Am 05. April 2017 wurde in München der Beginn der Hauptbauarbeiten für die zweite S-Bahn-Stammstrecke mit dem offiziellen ersten Spatenstich gefeiert.
Das sich jetzt abzeichnende Betriebsprogramm für die Münchner S-Bahn nach Inbetriebnahme der zweiten Stammstrecke bestätigt alle Annahmen, die hier in diesem Blog zur Leistungsfähigkeit und Betriebsqualität des Stuttgarter S-Bahnnetzes, des Stuttgarter Stadtbahnnetzes und des Projekts Stuttgart 21 getroffen worden sind.
Wir sehen uns im heutigen Post in diesem Blog den aktuell bekannten Planungsstand für das Betriebsprogramm der Münchner S-Bahn an. Dann betrachten wir das Stuttgarter S-Bahnnetz, das Stuttgarter Stadtbahnnetz und die Zufahrt Zuffenhausen des Projekts Stuttgart 21. Hierbei soll klar werden, welche Folgen ein Betriebsprogramm in Anlehnung an das Betriebsprogrmm der Münchner S-Bahn für das Stuttgarter S-Bahnnetz, für das Stuttgarter Stadtbahnnetz und für Stuttgart 21 hat. Weiter soll klar werden, dass beim politischen Projekt Stuttgart 21 die "Uhren anders ticken" als bei normalen Bahnausbauprojekten wie zum Beispiel der zweiten Stammstrecke der Münchner S-Bahn.
Die Inbetriebnahme einer zweiten Stammstrecke ermöglicht gemäß der reinen Lehre eine ungefähre Verdoppelung der Leistungsfähigkeit eines Schienennetzes. Beim Betrachten des geplanten Betriebsprogramms für die Münchner S-Bahn nach der Inbetriebnahme der zweiten Stammstrecke mag man deshalb ein wenig verwundert sein. Die Zahl der pro Tag im Münchner S-Bahnnetz verkehrenden S-Bahnzüge soll nach Inbetriebnahme der zweiten Stammstrecke "nur" von heute 950 auf zukünftig 1250 steigen.
Was ist der Grund für diesen lediglich moderaten Anstieg der Zugzahlen? Der Grund liegt in den Zielen der Großinvestition der zweiten S-Bahn-Stammstrecke. Die beiden Hauptziele sind die Erhöhung der Betriebsqualität und die Kapazitätserweiterung.
Die Steigerung der Betriebsqualität ist von enormer Bedeutung
In Sachen Betriebsqualität ist es nach Meinung der zuständigen Planer beim Münchner S-Bahnnetz zur Zeit nicht gut bestellt. Im Verlauf der ersten, bestehenden Stammstrecke der Münchner S-Bahn fahren zur Zeit 30 Züge pro Stunde und Richtung. Das wird als viel zu viel eingeschätzt. Auch ein mit großem Aufwand verbessertes Signalsystem und die Spanische Lösung mit jeweils separaten Bahnsteigen für das Ein- und Aussteigen bei drei besonders nachgefragten Haltepunkten ändern daran nichts.
Die Folge der dichten Belegung der ersten Stammstrecke der Münchner S-Bahn sind massive Beeinträchtigungen bei der Pünktlichkeit und Regelmäßigkeit des Betriebs. Zudem verlängern sich die durchschnittlichen Fahrzeiten, indem Züge vor der Einfahrt in die Stammstrecke regelmäßig warten müssen.
Nach der Inbetriebnahme der zweiten Stammstrecke sollen im Verlauf der ersten Stammstrecke nur noch 21 Züge pro Stunde und Richtung fahren. Das ist dann ungefähr ein Zug alle drei Minuten. Im Verlauf der zweiten Stammstrecke sollen 15 Züge pro Stunde und Richtung fahren. Das entspricht einem durchschnittlichen Vier-Minuten-Takt. Durch die zweite Stammstrecke sollen mehrheitlich - aber nicht nur - Express-S-Bahnlinien und Regio-S-Bahnlinien fahren.
Die Vergrößerung des Zugabstands im Verlauf der ersten Stammstrecke und der von vornherein größere Zugabstand im Verlauf der zweiten Stammstrecke wird zu einer spürbaren Verbesserung der Betriebsqualität führen, indem sich die einzelnen S-Bahnzüge nicht mehr gegenseitig behindern. Dadurch sind auch Verbesserungen bei den Fahrzeiten möglich.
Kommen wir nun zum Stuttgarter S-Bahnnetz
Auch für das Stuttgarter S-Bahnnetz ist eine zweite Stammstrecke notwendig. Die Gründe sind dieselben wie in München. Die Taktfolge im Verlauf der Stammstrecke der Stuttgarter S-Bahn ist zur Zeit 2,5 Minuten. Auch hier sind also zu viele Züge unterwegs. Auch hier ist eine Ausdünnung der Taktfolge auf 3 Minuten erstrebenswert. Zudem gibt es in Stuttgart keine Haltepunkte, die separate Ein- und Ausstiegsbahnsteige aufweisen.
Verbesserungen beim Signalsystem würden nur sehr begrenzte Auswirkungen auf die Betriebsqualität haben. Die Taktfolge im Verlauf einer zweiten S-Bahn-Stammstrecke könnte wie in München vier Minuten betragen, wobei wie in München im Verlauf der zweiten S-Bahn-Stammstrecke mehrheitlich Express- und Regio-S-Bahnen unterwegs wären. Diese Züge würden die jetzt für Stuttgart geplanten Metropolexpresslinien zu einem Teil ersetzen.
Wir haben uns in diesem Blog schon mehrfach mit der zweiten Stammstrecke für die Stuttgarter S-Bahn beschäftigt, zuletzt im Post vom 02.03.2017. Hier wurde auch klar, dass es für den Bau einer zweiten Stammstrecke der Stuttgarter S-Bahn noch weitere Gründe gibt. Dazu gehört zum Beispiel, dass das bestehende Stuttgarter S-Bahnnetz ganz schlecht strukturiert ist, indem es die beiden Hauptzufahrten zum Stuttgarter Hauptbahnhof (Zufahrten Bad Cannstatt und Zuffenhausen) nicht direkt miteinander verbindet. Das führt dazu, dass die Hälfte aller S-Bahnlinien im Verlauf der ersten Stammstrecke endet und wendet. Weitere Züge enden in Stuttgart-Vaihingen.
Klar wurde auch, dass die dringend erforderlichen Verbesserungen beim Stuttgarter S-Bahnnetz durch das Projekt Stuttgart 21 verhindert werden - und das sowohl in finanzieller als auch in bautechnischer Hinsicht.
Kommen wir nun zum Stuttgarter Stadtbahnnetz
Mit der Notwendigkeit einer dritten Stammstrecke für die Stuttgarter Stadtbahn und dem bestehenden Alleinstellungsmerkmal der Stuttgarter Stadtbahn, die als einzige unter den Bahnsystemen der vergleichbaren Großstädte Deutschlands nur zwei Stammstrecken aufweist, haben wir uns hier in diesem Blog bereits mehrfach beschäftigt, zuletzt im Post vom 23.03.2017.
Eine weitere Kennzahl, die die schlechte Struktur des Stuttgarter Stadtbahnnetzes beschreibt, ist das Verhältnis zwischen der Zahl der Streckenzweige und der Zahl der Stammstrecken. Je größer diese Kennzahl ist, desto ungünstiger ist ein städtisches Schienennetz strukturiert. Die Stadtbahn Stuttgart weist von allen städtischen Schienennetzen (möglicherweise weltweit) den höchsten Wert bei dieser Kennzahl auf.
Eine dritte Stammstrecke für die Stuttgarter Stadtbahn ist unabdingbar. Auch hier ist es Stuttgart 21, das den Bau dieser dritten Stammstrecke um Jahrzehnte verzögert bzw. bisher verhindert hat. Ähnlich wie bei der Münchner S-Bahn ist die dritte Stammstrecke für die Stuttgarter Stadtbahn nicht allein mit dem Ziel der Kapazitätssteigerung zu bauen, sondern auch mit dem Ziel der Steigerung der Betriebsqualität.
Im Verlauf der beiden bestehenden Stammstrecken herrscht zur Zeit eine Zugfolge von zwei Minuten pro Richtung. Darunter leidet die Betriebsqualität. Eine Vergrößerung der Zugfolge von zwei auf zweieinhalb Minuten erfordert die Herausnahme von jeweils einer Linie bei beiden Stammstrecken. Die Verdichtung der Taktfolge bei einigen wichtigen Linien von zur Zeit zehn auf zukünftig siebeneinhalb Minuten erfordert bereits die Herausnahme von zwei Linien bei jeder der beiden Stammstrecken. Damit ist eine dritte Stammstrecke für die Stuttgarter Stadtbahn von Anfang an bereits ausgelastet.
Kommen wir nun zur Zufahrt Zuffenhausen von Stuttgart 21
Stuttgart 21 weist zahlreiche Engstellen auf, die vielfach in diesem Blog bereits das Thema waren. Heute soll es nur um die Zufahrt Zuffenhausen gehen.
Die Zufahrt Zuffenhausen muss ca. 40 Prozent der Nachfrage nach Bahnverkehrsleistungen zum Bahnknoten Stuttgart übernehmen (ohne S-Bahn). Die Zufahrt Zuffenhausen ist heute nur zweigleisig und sie wird auch bei Stuttgart 21 nur zweigleisig sein.
In diesem Blog wurde stets der Standpunkt vertreten, dass die Zufahrt Zuffenhausen maximal 12 bis 13 Züge pro Stunde und Richtung bewältigen kann. Diese Zugzahl wird in der Spitzenstunde bereits heute erreicht. Eine Kapazitätssteigerung der Zufahrt Zuffenhausen ist somit beim Projekt Stuttgart 21 nicht vorhanden. Die Gesamtleistungsfähigkeit von Stuttgart 21 errechnet sich aus 13 geteilt durch 0,4 = 32,5. Und bei dieser Rechnung sind die zahlreichen anderen Engstellen von Stuttgart 21 noch gar nicht enthalten.
Der sogenannte Stresstest zu Stuttgart 21 hat nun aber wesentlich mehr als die genannten 12 bis 13 Züge pro Stunde und Richtung auf die Zufahrt Zuffenhausen gelegt. Deshalb kommt der Stresstest auch auf mehr als 32 Züge pro Stunde für die Gesamtleistungsfähigkeit von Stuttgart 21. Ist das aber realistisch?
Auch hier hilft ein Vergleich mit dem geplanten Betriebsprogramm der Münchner S-Bahn. Im Verlauf der ersten Stammstrecke der Münchner S-Bahn sind 21 Züge pro Stunde und Richtung geplant, somit eine Taktfolge von ca. 3 Minuten. Im Verlauf dieser Strecke werden zukünftig ausschließlich die langsamen S-Bahnlinien fahren. Im Verlauf der zweiten Stammstrecke sind 15 Züge pro Stunde und Richtung geplant, somit eine Taktfolge von durchschnittlich 4 Minuten. Im Verlauf dieser Strecke werden zukünftig einige langsame S-Bahnlinien und dazu auch Express-S-Bahnlinen und Regio-S-Bahnlinien verkehren.
Wie ist nun die Zufahrt Zuffenhausen zum Bahnknoten Stuttgart im Vergleich zu den Stammstrecken der Münchner S-Bahn charakterisiert? Die Zufahrt Zuffenhausen ist durch einen extremen Mischbetrieb charakterisiert. Dort fahren ICE-Züge, TGV-Züge, IC-Züge, schnelle Regionalzüge und langsame Regionalzüge (Metropolexpress-Züge). Es ist klar, dass eine solche Strecke noch weniger Kapazität hat als die beiden Stammstrecken der Münchner S-Bahn. Eine durchschnittliche Zugfolge von knapp 5 Minuten auf dieser Strecke ist realistisch, somit die genannten 12 bis 13 Züge pro Stunde und Richtung.
Wodurch aber wird die Kapazität der Zufahrt Zuffenhausen konkret eingeschränkt? Das sind im Wesentlichen drei Sachverhalte.
Als Erstes ist der Mischbetrieb zwischen schnellen und langsamen Zügen in den Zufahrten von Vahingen/Enz und von Heilbronn nach Zuffenhausen zu nennen. Dadurch entstehen im Einzelfall bereits Zugabstände von bis über 10 Minuten am Beginn der Zufahrt Zuffenhausen.
Als Zweites sind die weitlaufenden Fernzüge (ICE/TGV) zu nennen. Deren Fahrplantrassen müssen wesentlich mehr abgepuffert sein als die Fahrplantrassen von S-Bahnzügen. Sonst würden sich kleinste Initialverspätungen schnell im langen Streckenverlauf dieser Züge zu massiven Folgeverspätungen aufschaukeln.
Als Drittes sind die zahlreichen Fahrplanzwangspunkte (Anschlüsse usw.) der weitlaufenden Fernzüge in ganz Deutschland zu nennen, die eine gleichmäßige Taktfolge in der Zufahrt Zuffenhausen verunmöglichen.
Welches Fazit können wir ziehen?
Stuttgart 21 ist ein politisches Projekt, das mit politischen, zum Teil emotionalen und nicht rationalen Argumenten durchgesetzt worden ist. Stuttgart 21 lebt zum Teil in einem Paralleluniversum.
Das lässt sich bei einem Vergleich des Projekts Stuttgart 21 mit jedwedem anderen Bahngroßprojekt in Europa schnell untermauern, so auch bei dem im heutigen Post vorgenommenen Vergleich mit der zweiten Stammstrecke der Münchner S-Bahn.
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