Die Präsentation des sogenannten Stresstests im Rahmen des Sach- und Faktenchecks zu Stuttgart 21 hat gestern mit einer Überraschung geendet. Der Schlichter Heiner Geißler zauberte eine von der Gutachterfirma SMA ausgearbeitete Kombilösung aus dem Ärmel, die die Beibehaltung des Kopfbahnhofs und einen zusätzlichen viergleisigen Tiefbahnhof vorsieht. Dem unmittelbar voraus ging die Ankündigung des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, die Sitzung zu verlassen. Anlass hierfür waren einseitige Parteinahmen Geißlers, der die Vorträge der Stuttgart 21 - Gegner immer wieder unterbrach und deren Argumente nur ungenügend berücksichtigte.
Das zweimalige Verlassen der Sitzung seitens des Aktionsbündnisses war in der Nachbetrachtung ein richtiger und genialer Schachzug. Das Aktionsbündis hat damit gezeigt, dass es nicht wie beim ersten Teil des Sach- und Faktenchecks den Winkelzügen und Tricks von Geißler hilflos ausgeliefert ist, sondern selbst das Heft des Handelns in die Hand nimmt.
Nun war der Geißler-Vorschlag für eine Kombilösung aus Kopfbahnhof und Tiefbahnhof zwar überraschend. Der Vorschlag war jedoch seit Wochen vorbereitet und zu Papier gebracht worden. Allerdings kann man nicht mit Sicherheit sagen, ob Geißler diesen Vorschlag in jedem Fall präsentiert hätte. Im (selbstverständlich unwahrscheinlichen) Fall, dass der Konflikt um Stuttgart 21 nach der Präsentation des Stresstests geendet hätte, hätte wohl Geißler seinen Vorschlag erst gar nicht mehr präsentiert. Erst der zeitweise Weggang des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 aus der Sitzung hat Geißler konkret veranlasst, diesen in der Hinterhand gehaltenen Vorschlag in den Ring zu werfen.
Kommen wir jetzt zur Schweizer Gutachterfirma SMA. Während der Sitzung wurden Vorwürfe gegen SMA erhoben, die die Unabhängigkeit dieser Firma vor allem gegenüber der Deutschen Bahn in Zweifel zogen. In der Tat konnte man zunächst von den Ausführungen der Firma SMA enttäuscht sein. Die Firma erklärte in ihrem Audit zum Stresstest, dass dieser bestanden sei, wenngleich nicht in Premiumqualität. Es fehlte jedoch jegliche weitere Kritik an Stuttgart 21, die ja mannigfaltig auf der Hand lag. Zunächst gab es kein Wort von SMA zu der Überlastung der Gleisanlagen bei Stuttgart 21, zum Beispiel zur viel zu hohen Auslastung der Bahnsteiggleise mit über 6 Zügen / Stunde oder zur viel zu hohen Auslastung der nur zweigleisigen Zufahrt Zuffenhausen. Kein Wort des Schweizer Gutachters auch dazu, dass Stuttgart 21 ein Infrastrukturrückbau erster Güte ist. Kein Wort dazu, dass der vollständige Abbau eines gut funktionierenden Bahnhofs und dessen Ersatz durch einen engen Tiefbahnhof ein in Europa einmaliges Ereignis darstellt, über das man zum Beispiel in der Schweiz nur den Kopf schüttelt.
Liest man das Papier von SMA zur vorgeschlagenen Kombilösung (Titel: "Frieden in Stuttgart"), wird klar, was SMA wirklich über Stuttgart 21 denkt. Und jetzt muss man Zweifel über die Unabhängigkeit von SMA, so man sie vorübergehend hatte, beenden. Denn in diesem Papier werden nicht nur die neue Kombilösung und deren bauliche, verkehrliche und betriebliche Vorteile aufgelistet. Das Papier ist, wenn man es genau liest, auch eine gnadenlose Abrechnung mit Stuttgart 21. Damit ist die Kompetenz der Schweiz in Eisenbahnfragen einmal mehr eindrucksvoll bestätigt. Und SMA hat mit diesem Papier bewiesen, dass die Firma es nicht nötig hat, der DB nach dem Munde zu reden.
Im Vorwort des Papiers, das Heiner Geißler verfasst hat, wird auch klar, dass Geißler das Projekt Stuttgart 21 für nicht mehr realisierbar und für schlecht hält. Denn hier kommt er auf die großen Kostenrisiken und die ungeklärten Finanzierungsfragen zu sprechen. Geißler ahnt eben, dass auf diesem Gebiet in der Zukunft noch manche Bombe platzen kann, die auch den einen oder anderen Politiker (auch der CDU) in den Abgrund ziehen könnte.
Der Ausstieg aus dem Projekt Stuttgart 21 ist mit der Geißlerschen Kombilösung eingeleitet und - ausnahmsweise soll dieses verbrannte Wort einmal verwendet werden - unumkehrbar. Kaum einer Fußnote wert ist in diesem Zusammenhang, dass Bundesverkehrsminister Ramsauer, der sich ja um seine Teilnahme an der Schlichtung gedrückt hat, die Kombilösung prompt als nicht durchführbar bezeichnet hat. Herr Ramsauer möchte man anraten, sich jetzt einmal zu entscheiden. Entweder er nimmt konstruktiv beim Sach- und Faktencheck teil und kann dann auch die Sache kommentieren. Oder er kneift und hält sich abseits. Dann sollte er aber zum Thema schweigen und nicht immer wieder mit unsachlichen und beleidigt wirkenden Kommentaren aufwarten.
Im nächsten Post geht es um einige Aspekte der Kombilösung und vor allem darum, weshalb die DB möglicherweise keinen großen Gefallen an der Kombilösung finden wird.
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