Im ersten Teil des kleinen Städtevergleichs zwischen Stuttgart und Zürich haben wir bereits gesehen, dass die Entwicklung beim städtischen Schienenverkehrsmittel (Straßenbahn, Tram) in Zürich anders verlaufen ist als in Stuttgart. Maßgebend hierfür war die Bevölkerung von Zürich, die im Rahmen ihrer großen Mitwirkungsmöglichkeiten die von der Politik und der Verwaltung kommenden Ausbauvorschläge mehrfach abgelehnt hat. So sahen sich Politik und Verwaltung in Zürich gezwungen, innovative und maßstäblichere Lösungen für den Schienenverkehr in der Stadt zu entwicklen. Diese Lösungen wurden von der Bevölkerung gutgeheißen.
Heute geht es weiter in unserem Städtevergleich.
S-Bahn
In Stuttgart wurde ein erster Abschnitt einer neuen S-Bahn im Jahr 1978 in Betrieb genommen. Es dauerte allerdings noch bis zum Jahr 1993, bis das S-Bahnnetz in Stuttgart ein vorläufige Mindestgröße erreicht hat (wobei man streng genommen von einem eigentlichen Netz bis heute nicht sprechen kann).
Die Idee einer S-Bahn, die unter den Kopfbahnhöfen der Großstädte hindurchführt und durch die Innenstädte verläuft, ist wohl die beste Verkehrsidee, die Verwaltung und Politik im Nachkriegsdeutschland bisher eingefallen ist. Damit gelang es, den Schienennahverkehr in die Innenstädte der Großstädte zu bringen und gleichzeitig die Kopfbahnhöfe zu erhalten und für neue Aufgaben zu entlasten. Wegen der Olympischen Spiele 1972 erhielt München als erstes ein neues S-Bahnsystem. Stuttgart und Frankfurt folgten im Jahr 1978. Auch Hamburg mit dem Kopfbahnhof Altona und der City-S-Bahn muss zu diesem Verkehrskonzept gerechnet werden (Eröffnung 1975 bis 1981). Die damalige DDR konnte sich aus finanziellen Gründen ein ähnliches S-Bahnsystem für Leipzig nicht leisten. Deshalb wird dort der Citytunnel mit Unterfahrung des Kopfbahnhofs erst in diesen Jahren gebaut, möglicherweise bereits zu spät.
Bei der Stuttgarter S-Bahn gibt es eine Besonderheit, man könnte auch sagen, einen Luxus, in Form einer 1,5 Kilometer langen unterirdischen Wendeschleife beim S-Bahnhaltepunkt Schwabstraße. Dies ist meines Wissens der einzige derartige Tunnel in Europa, der nur für betriebliche Zwecke, nicht aber für die Fahrgäste zur Verfügung steht. Man hielt diese Tunnelschleife für notwendig, weil in der Anfangszeit der S-Bahn alle Linien und auch heute noch drei Linien beim S-Bahnhaltepunkt Schwabstraße wendeten bzw. wenden. Diesen Wendevorgang nur über Stumpfgleise abzuwickeln hielt man betrieblich für problematisch.
Im Widerspruch zu diesem betrieblichen Luxus beim Haltepunkt Schwabstraße steht der S-Bahnhaltepunkt Hauptbahnhof, der sowohl in Bezug auf die verfügbare Bahnsteigfläche als auch was die Zahl der Gleise betrifft, ein wenig unterdimensioniert ist. Ein Teil der Verspätungen der Stuttgarter S-Bahn ist auf diesen Umstand zurückzuführen.
In Zürich mussten Politik und Verwaltung nach der Ablehnung der kombinierten S- und U-Bahnvorlage durch die Bevölkerung erneut einige Jahre ihre Wunden lecken. Aber es war klar, dass die klare Ablehnung der Vorlage vor allem der U-Bahn gegolten hatte, deren tiefe, teure und unwirtliche Haltestellen der Bevölkerung überhaupt nicht gefallen haben.
Im Jahr 1981 war es dann soweit. Die Politik und Verwaltung des Kantons Zürich waren nun bereit, der Bevölkerung eine neue Vorlage über ein S-Bahnnetz für den Kanton Zürich zu präsentieren. Diese Vorlage wurde in der Volksabstimmung mit einer Zweidrittelmehrheit angenommen. Was hier angenommen wurde, hatte es in sich. Es war eines der größten S-Bahnnetze Europas mit einer Netzlänge von 380 km (Stuttgart 195 km). Und die Präferenzen der Bevölkerung wurden in der Vorlage berücksichtigt. In der Innenstadt von Zürich sah die Vorlage nur zwei Bahnhöfe vor, den viergleisigen S-Bahnhof Hauptbahnhof sowie den dreigleisigen S-Bahnhof Stadelhofen. Der Bahnhof Stadelhofen ist halboffen, nur der S-Bahnhof Hauptbahnhof liegt vollkommen unter der Erde. Die Feinverteilung der Verkehrsströme in der Innenstadt sollte das alle paar Minuten verkehrende Tram vornehmen.
Weil die Schweizer Meister im Bahnbetrieb sind, planten sie den Zürcher S-Bahnhof Hauptbahnhof viergleisig. Das ermöglichte nicht nur eine großzügige Bahnsteigfläche ohne Gedränge trotz des erwarteten und dann auch tatsächlich einsetzenden Massenandrangs auf die S-Bahn. Damit wurde es auch möglich, Pufferzeiten für die S-Bahnen von zwei bis drei Minuten in der Haltestelle Hauptbahnhof einzurichten. Diese Pufferzeiten sind erforderlich, um die Pünktlichkeit der S-Bahnen zu verbessern und ggf. zu korrigieren. In der S-Bahnhaltestelle Hauptbahnhof läuft der Betrieb nun so ab, dass ein S-Bahnzug noch am Bahnsteig steht, während der nächste Zug derselben Richtung bereits auf das andere Gleis am gegenüberliegenden Bahnsteig einfährt.
Als die S-Bahn Zürich bereits in Bau ging, gab es den Wunsch, einen weiteren unterirdischen Haltepunkt Universität zwischen den Bahnhöfen Hauptbahnhof und Stadelhofen einzurichten. Dieser Bahnhof wäre in einer großen Tiefenlage am rechten Berghang der Limat zu liegen gekommen und nur über Aufzüge zugänglich gewesen. Die Bevölkerung lehnte in der folgenden obligatorischen Volksabstimmung im Jahr 1984 den S-Bahnhaltepunkt Universität ab - und blieb sich damit in ihren Präferenzen treu.
Im Jahr 1990 wurde die S-Bahn Zürich eröffnet, sofort mit dem gesamten Netz. Allerdings konnten die S-Bahnlinien vom linken Zürichseeufer kapaziäts- und gleislagebedingt nicht in die S-Bahndurchmesserlinie einfahren. Sie wendeten zunächst weiter im Kopfbahnhof. Die S-Bahn wurde in den kommenden Jahren immer erfolgreicher und förmlich überrannt. Bis heute müssen ständig neue Ausbauprogramme auf den Weg gebracht werden, die zusätzliche Züge, längere Züge, mehr Gleise an den Strecken und weitere Ausbauten der Bahnhöfe beinhalten. Auch die erst im nächsten Post richtig zu thematisierende, im Bau befindliche (zweite) Zürcher Durchmesserlinie ist zu einem Teil Bestandteil des S-Bahnausbaus. Denn mit der neuen Durchmesserstrecke werden die S-Bahnlinien vom linken Zürichseeufer, die heute noch in einem provisorischen Flügelbahnhof beim Hauptbahnhof enden, zu Durchmesserlinien.
Zweites Zentrum Fildern / Glatttal
Die Kernstädte von Stuttgart und von Zürich sind in ihrer Lage beengt. Allerdings hat Zürich im Limmattal wesentlich mehr Platz als Stuttgart in seinem Talkessel. Dies mag auch mit ein Grund sein, dass der Betrachter vor Ort den Eindruck hat, dass Zürich eine größere Stadt ist als Stuttgart.
Wegen der Enge des Stuttgarter Talkessels konzentrierte sich die städtebauliche Entwicklung von Stuttgart frühzeitig auf Gebiete außerhalb des Talkessels. In den letzten Jahrzehnten gewannen die Fildern, eine Hochfläche südlich des Stuttgarter Talkessels, enorm an Bedeutung. Heute kann man die Fildern als zweites Zentrum Stuttgarts bezeichnen.
Auch für die Entwicklung von Zürich reichte das Limmattal ab den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts nicht mehr aus. Als zweites Zentrum der Region Zürich bildete sich das nordöstlich des Limmattals gelegene Glatttal heraus. Dort befindet sich auch der Großflughafen Zürich. Heute spricht man bereits von der Glatttalstadt.
Die Erschließung des zweiten Zentrums Fildern mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist noch nicht so richtig zufriedenstellend. Es gibt eine S-Bahnlinie vom Stuttgarter Stadtteil Vaihingen über den Flughafen bis Bernhausen. Dann gibt es einige Strecken der Stadtbahn Stuttgart mit Schwerpunkt auf dem Stuttgarter Anteil der Fildern. Eine Gesamterschließung der Fildern mit einem passenden öffentlichen Verkehrsmittel ist nicht in Sicht. Für neue Strecken ist sowohl eine Erschließung mit der S-Bahn als auch mit der Stadtbahn im Gespräch. Beides ist nicht ganz optimal. Die S-Bahn ist vielfach für die Fildern überdimensioniert und zu teuer. Die Stadtbahn ist etwas zu langsam, um die ganzen Fildern zu erschließen und mit den wichtigen Umsteigeknoten zu verbinden.
Im Kanton Zürich wurde in den Neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts klar, dass die neue Gltatttalstadt mit einem geeigneten Verkehrsmittel erschossen werden muss. Zwar ist die Glatttalstadt bei Zürich von der S-Bahn wesentlich besser erschlossen als die Fildern bei Stuttgart. Zwei große S-Bahnkorridore verbinden über separate lange Tunnel die Glatttalstadt mit der Züricher Kernstadt. Zusätzlich zur S-Bahn hielt man jedoch ein Verkehrsmittel für notwendig, das flächendeckend die Glatttalstadt erschließen und in alle Himmelsrichtungen mit den anderen Verkehrsmitteln verbinden soll. Dies war die Geburtsstunde der Glatttalbahn, die in ihrer Auslegung irgendwo zwischen der S-Bahn und dem Tram liegt. In den letzten Jahren wurden wichtige Teile der Glatttalbahn eröffnet.
Im dritten und letzten Post dieses kleinen Vergleichs zwischen Stuttgart und Zürich geht es zum Kern der Sache, nämlich zum Ausbau der Bahnknoten Stuttgart und Zürich.
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