Sonntag, 11. Mai 2014

Bayerns Ministerpräsident Seehofer hätte Stuttgart 21 längst gestoppt

Die aktuellen Vorgänge um die zweite Stammstrecke der Münchner S-Bahn und das Verhalten der bayerischen Politiker bei diesem Thema lassen eine klare Schlussfolgerung zu. Ministerpräsident Seehofer bzw. irgendein anderer bayerischer Politiker hätten das Projekt Stuttgart 21 längst gestoppt. Das sehen wir uns jetzt mal im Detail an.


Ein Alles-oder-Nichts-Projekt darf nur dann in Bau gehen, wenn die Baugenehmigung für das gesamte Projekt vorliegt
Ein ganz wichtiges Argument, das von der bayerischen Politik im Zusammenhang mit der zweiten Stammstrecke für die Münchner S-Bahn vorgelegt wird, ist die bislang fehlende Planfeststellung (= Baugenehmigung) für wichtige Abschnitte des Projekts. Bisher liegt die Planfeststellung erst für einen von drei Abschnitten der zweiten Stammstrecke vor. Das ist der Abschnitt vom Stachus bis zur Isar. Für die Abschnitte von der Donnersberger Brücke bis zum Stachus sowie von der Isar bis zum Ostbahnhof liegt die Planfeststellung bisher nicht vor. Ein Zeitpunkt für das Vorliegen der Baugenehmigung ist hier nicht absehbar.

Für die bayerische Politik ist klar, dass die zweite Stammstrecke der Münchner S-Bahn nur dann in Bau gehen darf, wenn die Planfeststellung = Baugenehmigung für das gesamte Projekt vorliegt. Denn bei der zweiten Stammstrecke der Münchner S-Bahn handelt es sich um ein Alles-oder-Nichts-Projekt, ein Projekt also, das nur als Ganzes in Betrieb gehen kann. Einzelne Abschnitte mit eigenem verkehrlichem Wert gibt es hier nicht. Würde man mit dem Bau der zweiten Stammstrecke der Münchner S-Bahn im Abschnitt zwischen dem Stachus und der Isar jetzt beginnen, liefe man Gefahr, dass das Projekt in einer Bauruine endet. Das wäre dann der Fall, wenn für die beiden anderen Abschnitte der zweiten Stammstrecke keine Baugenehmigung erreichbar wäre.

Von einer solchen Haltung der Regierung kann man bei Stuttgart 21 und in Baden-Württemberg nur träumen. Das Alles-oder-Nichts-Projekt Stuttgart 21 ging bereits zu einem Zeitpunkt in Bau, als noch längst nicht alle Abschnitte die Baugenehmigung hatten. Bis heute ist die Baugenehmigung für Stuttgart 21 nicht vollständig vorhanden. Man nimmt somit bei Stuttgart 21 in Kauf, dass das Ganze in einer riesigen Bauruine endet. Alternativ nimmt man in Kauf, dass auf die Genehmigungsbehörden ein übermäßiger Druck ausgeübt wird, die noch ausstehenden Abschnitte von Stuttgart 21 ebenfalls irgendwann zu genehmigen.

Bei einer Überschreitung der festgelegten Kosten muss das Projekt gestoppt werden
Bayerns Ministerpräsident Seehofer hat es dieser Tage deutlich gesagt: Zwar hält er die zweite Stammstrecke der Münchner S-Bahn für sinnvoll. Das Ganze muss sich jedoch rechnen und die einmal festgelegte Obergrenze der Baukosten darf nicht überschritten werden. Zur Zeit ist das Projekt der zweiten Stammstrecke der Münchner S-Bahn in einer Phase, dass die Kosten stark steigen. Die festgelegte Obergrenze der Kosten ist bereits überschritten. Ein Aus für dieses Projekt ist somit in nicht mehr weiter Ferne.

Mit Entsetzen nehmen wir zur Kenntnis, dass beim Projekt Stuttgart 21 diese Grundregeln offensichtlich nicht beachtet werden. Schon längst haben die Kosten von Stuttgart 21 die vorher bekanntgegebenen Obergrenzen überschritten. Schon längst ist das Projekt nicht mehr wirtschaftlich, weder eigenwirtschaftlich noch volkswirtschaftlich sinnvoll. Trotzdem wird dieses Projekt immer noch nicht gestoppt. 

Es ist schmerzhaft, wenn jetzt die zweite Stammstrecke der Münchner S-Bahn vor Stuttgart 21 gestoppt wird
Besonders schmerzhaft ist bei einem Vergleich zwischen der zweiten Stammstrecke der Münchner S-Bahn und Stuttgart 21, dass jetzt möglicherweise das wesentlich sinnvollere Projekt - die zweite Stammstrecke der Münchner S-Bahn - zuerst gestoppt wird. Zwar hat auch die zweite Stammstrecke der Münchner S-Bahn zahlreiche Macken. Dazu gehören zum Beispiel die sich in großer Tiefenlage befindenden Haltepunkte Hauptbahnhof und Marienhof (41 Meter unter der Oberfläche). Dazu gehört auch, dass es Probleme gibt, die Fahrgastmassen von den Haltepunkten Hauptbahnhof und Marienhof weiterzutransportieren. 

Trotz dieser und anderer Mängel bleibt jedoch festzuhalten, dass die zweite Stammstrecke der Münchner S-Bahn insofern ein ehrliches Projekt ist, dass sie ernsthaft eine massive Erhöhung der Kapazität der Bahn im Großraum München zum Inhalt hat. Ganz anders dagegen ist das Projekt Stuttgart 21 gelagert, das seinen Antrieb letztendlich aus Grundstücksverwertungsplänen herleitet. Alle anderen Argumente, die später diesem Projekt zugeordnet wurden, sind nachgeordnet und mit dem Hauptzweck entwickelt worden, das Grundstücksverwertungsprojekt in der Politik und bei der Bevölkerung durchsetzen zu können.

Die Volkspartei CSU scheint über positiv wirkende Korrekturmechanismen zu verfügen
Halten wir noch einmal fest: In Bayern scheinen Grundsätze der Planung wie selbstverständlich beachtet zu werden. Dazu gehört zum Beispiel, dass man den Bau eines Alles-oder-Nichts-Projekts erst dann beginnt, wenn für das gesamte Projekt die Baugenehmigung vorliegt. Dazu gehört auch, dass man ein Projekt stoppt, wenn die vorher einmal festgelegte Obergrenze der Baukosten überschritten wird.

In Baden-Württemberg und im Zusammenhang mit Stuttgart 21 scheinen diese Grundsätze nicht zu gelten. Bei einer Frage nach der Ursache für diese so unterschiedlichen Verhaltensweisen kommen wir an der CSU, der in Bayern seit vielen Jahren regierenden Partei, nicht vorbei. Die CSU ist eine Volkspartei im positiven Wortsinn. In Baden-Württemberg ist die dortige CDU dagegen in keinster Weise eine Volkspartei. Und die Grünen in Baden-Württemberg haben diese Funktion schon gar nicht inne.

In einer Volkspartei, wie sie die CSU darstellt, scheint es Korrekturkräfte zu geben, die letztendlich dazu führen, dass jeweils das Beste für die Menschen umgesetzt wird. In Bezug auf die zweite Stammstrecke der Münchner S-Bahn ist es zum Beispiel in keinster Weise anrüchig, wenn Ministerpräsident Seehofer das Projekt gut findet und dafür wirbt. Genauso selbstverständlich achtet Seehofer jedoch darauf, dass das Projekt frühestens dann in Bau geht, wenn die Baugenehmigung gesamthaft vorliegt. Ebenso selbstverständlich ist für Seehofer, dass bei einer Überschreitung der Kostenobergrenze das Aus für das Projekt in die Überlegungen einbezogen wird.

Seehofer und die bayerische Politik werben zwar für die zweite Stammstrecke. Sie sind jedoch mit diesem Projekt nicht verheiratet. Wenn die Zahlen nicht stimmen, lassen sie das Projekt fallen. Nicht anders verhielt es sich mit der Transrapidverbindung zum Münchner Flughafen oder gar mit dem Projekt München 21. Alt-Ministerpräsident Stoiber warb für das Transrapid-Projekt. Das geht absolut in Ordnung, auch wenn er sich dabei rhetorisch verhaspelte. Seine Rede zum Transrapid ("In zehn Minuten") ist bereits legendär. Es ist absolut legitim, über diese Rede Stoibers (man kann sie auf youtube nachhören) herzhaft zu lachen. Es ist jedoch nicht zulässig, über den Politiker und Menschen Stoiber zu lachen. Denn Stoiber hätte angesichts der neuen Zahlen dieses Projekt gestoppt (wegen seines Rücktritts vom Amt des Ministerpräsidenten blieb es der Nachfolgeregierug überlassen, diesen Schritt zu vollziehen).

Der Seehofer-Kretschmann-Vergleich geht für Kretschmann schlecht aus
Die unterschiedliche Vorgehensweise bei der zweiten Stammstrecke der Münchner S-Bahn und bei Stuttgart 21 fordert auch zu einem Vergleich zwischen den Ministerpräsidenten Seehofer und Kretschmann heraus. Für Kretschmann sieht dieser Vergleich nicht gut aus. Hier der Ministerprädient einer großen Volkspartei, die summa summarum den Freistaat Bayern erfolgreich lenkt. Dort der Ministerpräsident einer Partei, die ihre Legitimation als Regierungspartei fast ausschließlich ihrer Gegnerschaft zu Stuttgart 21 verdankt und die jetzt nicht so recht weiß, was sie an der Regierung machen soll. 

Seehofer praktiziert gutes Regierungshandeln. Das zeigt sich nicht zuletzt bei der zweiten Stammstrecke der Münchner S-Bahn. Aus Skandalen, wie etwa der Verwandtenaffäre im bayerischen Landtag oder dem Fall Mollath, werden rasch und deutlich Konsequenzen gezogen.

Von Kretschmann sind dagegen in erster Linie solche Sprüche wie "Mehrheit statt Wahrheit" oder "Der Käs isch gessa" bekannt. Früher einmal war auch für Kretschmann klar, dass ein Alles-oder-Nichts-Projekt frühestens dann begonnen werden darf, wenn die Baugenehmigung für das gesamte Projekt vorliegt. Früher erklärte auch Kretschmann einmal, dass er bei Stuttgart 21 "nicht den Wowereit" machen wolle. Früher war es auch für Kretschmann selbstverständlich, dass Stuttgart 21 beim Überschreiten der Kostenobergrenze gestoppt werden muss. Heute fühlt er sich nicht mehr bemüßigt, Bahnchef Grube auf dessen diesbezügliche Äußerungen anzusprechen und den sofortigen Stopp von Stuttgart 21 zu verlangen. Armes Baden-Württemberg!

P.S. Dieser Artikel stellt keine Werbung für die CSU dar. Ich habe noch nie in meinem Leben die CSU gewählt. Allerdings ist mir dies als Stuttgarter auch gar nicht möglich.....        

 

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