Samstag, 6. Oktober 2018

Das Dach des Stuttgart 21-Bahnhofs - teuer, schwierig zu bauen und dem Brandschutz abträglich


Der beim Projekt Stuttgart 21 geplante achtgleisige Hauptbahnhof soll ein ungewöhnliches Dach erhalten. Eine massive Betonkonstruktion mit sogenannten Lichtaugen soll die gesamte Bahnhofsfläche überspannen.

Im heutigen Post in diesem Blog geht es zunächst mal darum, die Fragwürdigkeit dieses außergewöhnlichen Dachs darzustellen. Hauptsächlich geht es jedoch darum, Verbindungen zwischen verschiedenen Institutionen und Akteuren und diesem fragwürdigen Dach zu beschreiben.

Alle zum Bau des Dachs des Stuttgart 21-Tiefbahnhofs immer wieder genannten und fortgeschriebenen Zeitpläne sind bereits nach kurzer Zeit Makulatur. Der Bau dieses Dachs geht augenscheinlich viel langsamer vonstatten als gedacht. Dafür gibt es Gründe.

Das Dach des Stuttgart 21-Tiefbahnhofs ist sehr teuer. Zudem ist das Dach augenscheinlich sehr schwierig zu bauen. Das liegt unter anderem daran, dass mit den Lichtaugen Elemente bei diesem Dach verwendet werden, die eine krumme Form haben. Die Statik dieser Lichtaugen sowie des ganzen Dachs ist zudem äußerst komplex. 

Das zu verwendende Material (Stahlbeton) zeigt seine Stärken vor allem bei großen, geraden und flachen Bauteilen. Beim Dach von Stuttgart 21 stößt das Baumaterial Stahlbeton an seine Grenzen. Hier muss man fast mit dem Apothekerlöffel arbeiten. Und es sind Menschen mit ganz besonderen Qualifikationen hier gefragt, die nicht gerade Schlange am Arbeitsmarkt stehen.

Schließlich ist das geplante Dach von Stuttgart 21 mitverantwortlich für die Probleme beim Brandschutz. Wäre der Stuttgart 21-Tiefbahnhof nur teilweise überdacht, wäre der Brandschutz mit einem Schlag wesentlich einfacher zu bewerkstelligen.

Welche Verbindungen bestehen nun zwischen den folgenden Akteuren, Institutionen und Gruppen und dem Dach des Stuttgart 21-Tiefbahnhofs?
  • Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB)
  • Manfred Leger, der Geschäftsführer der DB Projekt Stuttgart-Ulm
  • Bürgerbewegung gegen Stuttgart 21
  • Stefan Mappus, früherer Ministerpräsident des Landes BW
  • Winfried Kretschmann, aktueller Ministerpräsident des Landes BW


Das Dach des Stuttgart 21-Tiefbahnhofs und die Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB)
Seit vielen Jahren werden alle neuen U-Haltestellen der Stuttgarter Stadtbahn so gebaut, dass sie zumindest zum Teil nach oben offen sind.

Nach oben offene U-Haltestellen sind billiger zu bauen und zu unterhalten als U-Haltestellen, die vollkommen geschlossen sind. Noch wichtiger ist jedoch, dass nach oben offene U-Haltestellen den Brandschutz wesentlich vereinfachen. So kann z.B. der Rauch bei einem Brand wesentlich schneller abziehen.

Vor diesem Hintergrund ist es verwunderlich, dass die SSB nicht einen größeren Einfluss auf das Dach des Stuttgart 21-Tiefbahnhofs genommen hat. Was hat die SSB mit Stuttgart 21 zu tun? Zumindest mal haben SSB-Vorstand Wolfgang Arnold* und sein engstes Umfeld über viele Jahre hinweg für Stuttgart 21 massiv die Werbetrommel gerührt. Arnold war auch Berater der früheren Landesverkehrsministerin Tanja Gönner sowie von Alt-OB Wolfgang Schuster. Zudem ist im Rahmen der organisatorischen Aufgabenverteilung innerhalb der Stadtverwaltung die SSB für die Vertretung der verkehrlichen Interessen der Stadt bei Stuttgart 21 zuständig.

Vielleicht gab es hinter den Kulissen durchaus Bestrebungen der SSB, das Dach des Stuttgart 21-Tiefbahnhofs zu verändern und den Bahnhof zum Teil nach oben offen zu halten. Davon ist mir aber nichts bekannt. Zumindest in der Öffentlichkeit hat sich meines Wissens die SSB zu diesem Thema nicht geäußert.

* Wolfgang Arnold ist noch bis Ende 2018 Technischer Vorstand der SSB. Danach wird er von Thomas Moser abgelöst.
  
Die U-Haltestelle Wilhelm-Geiger-Platz der Stuttgarter Stadtbahn ist - wie viele andere U-Haltestellen - zum Teil nach oben offen. Das erleichtert den Brandschutz ungemein.

Das Dach des Stuttgart 21-Tiefbahnhofs und Manfred Leger
Der Geschäftsführer der DB Projekt Stuttgart-Ulm Manfred Leger hat sich vor einiger Zeit sinngemäß so geäußert, dass Stuttgart mit dem Projekt Stuttgart 21 einen Luxusbahnhof bekomme.

Ich habe das auch so verstanden, dass Leger hiermit leichte Kritik an der Politik und am Land BW geübt hat. Er wollte wohl sagen, dass die Bahn selbst so etwas in dieser Form nicht gebaut hätte. Es war der Wunsch der Politik. Zum Thema Luxusbahnhof hat Manfred Leger mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch das Dach des Tiefbahnhofs mit den Lichtaugen gezählt.

Auch bei Manfred Leger ist mir nichts bekannt, dass er seinen Einfluss geltend gemacht hätte, das Dach des Tiefbahnhofs zu verhindern. Vielleicht hat er hinter den Kulissen etwas gesagt. In der Öffentlichkeit hat er meines Wissens geschwiegen.  

Das Dach des Stuttgart 21-Tiefbahnhofs und die Bürgerbewegung gegen Stuttgart 21
Es klingt paradox. Aber ohne die große Bürgerbewegung gegen Stuttgart 21 hätte es vielleicht bereits größere Änderungen am geplanten Dach des Stuttgart 21-Tiefbahnhofs gegeben.

Die große Bürgerbewegung gegen Stuttgart 21 hat die Akteure von Stuttgart 21 (Politiker, Bahn, Verwaltungen, Lobbiisten) jedoch gezwungen, zusammenzuhalten und eventuelle Meinungsverschiedenheiten zu begraben. Vor diesem Hintergrund musste nicht nur an Stuttgart 21 als Ganzem, sondern auch an jedem Detail von Stuttgart 21 festgehalten werden, wie zum Beispiel dem Dach des Tiefbahnhofs.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Das ist nicht gegen die große Bürgerbewegung gegen Stuttgart 21 gerichtet. Mir wäre es recht, wenn diese Bürgerbewegung noch größer wäre.

Das Dach des Stuttgart 21-Tiefbahnhofs und der frühere Ministerpräsident Stefan Mappus
In der Zeit, als sich der Widerstand gegen Stuttgart 21 besonders stark in der Öffentlichkeit zeigte und noch vor den Wahlen zum baden-württembergischen Landtag im Jahr 2011 äußerte sich der damalige Ministerpräsident Stefan Mappus sinngemäß so, dass er durchaus Diskussionsbedarf und Änderungsmöglichkeiten bei bestimmten Teilen von Stuttgart 21 sieht. Dazu gehöre das Dach des Stuttgart 21-Tiefbahnhofs sowie das geplante Rosensteinviertel.

Ich vermute, dass das geplante Dach mit den Lichtaugen Stefan Mappus wohl nicht besonders gefallen hat. Wäre er Ministerpräsident geblieben, hätte es eine gewisse Wahrscheinlichkeit gegeben, dass das Dach in der geplanten Form nicht gebaut worden wäre.

Es liegt mir fern, die Rolle von Mappus bei der Durchsetzung von Stuttgart 21 sowie gegenüber der großen Bürgerbewegung gegen Stuttgart 21 kleinzureden oder zu verklären. Es ist aber Chronistenpflicht festzuhalten, dass sich Mappus durchaus Gedanken darüber machte, wie Stuttgart 21 verbessert werden kann und wie besonders fragwürdige Teile des Projekts in Zusammenarbeit mit der Bevölkerung noch geändert werden können.

Das Dach des Stuttgart 21-Tiefbahnhofs und Ministerpräsident Winfried Kretschmann
Welche Details von Stuttgart 21 stellt der heutige Ministerpräsident Kretschmann in Frage? Die Antwort ist etwas verblüffend: Gar keine.

Unter Kretschmann wird Stuttgart 21 eins zu eins umgesetzt, wie es vor über 30 Jahren geplant worden war. Damit muss man feststellen, dass Mappus möglicherweise mehr Änderungen an Stuttgart 21 vorgenommen hätte - wäre er Ministerpräsident geblieben - als Kretschmann dies heute tut.

Eine wahrhaft tragikkomische Situation. Das haben sich Kretschmann und die Grünen jedoch selbst eingebrockt. Nach der Volksabstimmung haben sich die Grünen auf den Standpunkt verständigt, nicht nur Stuttgart 21 ohne weiteren Widerstand umzusetzen, sondern sogar Stuttgart 21 ohne Änderungen umzusetzen in der Version, wie sie vor über 30 Jahren geplant worden ist. Dabei hat sich in den letzten 30 Jahren die Welt doch ziemlich stark verändert und weiterentwickelt. Das müsste eigentlich auch seinen Niederschlag in Änderungen des Projekts Stuttgart 21 finden.

Sollten die Grünen nun argumentieren, dass die missglückte Volksabstimmung ja eine Idee des Koalitionspartners SPD war, so ist dem entgegenzutreten. Denn im Wahlkampf zur Landtagswahl des Jahres 2011 gab es auch Wahlplakate der Grünen, auf denen eine Volksabstimmung zu Stuttgart 21 gefordert wurde.     

Änderungen sind erforderlich, auch im Hinblick auf die Vorbereitung eines Kombibahnhofs
Zumindest die Grünen - aber nicht nur die - haben also etwas gutzumachen. Dazu gehört, dass man nicht nur in Sonntagsreden für einen Kombibahnhof eintritt, sondern im Rahmen des Baufortschritts zu Stuttgart 21 konkrete Maßnahmen einfordert, um die Aufwärtskompatibilität des Stuttgart 21-Tiefbahnhofs hin zu einem Kombibahnhof mit ca. 8gleisigem Kopfbahnhof zu ermöglichen.

Ganz konkret gehört dazu, jetzt ein sofortiges Moratorium beim Bau des Dachs des Stuttgart 21-Tiefbahnhofs zu fordern. 

So muss über das Dach des Tiefbahnhofs, der bei den heutigen Gleisen 1 bis 8 des heutigen Kopfbahnhofs liegt, der zukünftige Kopfbahnhof des Kombibahnhofs gebaut werden. Zwischen den paarweise anzuordnenden Gleisen des zukünftigen Kopfbahnhofs sind Schlitze denkbar, die das Entweichen von Rauch aus dem darunterliegenden Durchgangsbahnhof ermöglichen.

Der Teil des Durchgangsbahnhofs, der zwischen den heutigen Gleisen 9 bis 16 des heutigen Kopfbahnhofs liegt, kann nach oben offen sein.

Der Teil des Durchgangsbahnhofs, der unter dem früheren Südflügel des Kopfbahnhofs liegt, wird mit einem Gebäude analog dem früheren Südflügel überbaut. Dieses Gebäude dient auch als Lärmschutz in Richtung der Wohngebiete am Kesselrand.

Nach oben offen kann auch derjenige Teil des Durchgangsbahnhofs ein, der unmittelbar an die Stadtbahnhaltestelle Staatsgalerie anschließt.

Fazit
Das geplante Dach des Stuttgart 21-Tiefbahnhofs ist anachronistisch, sehr teuer, schwierig zu bauen und dem Brandschutz sowie einem zukünftigen Kombibahnhof abträglich. Die aktuelle Landesregierung unter Führung der Grünen muss jetzt beweisen, dass sie - wie dies in Ansätzen auch der frühere Ministerpräsident Mappus gemacht hat - das Interesse und die Kraft hat, Teile von Stuttgart 21 zu ändern und das über 30 Jahre alte Projekt an die zukünftigen Anforderungen anzupassen. 

Eine der ersten Kelchstützen des Dachs des Stuttgart 21-Tiefbahnhofs wird nach monatelangen Bewehrungsarbeiten provisorisch mit Planen abgedeckt. Das geplante Dach des Stuttgart 21-Tiefbahnhofs ist anachronistisch, sehr teuer, schwierig zu bauen und dem Brandschutz sowie einem zukünftigen Kombibahnhof abträglich.
  

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