Berücksichtigung der anderen zahlreichen in der Nachbarschaft bestehenden Engstellen zur Unfahrbarkeit führen kann. Denn es ist keineswegs garantiert, dass die pro Stunde verbleibenden 12 Minuten für die Fahrtenlagen einer Fahrtrichtung der Gäubahn auch den tatsächlich benötigten Fahrtenlagen entsprechen. 

Der eingleisige Flughafenbahnhof ist nur die Spitze des Eisbergs des Gäubahndesasters
Das Gefährliche am eingleisigen Flughafenbahnhof ist, dass diese Engstelle in eine ganze Reihe weiterer Engstellen eingebettet ist. Die weiteren, unmittelbar anschließenden  Engstellen für die Gäubahn sind:
  • Mischbetrieb im Fildertunnel und Berücksichtigung der Fahrtenlagen der Fernzüge Stuttgart-Ulm, der Regionalzüge Stuttgart-Ulm und der Regionalzüge Stuttgart-Tübingen
  • Höhengleiche Gleiskreuzung beim Flughafen zwischen der Gäubahn Richtung Hauptbahnhof und der S-Bahn vom Flughafen Richtung S-Vaihingen
  • Mischbetrieb zwischen dem Flughafen und S-Rohr zwischen der Gäubahn und der S2/S3 mit Berücksichtigung der Fahrtenlagen der S2/S3
  • Mischbetrieb zwischen S-Rohr und Herrenberg zwischen der Gäubahn und der S1 mit Berücksichtigung der Fahrtenlagen der S1.
Bereits die Plausibilätsbetrachtung zeigt, dass dieses Aufeinandertreffen von Engstellen im Verlauf der Gäubahn zur Unfahrbarkeit führt. Es gibt hier keine einzige fahrbare Fahrtenlage mehr, die der Gäubahn zur Verfügung steht.

Wenn Matthias Gastel den eingleisigen Flughafenbahnhof für die Gäubahn hinnimmt, dann soll er doch bitte erst mal eine genaue Fahrplananalyse für die Gäubahn zwischen dem Hauptbahnhof und Herrenberg mit Berücksichtigung der Fahrtenlagen der S1, der S2 und der S3 sowie der Fernzüge und der Regionalzüge im Fildertunnel liefern. Mir ist eine solche genaue Fahrplananalyse, die auch noch die Fahrbarkeit für die Gäubahn aufzeigen würde, bisher nicht bekannt.

Warum kritisiert Matthias Gastel die Wendlinger Kurve, nicht aber den eingleisigen Abschnitt der Gäubahn am Flughafen?
Die Engstellenkette für die Gäubahn zwischen dem Hauptbahnhof und Herrenberg ist wesentlich gravierender als die Engstelle der eingleisigen Wendlinger Kurve.

Warum aber fordert Matthias Gastel den zweigleisigen Ausbau der Wendlinger Kurve, nimmt aber gleichzeitig die viel gravierendere und wohl zur Unfahrbarkeit führende Engstellenkette bei der Gäubahn in Kauf?

Der eingleisige Flughafenbahnhof für die Gäubahn ("3. Gleis") wurde von Gastels Parteifreund, dem Landesverkehrsminister Winfried Hermann in die Diskussion eingeführt. Ist das vielleicht ein Grund für die Zurückhaltung Gastels bei der Gäubahn, dass er seinem Parteifreund hier kein Contra geben will?

Kritisches Begleiten von Stuttgart 21 heißt konkret, den eingleisigen Abschnitt der Gäubahn am Flughafen in Frage zu stellen
Es führt kein Weg daran vorbei. Die Grünen müssen jetzt beweisen, dass sie kritisches Begleiten von Stuttgart 21 nicht nur als Sprechblase, sondern als konkreten Auftrag für die Gestaltung der Zukunft der Bahn in Baden-Württemberg verstehen. Das heißt dann aber, dass die Fahrbarkeit einer zukunftsorientierten Gäubahn mit einem halbstündlichen Metropolexpressverkehr Stuttgart-Horb, mit einem stündlichen schnellen Regionalzug bzw. Fernzug Stuttgart-Konstanz bzw. Stuttgart-Zürich sowie einem weiteren stündlichen Regionalzug Stuttgart-Freudenstadt sichergestellt werden muss. Das steht aber im Widerspruch zur Engstellenkette für die Gäubahn, wie sie bisher bei Stuttgart 21 geplant ist. 

Die Bahn hat eine Steilvorlage geliefert, die man jetzt annehmen muss
Dieses den Namen verdienende kritische Begleiten von Stuttgart 21 müsste eigentlich umso leichter fallen, als die Bahn hierfür eine Steilvorlage bereits geliefert hat. Die Bahn wollte den Flughafenbahnhof nie. Sie wurde vom Land Baden-Württemberg dazu gezwungen. Die Bahn wusste anscheinend stets, dass der ICE nicht zweimal pro Großstadt halten soll. Für die Bahn war anscheinend auch klar, dass ein Bahnknotenpunkt beim Flughafen zusätzlich zum Bahnknotenpunkt Stuttgart Hauptbahnhof mehr Nachteile als Vorteile aufweist. 

Mit dem Vorschlag der Bahn auf den Verzicht des unterirdischen Flughafenbahnhofs sowie mit der Ankündigung, kaum ICE am Flughafen halten zu lassen, hat die Bahn ihre Ansicht noch einmal bekräftigt. Daran muss man jetzt anknüpfen.

Es gilt, den gordischen Bahnknoten am Flughafen aufzulösen wie folgt:

Es wird an der A8 ein zweihundert Meter langer Flughafenbahnhof für Regionalzüge gebaut. Die Gäubahn fährt auch mittelfristig über den neuen Regionalzughalt S-Vaihingen zum Hauptbahnhof. Zu einem späteren Zeitpunkt (nach Abschluss des Projekts Stuttgart 21) ist es dann möglich, neue Lösungen für die Gäubahn beim Bahnknoten Stuttgart zu erörtern.     

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