In Düsseldorf wurde am 21.02.2016 die neue Wehrhahn-Linie eröffnet. Die Wehrhahn-Linie ist die dritte Stammstrecke der Düsseldorfer Stadtbahn. Sie besteht aus einem 3,4 Kilometer langen Tunnel mit sechs unterirdischen Haltestellen. Neben der Stadtbahn gibt es in Düsseldorf auch noch die Straßenbahn. Sie verfügt über weitere drei Stammstrecken, so dass das städtische Schienenverkehrsmittel in Düsseldorf sechs Stammstrecken hat. Das garantiert eine hohe Leistungsfähigkeit des Gesamtnetzes und gleichzeitig einen verspätungsarmen Betrieb.
Im Gegensatz dazu hat die Stuttgarter Stadtbahn gerade mal zwei Stammstrecken. Dass es so ist, ist kein Zufall und auch kein Schicksal. Da spielt das Projekt Stuttgart 21 eine Rolle. Wir haben in diesem Blog immer wieder deutlich gemacht, wie Stuttgart und seine Region durch das Projekt Stuttgart 21 ins Hintertreffen geraten. Dieses Projekt hat die verkehrliche Entwicklung der Region nun bereits um ca. 30 Jahre verzögert. Und ein Ende ist (noch) nicht abzusehen.
Was wird durch Stuttgart 21 nicht alles verzögert! Ein Ringstraßensystem (Mittlerer Ring) ist seit 30 Jahren überfällig. Nur so lässt sich der gesamte Durchgangsverkehr aus dem Stuttgarter Talkessel herausnehmen. Und nur so - das ist noch viel wichtiger - kann man im Stuttgarter Talkessel restriktive Maßnahmen zum Kfz-Verkehr einführen. Eine zweite Stammstrecke für die S-Bahn ist wünschenswert, eine Strecke, die gemäß dem Vorbild der Zürcher Durchmesserlinie die drei wichtigsten Bahnhöfe Stuttgarts (Bad Cannstatt-Hauptbahnhof-Zuffenhausen) direkt und ohne Umsteigezwang miteinander verbindet. Schließlich braucht auch die Stuttgarter Stadtbahn eine weitere Stammstrecke. Mit nur zwei Stammstrecken für das städtische Schienenverkehrsmittel steht Stuttgart unter den Großstädten Deutschlands allein und verlassen da.
Alle Kräfte in Stuttgart sind durch das Projekt Stuttgart 21 gebunden
Die Landeshauptstadt Stuttgart beteiligt sich am Projekt Stuttgart 21 mit über einer Milliarde Euro. Dazu gehören die direkten Zahlungen an das Projekt, aber auch die Grundstückskäufe einschließlich des damit verbundenen Zinsverzichts. Auch eine relativ reiche Stadt wie Stuttgart kann über eine Milliarde Euro nicht einfach aus dem Ärmel schütteln. Für eine dritte Stammstrecke der Stadtbahn bleibt da kein Geld übrig. Dafür ist auch keine Manpower bei der Verwaltung und beim Gemeindrat vorhanden, zumindest solange nicht, wie das Projekt Stuttgart 21 alle Kräfte bindet.
Die dritte Stammstrecke für die Stuttgarter Stadtbahn ist überfällig. Die beiden bestehenden Stammstrecken der Stuttgarter Stadtbahn (Stöckach - Staatsgalerie = Erste Stammstrecke; Stadtbibliothek - Hauptbahnhof - Charlottenplatz - Olgaeck = Zweite Stammstrecke) sind ausgelastet bzw. überlastet. Eine dritte Stammstrecke muss diesbezüglich ein riesiges Pflichtenheft abarbeiten.
Das Pflichtenheft für eine dritte Stammstrecke der Stuttgarter Stadtbahn
Eine dritte Stammstrecke für die Stuttgarter Stadtbahn muss von den beiden bestehenden Stammstrecken jeweils eine oder zwei Linien übernehmen. Zur Zeit verkehrt im Verlauf der beiden bestehenden Stammstrecken alle zwei Minuten ein Zug pro Gleis. Das ist bereits zu viel, um einen pünktlichen und regelmäßigen Betrieb zu gewährleisten. Nach der Inbetriebnahme einer dritten Stammstrecke kann die Zugfolge im Verlauf der beiden bestehenden Stammstrecken auf 2 1/2 - Minuten bzw. 3 Minuten gestreckt werden. Damit werden sich die Züge nicht mehr gegenseitig behindern und in der Folge pünktlicher werden.
Die dritte Stammstrecke hat jedoch noch weitere Aufgaben, die zum Teil im Widerspruch zu der erstgenannten Aufgabe stehen. Es ist anzustreben, dass auf den Außenästen der Stuttgarter Stadtbahn zukünftig an Stelle des heute gefahrenen 10 Minuten-Takts ein 7 1/2 Minuten-Takt eingerichtet werden kann. Nur so ist es möglich, dass die Stadtbahn signifikant mehr Fahrgäste befördern kann. Das aber ist erforderlich, um den Kfz-Verkehr in Europas Feinstaubhauptstadt merklich zu reduzieren.
Eine dritte Aufgabe für die dritte Stammstrecke ergibt sich daraus, dass vielleicht der eine oder andere neue, zusätzliche Außenast gebaut werden kann.
Die Aufgaben für die dritte Stammstrecke sind also so groß, dass man sich wundert, dass diese dritte Stammstrecke nicht schon längst in Betrieb ist. Die dritte Stammstrecke wird nicht einmal in der Lage sein, alle genannten drei Aufgabenpakete gleichermaßen zufriedenstellend abzuarbeiten. Da werden bereits wieder Kompromisse gefragt sein. Eigentlich bedarf es auch noch einer vierten Stammstrecke für die Stuttgarter Stadtbahn. In vielen anderen Großstädten ist dies längst eingerichtet.
Die paradoxe Situation bei den neuen Außenästen der Stuttgarter Stadtbahn
Nun wird ja auch in Stuttgart das Stadtbahnnetz immer wieder erweitert. Es kommt immer mal wieder der eine oder andere Außenast hinzu (z.B. jetzt im Mai 2016 der Außenast nach Dürrlewang). Aber hier gibt es eine paradoxe Situation. Es ist gar nicht wünschenswert, dass die neuen Außenäste besonders viele zusätzliche Fahrgäste anziehen. Denn die beiden Stammstrecken können weder mehr Züge noch mehr Fahrgäste verkraften. Vor diesem Hintergrund ist die Investition in neue Außenäste bei der Stuttgarter Stadtbahn zum heutigen Zeitpunkt mit einem Fragezeichen zu versehen.
Ich meine mal gelesen zu haben, dass man in Stuttgart eine Fahrpreiserhöhung unter anderem mit einer neuen Strecke (Außenast) der Stadtbahn begründet hat. Anscheinend ziehen die neuen Außenäste nicht so viele zusätzliche Fahrgäste an, wie das für einen mit gleichbleibenden Zuschüssen auskommenden Betrieb erforderlich ist. Für einen durchschnittlichen Stadtbahn-Fahrgast ist das alles andere als zufriedenstellend.
Nehmen wir mal als Beispiel einen Berufspendler, der jeden Tag im Verlauf der Strecke A ca. 15 Haltestellen lang hin und zurückfährt und hierfür ein Abo hat. Was interessiert denn diesen Berufspendler, dass jetzt an einer ganz anderen Ecke der Stadt ein neuer Außenast (Strecke K) der Stadtbahn eröffnet worden ist? Dieser Berufspendler wird wenig Verständnis dafür aufbringen, wenn er wegen des neuen Außenasts der Strecke K, die er selbst nie befährt, mehr für sein Abo bezahlen muss.
Anders verhält es sich bei einer Fahrpreiserhöhung als Folge der Inbetriebnahme einer dritten Stammstrecke der Stuttgarter Stadtbahn. Hier kommt es für alle Fahrgäste zu Verbesserungen - in Form kürzerer Taktfolgen und größerer Pünktlichkeit der Züge. Eine solche Fahrpreiserhöhung dürfte der Beispiel-Berufspendler eher akzeptieren.
Die Verspätung lässt sich praktisch nicht mehr aufholen
Aber leider gibt es nur wenig Hoffnung auf eine baldige Fertigstellung einer dritten Stadtbahn-Stammstrecke. Selbst wenn man ab sofort ernsthaft an eine dritte Stammstrecke für die Stuttgarter Stadtbahn heranginge (das heißt, die Verwaltung beschäftigt sich ab sofort intensiv mit der Sache, Gutachter werden beauftragt, der Gemeinderat fasst einen Grundsatzbeschluss) braucht es bis zur Inbetriebnahme noch viele Jahre. Ca. 10 Jahre gingen noch ins Land, wenn man sich entschlösse, die dritte Stammstrecke oberirdisch zu bauen. 15 bis 20 Jahre würden vergehen, wenn man entscheidet, die dritte Stammstrecke im Tunnel verlaufen zu lassen.
Und doch wird bei diesen Zahlen wenigstens die Beeinträchtigung greifbar und leichter fassbar, die das Projekt Stuttgart 21 auf die Stadt und auf die Region ausübt. Noch lässt sich die Sache wenigstens zum Teil in die richtige Richtung lenken. Das kann zum Beispiel eintreten, wenn sich die neue Landesregierung ab März/April 2016 entschließt, das Projekt Stuttgart 21 merklich zu redimensionieren und z.B. auf die Kombilösung zurückzuführen. Hierüber müsste dann mit der Bahn verhandelt werden. Die Bahn war auch nach der letzten Landtagswahl verhandlungsbereit. Damals ging es sogar um einen vollständigen Stopp von Stuttgart 21. Leider ist dies damals durch die Intervention der Landes-SPD in Berlin verhindert worden.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.