Sonntag, 30. Juni 2013

Gott sei Dank hat Zürich kein (Stuttgart) 21er-Projekt

Der Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) hat dieser Tage die Zahlen für das vergangene Jahr 2012 bekanntgegeben. Demnach hat die Zahl der Fahrgäste pro Jahr im ZVV im Jahr 2012 zum ersten Mal die 600 Millionen-Grenze überschritten. Das sind 15 Millionen Fahrgäste mehr als 2011. Im Durchschnitt wurden je Tag 1,65 Millionen Fahrgäste transportiert.

Im öffentlichen Verkehr in der Region Zürich wird nach anderen Berichten bis zum Jahr 2025 eine weitere Verdoppelung der Fahrgastzahlen erwartet. Die großen kapazitätssteigernden Maßnahmen in Zürich wie zum Beispiel die neue Durchmesserlinie, die in einer ersten Stufe im Jahr 2014 in Betrieb gehen wird, reichen für die in zehn/zwanzig Jahren zu erwartenden Fahrgastzahlen anscheinend nicht einmal aus. Es ist deshalb ein weiteres großes Ausbauprogramm geplant, über das die Bevölkerung voraussichtlich im Jahr 2014 abstimmen wird.

Nehmen wir noch einmal - wie bereits im Post vom 12.02.2013 in diesem Blog - einen Vergleich zwischen Zürich und Stuttgart vor. Damals haben wir festgestellt, dass trotz der mit Stolz verkündeten Fahrgastzahlen für 2012 der Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS) weit hinter dem ZVV zurückliegt. Die Zahlen waren eindeutig und wir wiederholen sie jetzt, verwenden aber für den ZVV die aktuellen Zahlen für 2012.


Zahl der Fahrten im VVS im Jahr 2012: 338 Mio
Zahl der Fahrten im ZVV im Jahr 2012: 602 Mio

Einwohner im Einzugsgebiet des VVS: 2,4 Mio
Einwohner im Einzugsgebiet des ZVV: 1,4 Mio 

Fahrten pro Einwohner beim VVS im Jahr 2012: 140
Fahrten pro Einwohner beim ZVV im Jahr 2012: 430  

Diese Zahlen haben wir im Prinzip ja bereits im Post vom 12.02.2013 ermittelt. Neu ist jetzt aber, dass auch die Steigerungsraten der Fahrgastzahlen beim ZVV höher sind als beim VVS. Hat der VVS im Jahr 2012 gerade mal 0,5 Prozent mehr Fahrgäste gezählt als 2011, waren es beim ZVV 2,5 Prozent mehr. Obwohl also der ZVV bezogen auf die Einwohner des Verbundgebiets mehr als dreimal soviele Fahrgäste befördert wie der VVS, nimmt der Abstand zwischen dem ZVV und dem VVS sogar noch zu.

Da prallen also zwei Welten aufeinander. Wir können diese zwei Welten auch noch ein wenig prosaisch würdigen, zum Beispiel wie folgt:

In Zürich brummt der öffentliche Verkehr. S-Bahnen und Trams werden überrannt. Die Region Zürich hat eines der größten S-Bahn-Netze und eines der am dichtesten befahrenen Tramnetze in Europa. Der massive Ausbau des S-Bahnnetzes und des Tramnetzes hält mit der Nachfrage kaum Schritt. Im Jahr 2014 wird mit dem ersten Teil der neuen Durchmesserlinie (gleichzeitig 2. Stammstrecke der S-Bahn) eine große kapazitätssteigernde Maßnahme im S-Bahnnetz verwirklicht. Weitere Ausbaumaßnahmen sind im Gang oder in Planung. Zusätzliche Fahrzeuge sind bestellt.

Im Jahr 2014 wird der Zürcher Hauptbahnhof über insgesamt 26 Gleise verfügen. Und man kann abwarten, ab wann sich auch hier wieder Engpässe abzeichnen. 

In Stuttgart tritt der öffentliche Verkehr auf - gegenüber der Schweiz - tiefem Niveau auf der Stelle. Die S-Bahn leidet schwer unter den Vorarbeiten zu Stuttgart 21. Neue Fahrzeuge für die S-Bahn, die die alten Fahrzeuge ersetzen sollen (nur ersetzen, es sind keine kapazitätssteigernden Maßnahmen geplant) haben schwere Kinderkrankheiten bzw. Mängel, die zu Verspätungen bis zum Kollaps des Netzes führen. Das Stuttgarter S-Bahnnetz ist wohl das kleinste unter den Netzen der vergleichbaren Regionen in Deutschland. Im Rahmen der Stuttgart 21-Arbeiten soll nun auch noch die für die Betriebsstabilität des S-Bahnnetzes wichtige Ausweichmöglichkeit im Kopfbahnhof beseitigt werden. 

Stuttgart 21 wird den S-Bahnverkehr weiter beschränken und beeinträchtigen. Der gesamte Eisenbahnverkehr wird mit Stuttgart 21 in einen in Europa einmaligen Engpass mit nur noch 10 Gleisen gepresst. Die Stadtbahn in Stuttgart (entspricht dem Tram in Zürich) ist zwar in puncto Netzlänge einigermaßen in Ordnung. Die Takte sind jedoch mäßig und das Netz ist schlecht strukturiert, vor allem im Zentrum, wo die Stadtbahn nur zwei Stammstrecken hat gegenüber drei und mehr Stammstrecken bei allen anderen vergleichbaren Netzen. Die Stadtbahn wird durch die Stuttgart 21-Arbeiten massiv gestört werden. Es müssen hunderte Millionen Euro für die Verlegung von Stadtbahntunnels ausgegeben werden, die keinen einzigen zusätzlichen Fahrgast anziehen werden und die für sinnvolle Investitionen in den öffentlichen Verkehr fehlen. 

Konsequenzen von Stuttgart 21 sind bereits spürbar
Die Stagnation bzw. der Rückschritt beim öffentlichen Verkehr in der Region Stuttgart ist für die kommenden 20 Jahre vorgezeichnet. Dies korrespondiert mit einem Attraktivitätsverlust und einem Rückfallen der Region Stuttgart gegenüber anderen Regionen. Statistiker teilen uns hierzu bereits erste Tendenzen mit.

So unterschiedlich also können Regionen sein, die nur 163 Kilometer Luftlinie auseinanderliegen. Hier die Weltstadt Zürich, die weiter mit an der Spitze der euopäischen Regionen schwimmen wird. Dort die Industrie- und Autostadt Stuttgart, die langsam ins Straucheln kommt und gegenüber den anderen Regionen in Europa zurückfällt. Und selbstverständlich hat Stuttgart 21 an dieser Stuttgarter Misere einen Anteil. Beim Betrachten der Stuttgarter Verhältnisse werden die Zürcher Bürgerinnen und Bürger wohl sagen: "Gott sei Dank hat Zürich kein (Stuttgart) 21er-Projekt!"

P.S.
Bevor Fragen zur genannten Anzahl der Gleise im Stuttgarter und im Zürcher Hauptbahnhof aufkommen, hier die Aufschlüsselung:

Zürich Hauptbahnhof ab 2014:
16 Bahnsteiggleise im Kopfbahnhof
4 Bahnsteiggleise im S-Bahnhof Museumsstraße (= erste Stammstrecke der S-Bahn)
2 Bahnsteiggleise im Bahnhof für die SZU (Sihltal-Zürich-Uetlibergbahn)
4 Bahnsteiggleise im neuen Bahnhof für die Durchmesserlinie (= zweite Stammstrecke der S-Bahn)
Summe: 26 Gleise

Stuttgart Hauptbahnhof bei Stuttgart 21:
8 Bahnsteiggleise im Durchgangsbahnhof
2 Bahnsteiggleise im S-Bahnhaltepunkt
Summe: 10 Gleise                    

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