Samstag, 31. Oktober 2020

Seilbahn in Stuttgart-Vaihingen ermöglicht Konzentration der ÖV-Planungskapazitäten auf die dritte Stammstrecke für die Stuttgarter Stadtbahn

Ein Ausschuss des Stuttgarter Gemeinderats hat vor kurzem von der Machbarkeitsstudie für eine Seilbahn zwischen dem Bahnhof Stuttgart-Vaihingen und dem Westen des Stadtbezirks Vaihingen beim Eiermann-Campus (ehemaliges IBM-Gelände) Kenntnis genommen und vertiefende Untersuchungen hierzu in die Wege geleitet.

Das ist auch im Kontext von Stuttgart 21 gleich in zweierlei Hinsicht von Bedeutung. Zunächst mal gewinnt durch eine neue Seilbahn der Bahnhof Stuttgart-Vaihingen als ÖV-Drehscheibe und Umsteigepunkt weiter an Bedeutung. Ein neuer, unglaublich teurer und bei weitem nicht so wirkungsvoller Umsteigepunkt beim Stuttgarter Flughafen - wie bei Stuttgart 21 bisher geplant - dürfte sich unter diesen neuen Entwicklungen kaum mehr rechtfertigen lassen.

Zum anderen haben die Seilbahnpläne auch Auswirkungen auf die weiteren Planngen für den Ausbau des Stuttgarter Stadtbahnnetzes. Denn die Seilbahn steht in direkter Konkurrenz zu den Plänen, die Stadtbahn vom Bahnhof Vaihingen in Richtung Büsnau und in Richtung Eiermann-Campus zu verlängern. Eine Seilbahn kann diesen Verlängerungsplänen einen Strich durch die Rechnung machen. Das kann man auch als Jahrhundertchance begreifen. Denn dadurch wird Planungskapazität frei für die wirklich wichtigen Stadtbahnausbauten. Und das ist in erster Linie eine dritte Stammstrecke für die Stadtbahn, mit der die Gesamtleistungsfähigkeit dieses Systems deutlich erhöht werden kann.

 

Seilbahnen finden in Deutschland ein schwieriges Pflaster vor
Man muss ja Vorschlägen, in Deutschland eine Seilbahn zu bauen, mit einer gewissen Skepsis begegnen. Denn Vergleiche mit Südamerika, wo es tatsächlich einige erfolgreiche Seilbahnen in den Großstädten gibt, sind nicht zulässig. Selbst nach Angaben eines namhaften Seilbahnherstellers sind Anwendungen der Seilbahn in europäischen Großstädten eher die Ausnahme als die Regel. Gerne nehmen wir jedoch davon Kenntnis, dass die besonderen Umstände vor Ort eine Seilbahn zwischen dem Bahnhof Vaihingen und dem Eiermann-Campus mit Zwischenstation beim Freibad Vaihingen sowie Stationen auf beiden Seiten des Bahnhofs Vaihingen durchaus möglich machen können. Eine Seilbahn wäre auch schneller zu realisieren als eine Stadtbahnstrecke. Selbstverständlich gibt es bei der Seilbahn noch viele offene Fragen. Ein Punkt, den ich bisher nirgendwo gelesen habe, ist die jährliche Instandhaltung einer Seilbahn, die zumindest bei den Bergbahnen in den Alpen mehrwöchige Sperrungen nach sich zieht. Wie auch immer - solange die Pläne für eine Seilbahn beim Vaihinger Bahnhof bestehen und weiterentwickelt werden, wird man kaum eine Stadtbahnverlängerung dort planen können.
 
Der Bahnhof Vaihingen wird ein zentraler Umsteigepunkt 
Der Bahnhof Vaihingen gewinnt durch den geplanten Regionalzughalt im Verlauf der Gäubahn und die neue Seilbahn weiter an Bedeutung. Der Bahnhof Vaihingen kann auch zu einer Drehscheibe für den Zugang zum Flughafen und zur Messe werden. Vom Bahnhof Vaihingen gibt es schnelle Schienenverbindungen in die Stuttgarter Innenstadt, nach Stuttgart-Süd, nach Stuttgart-Möhringen, nach Stuttgart-Degerloch, nach Stuttgart-Plieningen, zum Flughafen mit Messe, nach Böblingen und nach Fertigstellung eines Ringschlusses bei der S-Bahn auch ins Neckartal nach Wendlingen, Nürtingen und Plochingen. Die Stuttgart 21-Pläne, am Flughafen einen Umsteigepunkt mit Umleitung der Gäubahn und der Neckartalbahn zu errichten, sollte man jetzt endgültig ad acta legen.
 
Die dritte Stammstrecke für die Stuttgarter Stadtbahn ist jetzt prioriär
An erster Stelle der Planungsagenda beim Verkehr in Stuttgart muss jetzt eine dritte Stammstrecke für die Stuttgarter Stadtbahn stehen. Stuttgart ist zusammen mit Duisburg die einzige unter den vergleichbaren Großstädten in Deutschland, die bei ihrem städtischen Schienenverkehrssystem nur zwei Stammstrecken hat. Das führt im Falle von Stuttgart zu einer Überlastung der beiden Stammstrecken der Stadtbahn, zu Unpünktlichkeit sowie zur Unmöglichkeit, den für eine Verkehrswende erforderlichen 7,5 Minuten-Takt bei allen Stadtbahnlinien an Stelle des heutigen 10 Minuten-Takts zu fahren.

Bevor man mit der Planung für eine konkrete dritte Stammstrecke loslegt, muss jedoch die Systemfrage gestellt werden. Es gibt im Wesentlichen drei Systemvarianten. Man kann die dritte Stammstrecke im Rahmen des bestehenden Hochflur-Stadtbahnsystems bauen. Dies erfordert aber die Führung der dritten Stammstrecke im Tunnel. Man kann die dritte Stammstrecke auch als Niederflurstraßenbahn bauen. Dies ermöglicht die Führung der dritten Stammstrecke an der Oberfläche. An diese dritte (Niederflur)Stammstrecke werden dann diejenigen Streckenäste des bestehenden Systems angeschlossen, die einen Straßenbahncharakter haben, z.B. Hackstraße, Hölderlinplatz, Eugensplatz. Die dritte Variante wäre eine fahrerlose U-Bahn mit 10 bis 12 Kilometern Länge. Diese U-Bahn hätte eine riesige Aufgabe. Sie müsste die beiden Stammstrecken der Stadtbahn (10 Linien) sowie die Stammstrecke der S-Bahn (6 Linien) entlasten, indem sie so viele Fahrgäste wie irgend möglich von diesen Stammstrecken absaugt. Selbstverständlich ist auch eine Kombination mehrerer Systemvarianten möglich.

Viele der Kandidatinnen und Kandidaten für den/die zukünftige(n) Stuttgarter OB haben einen Ausbau des öffentlichen Verkehrs in ihrem Programm. Die Aussagen hierzu bleiben jedoch im Ungefähren bzw. sie wiederholen nur das, was z.B. die SSB mit den Verlängerungen in Vaihingen schon vorgeschlagen haben. Bei diesem Thema wäre eigentlich Konkreteres, mehr Mut und mehr Innovationskraft wünschenswert.       

 

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