München hat vor Jahren das von der Bahn vorgeschlagene Projekt München 21 abgelehnt. Ist München deshalb auf dem absteigenden Ast, eine Loser-City?
Das Gegenteil ist der Fall. München ist wohl die erfolgreichste Stadt Deutschlands. Während für viele deutsche Städte in den kommenden dreißig Jahren teilweise empfindliche Rückgänge der Einwohnerzahlen prognostiziert werden, wird für München eine unaufhörliche Zunahme der Einwohnerzahlen vorausgesagt. Aktuell hat München 1,4 Millionen Einwohner. Der Gedanke an ein Zwei-Millionen-München ist nicht mehr tabu.
München behält seinen 32gleisigen Kopfbahnhof mitsamt den 12gleisigen Zulaufstrecken bei. Und trotzdem hat München zur Zeit zwischen dem Hauptbahnhof und Laim bzw. Pasing ein riesiges Städtebauprojekt am Laufen, das die Umwandlung nicht mehr benötigter Gleisflächen in Flächen für Wohnen, Arbeiten, Sport und Parks vorsieht.
Dieses Projekt hat einen Namen. Es heißt Zentrale Bahnflächen. Es umfasst Flächen von insgesamt 178 Hektar. Es soll Platz bieten für 17.500 neue Einwohner und 19.500 neue Arbeitsplätze. 30 Prozent der Wohnungen werden öffentlich gefördert. Das Projekt Zentrale Bahnflächen ist ein Leitprojekt der Münchner Stadtentwicklungskonzeption Perspektive München.
Dies sind die Projektteile des Vorhabens Zentrale Bahnflächen (die Zahlen und Daten sind der Internetseite der Stadtverwaltung München entnommen):
1. Arnulfpark
27 Hektar, Wohnungen für 2.100 Einwohner, Raum für 7.300 Arbeitsplätze, neuer 4,3 Hektar großer Park
2. Birketweg
60 Hektar, Wohnungen für 6.000 Einwohner, Raum für 6.000 Arbeitsplätze, neuer "Pionierpark", Erweiterung des Hirschgartenparks
3. Laim
Raum für 2.200 Arbeitsplätze
4. Nymphenburg Süd
Wohnungen für 2.400 Einwohner, Raum für 1.050 Arbeitsplätze, Verknüpfung des Hirschgartens mit dem Nymphenburger Schlosspark
5. Pasing
Wohnungen für 1.800 Einwohner, Raum für 2.300 Arbeitsplätze, ökologische Aufwertung des Flusses Würm, neuer Park mit 9.000 m² Fläche
6. Paul-Gerhardt-Allee
Dieses neue Wohngebiet ist im Planungsstadium, Zahlen sind noch nicht verfügbar.
7. Verkehrserschließung
Neuer Zentraler Omnibusbahnhof ZOB, neuer Fußgängersteg über die Bahntrasse in der Nähe der Donnersberger Brücke, neue Ost-West-Fuß- und Radwegverbindung parallel zur Bahntrasse, neuer S-Bahnhof Friedenheimer Brücke, "Umweltverbundröhre" (neue Unterführung für Straßenbahn und Bus unter der Bahntrasse im Bereich Laim), neue Straßenbahn-Westtangente, Nordumfahrung Pasing, Verlängerung der Straßenbahnlinie 19 bis Pasing Bahnhof
Kommen wir nun zu den Charakteristika des Projekts Zentrale Bahnflächen und zu den wesentlichen Unterschieden zu Stuttgart 21.
Nicht mehr benötigte Bahnflächen können sofort anderweitig genutzt werden
Beim Projekt Stuttgart 21 können die schon heute nicht mehr benötigten Bahnflächen zum größeren Teil für die nächsten 15 bis 20 Jahren nicht bebaut werden, weil sie für die Baumaßnahme in irgendeiner Weise benötigt werden. Erst nach einem Abschluss des Alles-oder-Nichts-Projekts Stuttgart 21 können die Flächen einer Bebauung zugeführt werden.
In München muss man für die weitere Stadtentwicklung nicht auf irgendetwas warten. Die nicht mehr benötigten Bahnflächen können sofort bebaut werden. Voraussetzung für den Start der Bebauung ist nur, dass die Architekten ihre Entwürfe fertigstellen und die Baufirmen mit ihren Containern und Kränen vor Ort ziehen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich in München entlang der Bahntrasse von Pasing zum Kopfbahnhof heute bereits eine Großbaustelle darbietet.
Wohnungen sind für die Bürger erschwinglich
Beim Projekt Stuttgart 21 hat die Landeshauptstadt Stuttgart der Bahn alle in einigen Jahrzehnten freiwerdenden Gleisflächen abgekauft, um der Bahn das Projekt Stuttgart 21 schmackhaft zu machen. Der Preis für die Flächen war vergleichsweise hoch. Denn Stuttgart 21 ist teuer. Von daher werden auch die in ferner Zukunft auf dem dann vielleicht freiwerdenden Bahngelände zu erstellenden Wohnungen exorbitant teuer werden und für viele Bürger gar nicht erschwinglich sein.
München war nicht in der Verlegenheit, ein Projekt München 21 fördern zu müssen. Das nicht mehr benötigte Bahngelände wurde zum Marktpreis erworben. Damit ist es München möglich, 30 Prozent aller zukünftigen Wohnungen dort preisgünstig anzubieten.
Die Bahntrasse ist integraler Bestandteil der pulsierenden Metropole
In Stuttgart will man mit dem Projekt Stuttgart 21 die Eisenbahn aus dem Stadtbild verbannen, als ob man sich ihrer schämte und als ob das Verschwinden der Eisenbahn Voraussetzung für die Mitgliedschaft im Club der Möchte-Gern-Weltstädte ist.
In München ist das ganz anders. Die große Bahntrasse von Pasing über Laim zum Kopfbahnnhof ist und bleibt integraler Bestandteil des Stadtganzen. Die Bahntrasse wird sogar noch stärker in das Erlebnis Weltstadt einbezogen. Es werden neue Brücken für Fußgänger über die Bahntrasse gebaut. Von den neuen Parks aus kann man die ununterbrochen fahrenden Züge beobachten. Eine neue tangentiale Straßenbahn (Westtangente) wird unter der Bahntrasse durchfahren und die Gebiete nördlich und südlich der Bahntrasse umweltfreundlich verbinden.
Es wurde und wird sogar ein Fußgänger- und Radfahrboulevard unmittelbar neben der Bahntrasse gebaut. Und jetzt wirds amüsant. Dieselben Leute, die in den einschlägigen Foren das Gleisvorfeld in Stuttgart verteufeln, äußerten sich in München begeistert über den neuen Fußgängerboulevard, von dem man die ununterbrochen verkehrenden Züge des Weltstadt-Bahnverkehrs hautnah erleben könne. Na, wenn das so ist.....
Fazit
München betreibt Stadtplanung und Stadtentwicklung auf höchstem Niveau - und das obwohl oder gerade weil der oberirdische Kopfbahnhof und die oberirdischen Zulaufstrecken erhalten bleiben . In Stuttgart tut sich seit der Präsentation des Projekts Stuttgart 21 im Jahr 1994 bzw. sogar schon vor diesem Datum nicht mehr viel in Sachen Stadtentwicklung. Und würde das Projekt Stuttgart 21 gebaut werden, dann würde sich auch in den kommenden 20 Jahren nicht viel tun.
Stuttgart wäre bei einem Bau von Stuttgart 21 wohl die einzige Großstadt in Europa, die für die ungeheure Zeitspanne von 40 Jahren auf eine selbstbestimmte Stadtentwicklung verzichtet und die sich für ihre zukünftige Stadtentwicklung von den Unwägbarkeiten, Launen und finanziellen Problemen eines Eisenbahninfrastrukturunternehmens abhängig macht.
Gemäß der Intention der Stuttgart 21-Erfinder sollte Stuttgart mit Hilfe des Projekts Stuttgart 21 den Abstand zu München ein wenig verkürzen. Inzwischen ist klar, dass bei einer Umsetzung des Projekts das Gegenteil eintreten würde. München eilt neuen Horizonten entgegen und Stuttgart fällt immer weiter zurück.
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