In diesen Tagen versucht die Bahn, ihre Planungen für einen zweiten Flughafenbahnhof im Rahmen des Projekts Stuttgart 21 fertigzustellen und für das Planfeststellungsverfahren vorzubereiten. In diesem Zusammenhang gibt es auch Informationsveranstaltungen, bei denen der Stuttgart 21-Flughafenbahnhof in möglichst gutem Licht dargestellt wird bzw. werden soll.
Die Stuttgart 21-Protagonisten sind gerade jetzt im Vorfeld des Planfeststellungsverfahrens gezwungen, dem zweiten Flughafenbahnhof irgendwelche Vorteile andichten zu müssen. Das sollte eigentlich ein leichtes Spiel für die große Bürgerbewegung gegen Stuttgart 21 sein. Denn Stuttgart 21 und insbesondere der zweite Flughafenbahnhof lassen sich nur dann unter einer Vielzahl von Weglassungen und Unschärfen mit einigen Vorteilen versehen, wenn die wesentlich besseren Alternativen verschwiegen werden. Es gilt also, gerade jetzt noch einmal deutlich auf die Alternativen zu Stuttgart 21 und insbesondere zum zweiten Flughafenbahnhof von Stuttgart 21 hinzuweisen.
Beginnen wir also mal, die schwierige Gemengelage um den zweiten Flughafenbahnhof von Stuttgart 21 ein wenig zu ordnen.
Fehlende rhetorische Fähigkeiten
Eher noch unter die Rubrik "Unterhaltungswert" fällt eine Äußerung des Stuttgart 21-Sprechers Dietrich, wonach unter anderem die (fehlenden) rhetorischen Fähigkeiten der Ingenieure mit dazu beigetragen hätten, dass bei der Präsentation der Bauvarianten zum Stuttgart 21-Flughafenbahnhof einiges schiefgelaufen sei. Das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Es gibt tatsächlich nicht wenige Ingenieure, die zwar ihre Berechnungen und sonstigen Ingenieurleistungen einigermaßen ordentlich zustande bringen, von denen man jedoch kaum einmal ein über mehrere Abschnitte reichendes ordentliches Schriftstück gesehen hat bzw. einen überzeugenden Vortrag gehört hat. Allerdings kommt ein Projekt, das gut ist und das in sich selbst richtig ist, auch ohne rhetorische Fähigkeiten seiner Betreiber aus. Insofern sagt die Äußerung Dietrichs nicht nur etwas über die Stuttgart 21-Ingenieure, sondern auch etwas über das Projekt Stuttgart 21 selbst.
Flughafendesaster von Stuttgart 21 ist weltweit ohne Beispiel
Wir haben es allerdings beim zweiten Flughafenbahnhof von Stuttgart 21 mit einem weltweit einmaligen Desaster zu tun. Anstatt die riesigen verkehrlichen und betrieblichen Potenziale des bestehenden Flughafenbahnhofs zu nutzen, wird bei Stuttgart 21 ein zweiter, über 30 Meter unter der Erde liegender, über 700 Mio Euro teurer, für die Fahrgäste ganz umständlicher, mit dem bestehenden Bahnhof nicht harmonierender und kropfunnötiger neuer Bahnhof gebaut. Damit nicht genug. Der bestehende Bahnhof wird auch noch durch die Anlage zweier eingleisiger Bahnhofsteile kaputtgemacht. Ich kenne die Bahnerschließung aller Flughäfen in der Welt so in etwa. Mir ist weltweit kein zweiter Fall einer derart desaströsen Bahnplanung an einem Flughafen bekannt.
Kommen wir nun zu den Argumenten, die für den zweiten Flughafenbahnhof von der Bahn an den Haaren herbeigezogen werden. Da wurden etwa Fahrtbeispiele genannt. Sehen wir uns mal eines dieser Fahrtbeispiele an.
Fahrtbeispiel Bernhausen - Ulm
In dieser Relation soll es mit Stuttgart 21 und dem zweiten Flughafenbahnhof merklich besser werden. Heute beträgt die Fahrzeit gemäß den Angaben der Stuttgart 21-Protagonisten 1 Stunde 49 Minuten. Lassen wir das mal ungeprüft so stehen. Zukünftig soll die Fahrzeit 52 Minuten schneller sein, also 57 Minuten betragen. Hierbei wird darauf abgehoben, dass vom Flughafen nach Ulm der ICE benutzt wird.
Nun wird aber nach dem derzeitigen Fahrplanentwurf nur alle zwei Stunden ein ICE in der Relation Stuttgart-Ulm am Flughafen halten. Es ist nicht statthaft, dass die Wartezeiten beim Umsteigen am Flughafen einfach unterschlagen werden. Bei einem zweistündlichen ICE haben wir am Flughafen eine durchschnittliche Wartezeit von 1 Stunde. Somit ergibt sich die folgende Gesamtfahrzeit:
Bernhausen-Flughafen: 3 Minuten
Umsteigezeit Flughafen vom S-Bahnhof zum zweiten Flughafenbahnhof: 15 Minuten
Wartezeit im zweiten Flughafenbahnhof durchschnittlich: 60 Minuten
Flughafen-Ulm: 27 Minuten
Gesamtfahrzeit: 105 Minuten
Damit ist klar: Mit dem zweiten Flughafenbahnhof ist man zukünftig nicht schneller zwischen Bernhausen und Ulm unterwegs als heute. Der zweite Flughafenbahnhof ist insofern kropfunnötig. Viel besser ist man damit bedient, zum Hauptbahnhof zu fahren. Dort hat man die Auswahl zwischen einer Vielzahl von Zügen nach Ulm.
Jetzt müssen wir aber noch etwas anderes berücksichtigen. Im Rahmen des Stuttgart 21-Betriebskonzepts fahren selbstverständlich auch Regionalzüge. Es ist sogar so, dass die Regionalzüge die größte Gruppe unter den Zügen ausmachen - so wie das überall in Deutschland der Fall ist.
Der Regionalzug über die NBS nach Ulm ist gesetzeswidrig
Einer der geplanten Regionalzüge ist jedoch problematisch und fragwürdig. Das Land will zwischen Stuttgart und Ulm einen Regionalzug pro Stunde über die NBS bestellen. Wir haben im Post vom 11. August 2013 in diesem Blog ganz klar gezeigt, dass eine Bestellung dieses Regionalzugs nicht statthaft ist und gegen das Regionalisierungsgesetz verstößt. Leider gibt es hierzu bisher von der Landesregierung keine Stellungnahme. Berücksichtigt man diesen Regionalzug trotzdem, sieht die Fahrzeit Bernhausen-Ulm wie folgt aus:
Bernhausen-Flughafen: 3 Minuten
Umsteigezeit Flughafen vom S-Bahnhof zum zweiten Flughafenbahnhof: 15 Minuten
Wartezeit im zweiten Flughafenbahnhof durchschnittlich: 30 Minuten
Flughafen-Ulm: 43 Minuten
Gesamtfahrzeit: 91 Minuten = mehr als eineinhalb Stunden
Auch mit Berücksichtigung der Regionalzüge nach Ulm ist somit die Fahrzeit mit dem Flughafenbahnhof von Stuttgart 21 kaum besser als die heutige Fahrzeit ohne den Flughafenbahnof.
Die Alternativen sind besser und werden gerade deshalb verschwiegen
Jetzt kommen wir aber zum schwerwiegendsten Fehler der Stuttgart 21-Protagonisten. Wenn man irgendein Projekt plant oder bewirbt, muss man stets prüfen, ob es bessere Alternativen gibt. Das unterbleibt jedoch im Falle des zweiten Flughafenbahnhofs und von Stuttgart 21.
Die Alternative zum Alles-oder-Nichts-Projekt Stuttgart 21 sind der etappierbare Ausbau des Bahnknotens Stuttgart sowie die Hebung der bisher brachliegenden riesigen verkehrlichen und betrieblichen Potenziale des bestehenden Flughafenbahnhofs. Mit den beiden in diesem Blog bereits mehrfach vorgeschlagenen Express-S-Bahnlinien Plochingen-Wendlingen-Flughafen-Vaihingen-Kopfbahnhof sowie Nürtingen-Flughafen-Vaihingen-Zuffenhausen-Ludwigsburg-Bietigheim-Vaihingen/Enz sieht die Fahrzeit Bernhausen-Ulm wie folgt aus:
Bernhausen-Flughafen: 3 Minuten
Umsteigezeit: 0 Minuten (Bahnsteig gegenüber)
Wartezeit auf die Express-S-Bahn über Wendlingen nach Plochingen: 5 Minuten
Flughafen-Plochingen: 15 Minuten
Umsteigezeit in Plochingen: 5 Minuten
Wartezeit auf den nächsten Zug nach Ulm (RE, IRE, IC): 5 Minuten
Plochingen-Ulm: 45 Minuten
Gesamtfahrzeit: 77 Minuten
Viele Fahrgäste wollen nicht nach Ulm, sondern zu den Bahnknoten in der Umgebung des Flughafens
Damit haben wir hier eine Fahrzeit, die schneller ist als bei allen anderen Varianten. Aber das ist noch nicht alles. Nur eine ganz kleine Minderheit der Fahrgäste will vom Flughafen nach Ulm. Die Mehrzahl der Fahrgäste will zum Beispiel zum Bahnknoten Plochingen mit seinen Anschlüssen in Richtung Neckar- und Filstal sowie in den Schurwald. Mit Stuttgart 21 kommt man nur mit Umwegen dorthin. Die Express-S-Bahn fährt direkt dorthin.
Viele Fahrgäste wollen auch zum Bahnknoten Wendlingen mit seinen Anschlüssen in Richtung Kirchheim/Teck und auf die Schwäbische Alb. Mit Stuttgart 21 kommt man nur mit Umwegen dorthin. Die Express-S-Bahn fährt direkt dorthin. Ebenfalls viele Fahrgäste wollen zum Bahnknoten Nürtingen mit seinen Anschlüssen in Richtung Schwäbische Alb sowie weiter in Richtung Tübingen. Die Express-S-Bahn fährt direkt dorthin. Nach Nürtingen fahren auch bei Stuttgart 21 direkte Regionalzüge. Allerdings fahren diese Regionalzüge vom zweiten Flughafenbahnhof ab und sind deshalb wesentlich schwerer zu erreichen als die Express-S-Bahn. Zudem fahren sie nicht so häufig wie die Express-S-Bahn.
Mischbetrieb zwischen Flughafen und S-Rohr beeinträchtigt den Betrieb der S-Bahn
Wohin man auch schaut: Der zweite Flughafenbahnhof sowie Stuttgart 21 sind der Alternative hoffnungslos unterlegen und auch noch ein Vielfaches teurer und umständlicher. Da hilft auch ein weiteres Märchen nicht weiter, das einer dieser Stuttgart 21-Ingenieure zum Besten gegeben hat. Der Mischbetrieb mit S-Bahn und Fern-/Regionalzügen bei Stuttgart 21 auf der Strecke zwischen dem Flughafen und S-Rohr - so meinte dieser Ingenieur - wirke sich nicht negativ auf die S-Bahn aus. Maßgebend sei die ausgelastete Stammstrecke der S-Bahn in der Innenstadt.
Wo war eigentlich dieser Ingenieur während der Vorlesungen über Eisenbahnbetrieb in seinem Studium? Hätte er diese Vorlesungen besucht, dann hätte er mitbekommen, dass sich Engpässe in ihrer Wirkung auf den Eisenbahnbetrieb addieren. Es ist nicht so, dass nur der größte Engpass zählt und alle anderen Engpässe vernachlässigt werden können.
Konkret bringen der Mischbetrieb zwischen der S-Bahn und den Fern-/Regionalzügen im Abschnitt Flughafen - Rohr sowie die geplanten eingleisigen Streckenabschnitte im Bereich des bestehenden Haltepunkts Flughafen ebenso wie die zusätzlichen höhengleichen Gleiskreuzungen neue und zusätzliche Einschränkungen für den Verkehr und den Betrieb der S-Bahn. Dies äußert sich konkret in einer Verminderung der Freiheiten bei der Fahrplangestaltung, bei der Wahl der Fahrtenlagen, bei der Festsetzung der Fahrzeiten, bei der Gestaltung der Anschlüsse und bei der Reaktion auf Betriebsstörungen.
Bereits heute werden der Verkehr und der Betrieb der Stuttgarter S-Bahn durch eine Vielzahl von Engpässen, deren Wirkungen sich addieren, eingeschränkt. Die neuen Engpässe im Rahmen von Stuttgart 21 können das Fass zum Überlaufen bringen und den Kollaps der Stuttgarter S-Bahn nach sich ziehen.
Zusammenfassung
1. Vor dem Hintergrund der riesigen verkehrlichen und betrieblichen Potenziale des bestehenden Flughafenbahnhofs der S-Bahn, der bestehenden S-Bahnstrecke vom Flughafen nach Vaihingen, der unstrittigen Neubaustrecke vom Flughafen nach Wendlingen sowie des potenziellen Umsteigebahnhofs Vaihingen ist ein zweiter Flughafenbahnhof bei Stuttgart 21 unnötig wie ein Kropf und nicht zu verantworten.
2. Die von der Bahn für den zweiten Flughafenbahnhof gezeigten Fahrzeitenbeispiele halten einer Überprüfung nicht Stand. Die Fahrzeiten sind bei der Alternative wesentlich günstiger.
3. Der Mischbetrieb S-Bahn/Fernbahn/Regionalzüge im Abschnitt Flughafen-Rohr mit den neuen höhengleichen Gleiskreuzungen und den neuen eingleisigen Streckenabschnitten hat sehr wohl negative Auswirkungen auf den Betrieb der S-Bahn.
4. Die Alternative zu Stuttgart 21, die sich auf die Nutzung der Potenziale des bestehenden Flughafenbahnhofs bezieht und die den Bahnknoten Stuttgart in Etappen ausbaut, ist in jeder Hinsicht dem Projekt Stuttgart 21 und dem zweiten Flughafenbahnhof überlegen.
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