In einer Plenarsitzung des Bundestags noch vor den letzten Landtagswahlen in Baden-Württemberg warf Bundeskanzlerin Merkel der Partei Bündnis 90 / Die Grünen Inkonsequenz vor. Die Grünen - so Merkel - seien im Badischen (gemeint war Rastatt) für einen Bahntunnel, in Stuttgart lehnten sie aber Stuttgart 21 mit seinen Tunnelbauten ab.
Die Grünen unterließen es in der Folge, im Bundestag direkt auf diesen Angriff zu antworten. Das war eine richtige Entscheidung. Denn es ist ein Ding der Unmöglichkeit, Frau Merkel, die zumindest bei dieser Bundestagesdebatte ohne jegliche Sachkenntnis in Sachen Eisenbahn und ohne örtliche Detailkenntnis auftrat, innerhalb weniger Minuten über den Sachverhalt zu unterrichten.
Wie wollen heute mal in diesem Blog das Projekt des Rastatter Tunnels etwas näher betrachten. Und anschließend wollen wir dieses Projekt dem Projekt Stuttgart 21 gegenüberstellen.
Der Rastatter Tunnel als Teil eines großen Ausbauprojekts der Bahn
Im Verlauf der Rheintalbahn soll unter der Stadt Rastatt ein 4,27 Kilometer langer Tunnel mit zwei separaten Tunnelröhren gebaut werden. Der Rastatter Tunnel ist aber nur ein Teil eines größeren Projekts. Im Rahmen dieses Projekts soll die Rheintalbahn zwischen Karlsruhe und Baden-Baden das dritte und vierte Gleis erhalten. Zwischen Karlsruhe und Rastatt wird es dann sogar sechs Gleise geben.
Der Baubeginn für den Rastatter Tunnel steht unmittelbar bevor. Vorbereitende Arbeiten haben bereits begonnen. Vorsorgemaßnahmen laufen sogar bereits seit Jahren. Eigentlich hätte mit dem Rastatter Tunnel und den angrenzenden Neubaustrecken schon viel früher begonnen werden sollen. Geldmangel verhinderte jedoch einen früheren Baubeginn.
Die Anzeichen für den Bau des Rastatter Tunnels und der Anschlussstecken sind bereits zahlreich. Entlang der neuen Bundesstraße 36 (Umfahrung Bietigheim und Durmersheim) ist bereits seit einigen Jahren das Planum für die nördliche Anschlussstrecke an den Rastatter Tunnel und für das fünfte und sechste Gleis zwischen Rastatt und Karlsruhe auf mehreren Kilometern Länge fertiggestellt. Dort muss man nur noch die Gleise und die Fahrleitung bauen. Der Bahnübergang der K 3581 beim Bahnhof von Forchheim südlich von Karlsruhe wurde bereits durch eine Unterführung ersetzt, wobei die Unterführung die beiden zusätzlichen Gleise, die aus Richtung Rastatt kommend hier unmittelbar neben den vorhandenen Gleisen liegen werden, bereits berücksichtigt. Zwischen Baden-Baden und Rastatt hat man nördlich der Autobahn A5 bereits Bäume gerodet. Dort soll in Kürze mit dem südlichen Trogbauwerk (Tunnelrampe) des Rastatter Tunnels begonnen werden. Auch das nördliche Trogbauwerk entlang der B36 östlich von Ötigheim ist kurz vor dem Entstehen.
Was aber veranlasst die Grünen, aber auch viele andere Menschen, die sich bei der Eisenbahn und in Baden-Württemberg ein wenig auskennen, für den Rastatter Tunnel und gegen Stuttgart 21 zu sein? Wir sehen uns die Gründe hierfür mal näher an.
Bedarfsplan für den Ausbau der Schienenwege
Der Rastatter Tunnel als Bestandteil der wichtigsten europäischen Magistrale (Rotterdam-Genua) ist im Bedarfsplan des Bundes für den Ausbau der Schienenwege enthalten. Stuttgart 21 ist in diesem Bedarfsplan nicht enthalten. Das heißt, der Bund sieht den Bau des Rastatter Tunnels als sinnvoll und wichtig an. Stuttgart 21 hat für den Bund keinerlei Bedeutung.
Nutzen-Kosten-Faktor
Die Rheintalbahn und auch der Rastatter Tunnel haben einen sehr positiven Nutzen-Kosten-Faktor von über zwei. Die Nutzen überwiegen die Kosten bei weitem. Da braucht es bei der Berechnung auch keinerlei Tricks, um einen Nutzen-Kosten-Faktor von größer eins zu erreichen.
Die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm ist nur mit kreativer Buchführung - Einberechnung von fiktiven Leichtgüterzügen und Mitberücksichtigung von Regionalzügen, die dort gar nicht hingehören und die vom Land Jahr für Jahr teuer bezahlt werden müssen - gerade noch wirtschaftlich. Für Stuttgart 21 gibt es erst gar keine Nutzen-Kosten-Berechnung. Die Bahn hat sich nur deshalb mit Stuttgart 21 beschäftigt, weil das Projekt möglicherweise verfassungswidrig vom Land BW und von der Stadt Stuttgart massiv bezuschusst werden soll.
Leistungssteigerung
Der Rastatter Tunnel mit seinen Anschlussstrecken bringt für das System Bahn eine massive Leistungssteigerung. Zwischen Karlsruhe und Baden-Baden werden anstatt zwei zukünftig vier durchgehende Gleise zur Verfügung stehen. Zwischen Karlsruhe und Rastatt werden anstatt vier sogar sechs Gleise vorhanden sein.
Der Bahnhof Rastatt bleibt vollumfänglich erhalten und wird weiter optimiert. Dieser Bahnhof steht zukünftig ausschließlich den Zügen zur Verfügung, die dort anhalten. Die durchfahrenden Fernzüge und Güterzüge benutzen den Rastatter Tunnel. Der Karlsruher Hauptbahnhof mit seinen 16 Bahnsteiggleisen bleibt ebenfalls vollumfänglich erhalten und kann mit den beiden zusätzlichen Gleisen aus Rastatt seine Stärken noch besser ausspielen.
Bei Stuttgart 21 gibt es nur für die Strecke von Stuttgart über Bad Cannstatt nach Plochingen eine Leistungssteigerung durch zwei zusätzliche Gleise, die über die Filderhochfläche geführt werden. In der Zufahrt Zuffenhausen zum Hauptbahnhof - einem Engpass - gibt es bei Stuttgart 21 keine Leistungssteigerung. Die Kapazität des Stuttgarter Hauptbahnhofs wird bei Stuttgart 21 sogar reduziert.
Güterverkehr
Der Rastatter Tunnel soll neben den Fernzügen auch den Großteil des Güterverkehrs auf der Magistrale Rotterdam-Genua aufnehmen. Damit ist der Rastatter Tunnel eine Investition, die neben dem Fernverkehr und dem Hochgeschwindigkeitsverkehr auch dem Schienengüterverkehr massiv nutzt.
Tausende von Bewohnern von Rastatt werden mit dem Rastatter Tunnel zukünftig tags und vor allem nachts vom Güterverkehrslärm entlastet. Durch die Neubaustrecke zwischen Rastatt und Karlsruhe gebündelt mit der neuen B 36 werden auch die Bewohner von Ötigheim, Bietigheim, Durmersheim, Mörsch und Forchheim vom Güterverkehrslärm entlastet.
Stuttgart 21 und die NBS Wendlingen-Ulm haben mit dem Güterverkehr überhaupt nichts zu tun. Es gibt im Rahmen dieser Projekte keine Verbesserungen für den Güterverkehr. Die Anwohner der Strecken in Stuttgart sowie zwischen Stuttgart und Ulm werden nicht vom Güterverkehrslärm entlastet. Der europaweite Engpass Geislinger Steige für den Güterverkehr wird nicht beseitigt.
Regional- / S-Bahnverkehr
Der Rastatter Tunnel mit seinen Anschlussstrecken wird den Regional- und S-Bahnverkehr südlich von Karlsruhe auf der Rheintalbahn und auf der Murgtalbahn revolutionieren. Es stehen dann im Bahnhof von Rastatt sowie auf der Strecke von Karlsruhe nach Rastatt über Durmersheim sowie auf der Strecke von Karlsruhe nach Rastatt über Ettlingen zusätzliche Fahrplantrassen für Regionalzüge und S-Bahnen zur Verfügung.
Damit können noch mehr Regionalzüge und S-Bahnen als heute fahren. Auch die Fahrplanzeiten dieser Züge können weiter optimiert werden. Die Züge können zukünftig dann fahren, wenn es verkehrlich sinnvoll ist und nicht mehr dann, wenn gerade eine Lücke zwischen den Fern- und Güterzügen besteht. Auch die Anschlüsse in Rastatt und in Karlsruhe können weiter verbessert werden.
Bei Stuttgart 21 wird die S-Bahn in ein noch engeres Korsett gezwängt als dies heute bereits der Fall ist. Der zusätzliche Haltepunkt Mittnachtstraße und die fehlende Überlaufmöglichkeit bei Störungen werden die S-Bahn immer unattraktiver machen. Die eigentlich erforderliche Entlastung der S-Bahn-Stammstrecke rückt mit Stuttgart 21 in fast unereichbare Ferne. Auf den Fildern müssen die S-Bahnen zukünftig auf denselben Gleisen wie die Regional- und Fernzüge fahren und im Bahnhof Flughafen müssen sie sogar mit nur einem Gleis im Zweirichtungsbetrieb vorliebnehmen.
Der Regionalzugverkehr in der Region Stuttgart und darüber hinaus in ganz BW wird durch Stuttgart 21 massiv beeinträchtigt. Im Berufsverkehr können nicht mehr so viele Regionalzüge fahren wie heute. Alle Züge müssen im Hauptbahnhof durchgebunden werden, auch wenn dies verkehrstechnisch noch so unsinnig ist. Um die Standzeiten im nur achtgleisigen Stuttgart 21-Tiefbahnhof zu minimieren, sollen Regionalzüge mit vielen Türen und relativ wenigen, unbequemen Sitzplätzen fahren. Davon sind hunderttausende Reisende in ganz BW betroffen.
Fazit
Es ist in der Tat unmöglich, in einer aufgeheizten Bundestagsdebatte die besserwisserisch daherkommende Bundeskanzlerin zum Rastatter Tunnel und zu Stuttgart 21 aufzugleisen. Allerdings sollte es im zuständigen Verkehrsministerium und auch im Bundeskanzleramt durchaus Leute geben, die diese Arbeit vollbringen können.
Eine Katastrophe allerdings ist es, wenn im Bundeskanzleramt zu Stuttgart 21 nicht sachbegründete Einscheidungen fallen, sondern wenn Prinzipienreiterei und Rechthaberei den Ton angeben.
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