Es gibt eine Institution in der Region Stuttgart, in der man wohl die letzten Stuttgart 21-Mohikaner verorten kann. Das ist der Verband Region Stuttgart, ein Gremium, das nicht nur über sein Geburtsjahr mit Stuttgart 21 verbunden ist. Da mag die Bevölkerung mit Mehrheit Stuttgart 21 ablehnen. Da mögen Politiker aller Parteien hinter vorgehaltener Hand Stuttgart 21 für den größten Murks aller Zeiten halten. Der Verband Region Stuttgart will anscheinend mit Stuttgart 21 aufstehen und untergehen.
Wie der Verband Region Stuttgart versucht, mit allen an den Haaren herbeigezogenen Argumenten das Dinosaurierprojekt Stuttgart 21 weiter zu propagieren, zeigt jetzt das Beispiel der geplanten S-Bahnverlängerung vom Flughafen nach Neuhausen a.d.F.
So wird der Verband Region Stuttgart in einem Artikel im Stuttgart-Journal vom 21.02.2013 mit der Aussage zitiert, dass die S-Bahnverlängerung nach Neuhausen nur mit Stuttgart 21 möglich sei. Und der Verband Region Stuttgart setzt sogar noch eins drauf. Er behauptet, dass mit einem neuen Stuttgart 21-Filderbahnhof und einer Rohrer Kurve sich neue Perspektiven für eine west-östliche S-Bahnverbindung aus dem Raum Böblingen über den Flughafen ins Neckartal bieten würden.
Warum auch einfach, wenns auch kompliziert geht?
"Warum auch einfach, wenns auch kompliziert geht?" - so möchte man die Äußerungen des Verbands Region Stuttgart zunächst mal bewerten. Es ist ja schon verwunderlich und gleichzeitig ärgerlich, wie es dem Verband Region Stuttgart jetzt seit Jahren gelingt, der Bevölkerung und den Politikern in Filderstadt und in Leinfelden-Echterdingen die Pistole auf die Brust zu setzen. Wenn ihr eine Verbesserung Eurer Anbindung an den Schienenverkehr wollt, so die Rede des Verbands Region Stuttgart an die Bevölkerung auf den Fildern, dann muss unbedingt Stuttgart 21 kommen.
Dass es anders herum viel besser und preisgünstiger geht, wird gleichwohl verschwiegen. Dabei müssten schon bei seichtem Nachdenken die Alarmglocken schrillen. Ausgerechnet das dümmste Verkehrsprojekt Europas, das einzige große Bahnprojekt in Deutschland, das nicht im Bedarfsplan des Bundes enthalten ist, das einzige Bahnprojekt Europas, das in der Form eines Alles-oder-Nichts-Projekts durchgeführt werden muss, das einzige Bahnprojekt, das die Leistungsfähigkeit gegenüber dem Bestand reduziert, das einzige Bahnprojekt, das eigentlich nur als eine studentische Übung gedacht war und das dann aus Versehen gleich einem gezüchteten Virus aus dem Käfig der Hochschule ausgebrochen und sich der nächstmöglich erreichbaren unfähigen Politiker bemächtigt hat, ausgerechnet dieses Projekt soll den Fildern das bahntechnische Schlaraffenland bringen?
Die Bevölkerung auf den Fildern hat jedoch ein Anrecht auf ein richtiges, ein normales Bahnprojekt, ein Projekt, das die Verkehrsanbindung der Fildern entscheidend verbessert, ein Projekt, dessen Kosten sich beim Bau und bei der späteren Instandhaltung im Rahmen halten, ein Projekt, das stufenweise umgesetzt werden kann ohne die Gefahr, dass im Laufe der Zeit Bauruinen entstehen.
Das Alternativprojekt zum Filderteil von Stuttgart 21 ist die Express-S-Bahn vom Kopfbahnhof über S-Vaihingen, den Flughafen und Wendlingen nach Plochingen, verbunden mit einem Ausbau des Bahnhofs Vaihingen zum Umsteigebahnhof mit Halt der Gäubahn und verbunden mit einer Erschließung von Filderstadt und den angrenzenden Kommunen mit der Stadtbahn an Stelle der S-Bahn. Und was dieses Alternativprojekt alles leisten kann, wollen wir uns jetzt näher ansehen.
1. Verbindung von Böblingen ins Neckartal
Der Verband Region Stuttgart behauptet, dass es mit Stuttgart 21 eine Option für eine verbesserte Verbindung von Böblingen über den Flughafen ins Neckartal gibt. Betrachtet man das Projekt Stuttgart 21, ist eine solche Verbindung zunächst einmal granatenmäßig teuer und betrieblich auch noch höchst problematisch.
Zunächst müsste die Rohrer Kurve mit ihren Eingriffen in den Erholungswald gebaut werden. Dann gibt es für die S-Bahn mehrere höhengleiche Gleiskreuzungen zwischen der Rohrer Kurve und dem Flughafenbahnhof. Auf diesem Abschnitt gibt es zudem einen Mischbetrieb zwischen der S-Bahn und den Regional- und Fernzügen. Zudem ist dieser Streckenabschnitt nur für die S-Bahn gebaut worden und kann Regional- und Fernzüge wegen vorschriftwidrig schmaler Rettungswege nur dank einer Sondergenehmigung des Bundesverkehrsministers aufnehmen. Der Flughafenbahnhof besteht bei der Stuttgart 21-Lösung bzw. bei der Wunschlösung des Verbands Region Stuttgart aus zwei eingleisigen Streckenabschnitten mit der Folge hoher Leistungsminderung und möglicherweise nicht umzusetzenden Einschränkungen für den Fahrplan.
Das ist aber noch nicht alles. Im weiteren Verlauf gibt es für die S-Bahn zwischen dem Flughafenbahnhof und Bernhausen einen längeren eingleisigen Streckenabschnitt im Tunnel. Dieser Abschnitt ist für sich allein genommen noch nicht das KO-Kriterium. Zusammen mit den oben genannten weiteren Einschränkungen kann es jedoch unmöglich werden, einen Fahrplan zu konstruieren. Schließlich müsste diese tangentiale S-Bahnverbindung hinter Neuhausen a.d.F. mit einem Überwerfungsbauwerk oder alternativ mit einem erneut kapazitätsmindernden höhengleichen Anschluss an die Stuttgart 21-Strecke vom Flughafen nach Wendlingen angeschlossen werden.
Ein Riesenaufwand und Riesenprobleme für eine tangentiale S-Bahnverbindung also, die nicht einmal besonders viele Fahrgäste haben wird. Denn diese tangentiale S-Bahn fährt den wichtigsten Bahnhof auf den Fildern, den Bahnhof S-Vaihingen, gar nicht an. Zusätzlich gibt es beim Flughafen bei der Stuttgart 21-Variante noch einen zweiten Bahnhof in großer Tiefenlage und weit entfernt vom bestehenden Bahnhof. Das Umsteigen zwischen den beiden Bahnhöfen wird zur Tortur. Die Instandhaltungskosten für den zweiten Flughafenbahnhof werden ins Astronomische steigen.
Das Alternativprojekt zu Stuttgart 21 auf den Fildern ist haushoch überlegen
Wie anders verhält es sich beim Alternativprojekt zu Stuttgart 21! Auf den Bau der umweltschädlichen Rohrer Kurve kann man hier verzichten. Erst recht verzichten kann man auf den Bau eines zweiten, hundsteuren Flughafenbahnhofs. Die Strecke zwischen Rohr und dem Flughafen würde nur von S-Bahnen befahren, für die die Strecke ausgelegt ist und nicht im problematischen Mischbetrieb. Höhengleiche Gleiskreuzungen und eingleisige Abschnitte gibt es nicht. Der bestehende Flughafenbahnhof bliebe zweigleisig mit hoher Leistungsfähigkeit. An Neubauten sind beim Alternativprojekt der S-Express-Bahn vom Kopfbahnhof über S-Vaihingen, den Flughafen und Wendlingen nach Plochingen lediglich die Verbindung vom bestehenden Flughafenbahnhof zur vom S21-Projekt zu übernehmenden oberirdischen Strecke nach Wendlingen, die Wendlinger Gegenkurve und der vierte Bahnsteig in Vaihingen erforderlich.
Fahrgäste von Böblingen ins Neckartal fahren mit dem Regionalzug oder mit der S-Bahn bis Vaihingen. Dort steigen sie mit ganz kurzem Weg auf die Express-S-Bahn um, die minutenschnell ins Neckartal fährt mit Halten am Flughafen, in Wendlingen und in Plochingen. Und mit dieser Express-S-Bahn erreicht man das ganze Neckartal mit seiner Umgebung und nicht nur den Bereich von Nürtingen bis Tübingen wie bei Stuttgart 21. Man erreicht in Minutenschnelle Wendlingen und steigt dort um nach Kirchheim/Teck bzw. nach Nürtingen, Metzingen, Reutlingen, Tübingen. Und man erreicht ebenfalls in Minutenschnelle den Umsteigeknoten Plochingen und steigt dort um nach Esslingen bzw. nach Göppingen und Ulm.
Diese Express-S-Bahn, die verblüffend preiswert zu haben ist und die der Stuttgart 21-Planung auf den Fildern haushoch überlegen ist, leistet auch noch etwas ganz anderes. Sie entlastet die überlastete Stammstrecke der Stuttgarter S-Bahn, indem sie viele Fahrten, die bisher über die Stammstrecke gelaufen sind, an sich zieht. Und mit dieser Express-S-Bahn werden viel mehr Fahrgäste zum Flughafenbahnhof direkt unter dem Terminal gebracht als bei Stuttgart 21 zu gleich zwei Flughafenbahnhöfen gebracht würden.
2. Erschließung der Stadt Filderstadt und der angrenzenden Kommunen
Nach der Planung des Verbands Region Stuttgart soll der vom Flughafen mit einem Tunnel unter der Startbahn des Flughafens nach Bernhausen führende S-Bahnstummel bis Neuhausen a.d.F. verlängert werden. Für die Planung der Verlängerung hat der Verband Region Stuttgart jetzt nicht die Bahn beauftragt, sondern die Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB). Man hofft wohl darauf, dass die SSB die Planung schneller zur Genehmigungsreife bringen kann als die Bahn.
Nun ist es für den zukünftigen Fahrgast ohne Belang, wer diese Strecke plant. Von wesentlich größerer Bedeutung für den zukünftigen Fahrgast ist jedoch die Qualität der Bedienung und die Konfiguration der Strecke und des Betriebs. Und hier zeigt eine Inaugenscheinnahme der bestehenden S-Bahnverbindung nach Bernhausen sowie der bestehenden Stadtbahnverbindung in der Nachbarkommune Ostfildern (U7) Eindeutiges.
Für eine Erschließung einer Siedlungsstruktur, wie sie in Ostfildern sowie in Filderstadt und den angrenzenden Kommunen gegeben ist, ist ganz klar die Stadtbahn der S-Bahn vorzuziehen. Die Stadtbahn bietet für diese Siedlungsstrukturen eine wesentlich bessere Erschließung bei gleichzeitig drastisch geringeren Kosten als die S-Bahn.
Die Bahnsteige und Fahrzeuge der Stadtbahn sind wesentlich kürzer als die Bahnsteige und Fahrzeuge der S-Bahn. Der Zugang zu den oberirdischen Haltestellen der Stadtbahn erfolgt höhengleich im Gegensatz zur den Haltestellen der S-Bahn, die nur über Treppen oder teure Aufzüge zu erreichen sind. Die Haltestellen der Stadtbahn sind somit wesentlich preisgünstiger als die Haltestellen der S-Bahn. Aus diesem Grund kann die Stadtbahn mehr Haltestellen im Streckenverlauf bedienen als die S-Bahn und damit eine bessere Erschließung bieten.
Bei der Strecke verhält es sich ähnlich. Der Querschnitt einer Stadtbahntrasse ist weniger breit als bei der S-Bahn. Die Stadtbahn kann engere Kurven und größere Steigungen fahren und sich damit besser an die Stadt- und Landschaftsstruktur anpassen. Aus diesem Grund beinhaltet eine Stadtbahn nach Neuhausen a.d.F. die Option, dass die Strecke später mal verlängert werden kann, so dass ein großer Stadtbahnkreis über den ganzen Filderrraum über Wolfschlugen, Harthausen, Bonlanden, Plattenhardt, Stetten, Echterdingen bis Leinfelden oder wieder zurück zum Flughafen entstehen kann. Abstecher sind möglich von Wolfschlugen nach Nürtingen und von Neuhausen in Richtung Esslingen. Mit der S-Bahn gibt es diese Optionen nicht.
Auch ein Vergleich der Taktzeiten zwischen Ostfildern und Bernhausen spricht Bände. In Ostfildern fährt die Stadtbahnlinie U7 alle 10 Minuten. In Bernhausen fährt die S-Bahn gerade mal jede halbe Stunde. Bei einer Erschließung von Filderstadt und der angrenzenden Kommunen mit der Stadtbahn kann dort somit zukünftig mindestens alle 20 Minuten ein Zug fahren, im Berufsverkehr verdichtet auf 10 Minuten. Mit der S-Bahn ist über den bestehenden Halbstundentakt hinaus wohl keine Verbesserung zu erwarten.
Der Verband Region Stuttgart täte also gut daran, die Option einer Stadtbahnerschließung von Filderstadt und eines Ersatzes der bestehenden S-Bahn nach Bernhausen durch die Stadtbahn ganz genau zu überlegen. Alle Randbedingungen sprechen für diesen Schritt. Denn die Stadtbahn ist ja, von S-Fasanenhof her kommend, zukünftig am Flughafen vertreten, so dass sie von dort in den bestehenden Tunnel nach Bernhausen eingeführt werden kann. Und der östlich an den bestehenden Flughafenbahnhof anschließende Tunnelteil muss für die Express-S-Bahn vom Flughafen nach Wendlingen sowieso umgebaut werden. In diesem Zusammenhang kann man dann auch die Tunnelrampe herstellen, um die Stadtbahn in den Tunnel nach Bernhausen zu führen.
Fazit
Noch ist es nicht zu spät, für den Flughafen, für die Fildern, für Filderstadt und die angrenzenden Kommunen eine vernünftige, das Wohl der Fahrgäste im Auge habende Lösung für den Bahnverkehr zu bauen. Neben dem Verband Region Stuttgart sollten jetzt auch mal die Kommunalpolitiker auf den Fildern, sofern sie an dem Thema interessiert sind, aus den Startlöchern kommen und über ihren Schatten springen . Wer jetzt die Dinosaurierplanung Stuttgart 21 unbesehen weiterbetreibt, hat die nächsten hundert Jahre das Nachsehen.
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