Die Bahn hat in Sachen Stuttgart 21-Finanzierungsvertrag Klagen gegen die Projektpartner vor Gericht eingereicht.
Wir wollen heute hier in diesem Blog aus der Sicht eines juristischen Laien mögliche Folgen für die Projektpartner nach einem möglichen gerichtlichen Urteil abschätzen.
Das Spiel mit der Zeit
Zunächst aber ganz kurz zum Spiel mit der Zeit bei der juristischen Auseinandersetzung über den Stuttgart 21-Finanzierungsvertrag. Man gewinnt den Eindruck, dass keiner der Projektpartner an einem schnellen Urteil interessiert ist. Vielmehr sieht es so aus, dass die Projektpartner darauf hinarbeiten, dass ein letztinstandliches Urteil erst nach einer ersten Teilinbetriebnahme von Stuttgart 21 gefällt wird. Denn ein letztinstandliches Urteil würde - je nach Ausgang - zu ernsthaften Finanzproblemen bei einem oder bei mehreren Projektpartnern führen. Das aber würde das Projekt Stuttgart 21 in der Öffentlichkeit in ein noch schlechteres Licht rücken, als dies eh schon der Fall ist.
Dies scheint den Stuttgart 21-Projektpartnern zu gelingen. Zwischen der Klageeinreichung und dem heutigen Datum sind nun schon wieder sechs Jahre vergangen, ohne dass bisher eine Verhandlung begonnen hat. Der Termin für eine erste Verhandlung wurde auch schon mehrfach verschoben. Der letzte Stand ist, dass im April 2023 die Klage der Bahn gegen das Land BW in erster Instanz verhandelt wird, wobei das Land BW ja nur einer von mehreren Beklagten ist.
Alle Projektpartner haben auch bereits angekündigt, bis zur letzten Instanz gehen zu wollen. Von einer Sprungrevision - dem Überspringen der zweiten Instanz - ist keine Rede. Eine Sprungrevision könnte die Sache verkürzen. Das aber scheint nicht gewollt zu sein.
Das eigenwirtschaftliche Projekt
§2 (2) des Vertrags legt ganz klar fest, dass für die DB AG und die EIU aus der Realisierung des Gesamtprojekts keine unkalkulierbaren Risiken entstehen dürfen. Zudem muss die Wirtschaftlichkeit dargestellt sein. Das wird an vorderer Stelle des Vertrags festgestellt und ist eine der wichtigsten Feststellungen des Vertrags.
Hier kommt es jetzt darauf an, ob ungeachtet anderer Abmachungen diese Wirtschaftlichkeit für die Bahn stets gegeben sein muss, auch während der gesamten Bauzeit und danach. Ist dies so, müssten das Land und die Stadt Stuttgart für sämtliche Mehrkosten von Stuttgart 21 aufkommen. Entgegnungen, wonach die Bahn bis zu bestimmten Stichtagen diese Mehrkosten nicht genannt hat, sind wenig stichhaltig. Denn es musste dem Land und der Stadt bewusst sein, dass Projekte wie Stuttgart 21 in Deutschland stets mit einer Kostenexplosion enden.
Die "Erste Sprechklausel" im §2 (2)
Im §2 (2) erscheint die erste von zwei Sprechklauseln des Stuttgart 21-Finanzierungsvertrags. Konkret geht um einen Notausgang aus dem Projekt Stuttgart 21, wenn die Bahn bis spätestens 31.12.2009 feststellt, dass Stuttgart 21 wegen gestiegener Kosten doch nicht als eigenwirtschaftliches Projekt der Bahn dargestellt werden kann. Im Falle, dass dies so ist, werden Verhandlungen aufgenommen und bei fehlender Einigung das Projekt eingestellt.
Soweit ist es allerdings nicht gekommen, weil die Bahn bis 31.12.2009 keine entsprechenden Mehrkosten gemeldet hat. Sollte irgend jemand der Bahn nachweisen können, dass sie zum Stichtag 31.12.2009 über entsprechende Mehrkosten Bescheid gewusst hat, wäre dies allerdings schlecht für die Bahn. Sie bliebe dann wohl auf den Mehrkosten sitzen.
Anders herum sind alle Projektpartner hier mit im Boot. Denn es ist leichtsinnig, einen Finanzierungsvertrag zu unterschreiben, der die Mehrkosten, die ab dem 01.01.2010 entstehen, unberücksichtigt lässt bzw. diese Mehrkosten irgendwelchen Verhandlungen anheim stellt. Und erfahrungsgemäß entstehen bei solchen Projekten wie Stuttgart 21 stets massive Mehrkosten.
Sonstige Beiträge des Flughafens für das Projekt
Gemäß §7 (1) des Finanzierungsvertrags bezahlt der Stuttgarter Flughafen zum Ausgleich von Betriebsverlusten einen nicht rückzahlbaren Zuschuss an die Bahn in Höhe von 112,242 Mio. Euro für die Anbindung des Flughafens an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz.
Das ist ja hochinteressant. Augenscheinlich war man sich von Anfang an bewusst, dass die Anbindung des Stuttgarter Flughafens an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz alles andere als eigenwirtschaftlich für die Bahnunternehmen ist. Man muss sich auch fragen, welchen Sinn die Anbindung des Stuttgarter Flughafens an das Hochgeschwindigkeitsnetz macht. In Richtung München geht der Einzugsbereich des Stuttgarter Flughafens maximal bis Ulm. In die anderen Richtungen maximal bis Mannheim/Karlsruhe. Das ist nicht viel. Und es ist ja abzulehnen, dass mit Steuergeldern der Einzugsbereich des Stuttgarter Flughafens zu Lasten benachbarter Flughäfen ausgedehnt wird.
So wie man hört wird der Stuttgarter Flughafen gerade mal alle zwei Stunden an den ICE-Verkehr angebunden. Das ist nicht attraktiv. Man stelle sich vor, dass man am Flughafen ankommt und dann zwei Stunden auf den ICE warten muss.
Halten wir also fest: Es bestehen Bedenken, dass der Flughafen mit Stuttgart 21 an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz angebunden wird. Der Flughafen sollte also versuchen, den nicht rückzahlbaren Zuschuss zurückzufordern.
Was wird gemacht, wenn Stuttgart 21 billiger wird?
Man glaubt es fast nicht: Aber der Finanzierungsvertrag zu Stuttgart 21 beinhaltet in §8 (1) tatsächlich eine Regel, nach der verfahren werden soll, wenn das Projekt billiger als die damals genannten 3.076,0 Mio. Euro werden sollte. Dann nämlich bekommen die Vertragsparteien das Geld anteilig in einer Höhe zurück, die dem Verhältnis ihrer Finanzierungsanteile entspricht.
Es ist nicht bekannt, ob man tatsächlich geglaubt hat, dass das Projekt auch billiger werden könnte oder ob das nur als Beruhigungspille aufgeführt worden ist. Festzuhalten bleibt, dass für den Fall der Kostenunterschreitung ein genauer Schlüssel für die Erstattung der Kosten genannt wird. Bei einer signifikanten Erhöhung der Kosten wird im Vertrag jedoch kein Schlüssel genannt, sondern lediglich die Aufnahme von Gesprächen (Zweite Sprechklausel) anvisiert. Einen solchen Finanzierungsvertrag kann man nur als grottenschlecht bezeichnen.
In Bezug auf die juristische Auseinandersetzung um die Kosten von Stuttgart 21 könnte man jetzt zum Schluss kommen, dass der Kostenverteilungsschlüssel, der bei einer Kostenunterschreitung angewandt wird, einfach spiegelbildlich auch für jegliche Kostenüberschreitungen gilt.
Die zweite Sprechklausel
Im Finanzierungsvertrag zu Stuttgart 21 werden Gesamtkosten von 3.076 Mio. Euro angenommen. Darüber hinausgehende Kosten bis zu etwas über vier Mia. Euro werden nach einem genau dargestellten Kostenschlüssel von den Projektpartnern getragen. Zu weiteren Kostensteigerungen kommt die zweite Sprechklausel ins Spiel: §8 (4) Im Falle weiterer Kostensteigerungen nehmen die EIU und das Land Gespräche auf.
Das ist eine sehr leichtsinnige Formulierung. Ein solcher Vertrag ist sehr schlecht. Wer einen solchen Vertrag unterschreibt, begeht einen Fehler. Es ist allgemein bekannt, dass Projekte wie Stuttgart 21 letztendlich von einer Kostenexplosion gekennzeichnet sind. In Bezug auf die zweite Sprechklausel könnte man somit ableiten, dass alle Projektpartner mit im Boot sitzen und somit die Stuttgart 21-Mehrkosten in Höhe von mindestens 5 Mia. Euro von allen Projektpartnern zu tragen sind.
Fazit
Der Stuttgart 21-Finanzierungsvertrag bietet mehrere Ansätze, die auf einen möglichen Ausgang des juristischen Verfahrens hindeuten. Das sind Ansätze, die alle Projektpartner gleichermaßen ins Boot nehmen. Es gibt aber auch Ansätze, die bestimmte Projektpartner betreffen.
Welcher dieser Ansätze letztendlich maßgebend wird, kann der juristische Laie nicht entscheiden. Wünschenswert ist jedoch, dass das letztinstanzliche Urteil möglichst bald gesprochen wird.
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