Samstag, 12. Dezember 2015

Gemäß dem Aktionsplan Großprojekte der Bundesregierung darf Stuttgart 21 nicht gebaut werden

Der Bundesverkehrsminister hat im Jahr 2015 eine "Reformkommission Großprojekte" eingesetzt, die im September 2015 einen "Aktionsplan Großprojekte" vorgelegt hat. Das Bundeskabinett hat den Aktionsplan Großprojekte am 9. Dezember 2015 verabschiedet. Der Aktionsplan Großprojekte ist somit ab sofort in Deutschland für Großprojekte verbindlich. Das Interessanteste des neuen Aktionsplans Großprojekte ist, dass Stuttgart 21 gemäß dieser Handlungsanweisung für Großprojekte nicht gebaut werden darf.

Um dies zu untermauern, sehen wir uns nur zwei der zehn Punkte des neuen Aktionsplans Großprojekte einmal genauer an.


Punkt 2 des Aktionsplans Großprojeke "Erst planen, dann bauen"
Unter diesem Punkt heißt es: "Es sollte gewährleistet sein, dass mit dem Bau erst dann begonnen wird, wenn für das genehmigte Bauvorhaben die Ausführungsplanung mit detaillierten Angaben zu Kosten, Risiken und zum Zeitplan sowie eine integrierte Bauablaufplanung vorliegen". 

Und weiter heißt es: "Die Reformkommission empfiehlt deshalb, mit dem Bau erst nach Erstellung eines zusammenfassenden Dokuments zu beginnen, das die Ausführungsplanung für das gesamte Projekt sowie detaillierte Angaben zu Kosten, Risiken und zum Zeitplan enthält. Auf der Grundlage von Teilbaugenehmigungen sollte mit dem Bau nur dann begonnen werden, wenn es sich um vollständig abtrennbare Teilprojekte bzw. Gewerke handelt."

Damit ist die Sache im Zusammenhang mit Stuttgart 21 klar: Bei Stuttgart 21 handelt es sich um ein Alles-oder-Nichts-Projekt. Es ist nicht möglich, innerhalb des Projekts Stuttgart 21 "vollständig abtrennbare Teilprojekte oder Gewerke zu bilden". Das Projekt Stuttgart 21 - und auch die damit zusammenhängende NBS Wendlingen-Ulm - darf somit frühestens dann in Bau gehen, wenn für alle Teilabschnitte die Planfeststellung vorliegt. Das aber war beim Baubeginn vor 5 oder so Jahren nicht der Fall. Das ist auch heute noch längst nicht der Fall. Es fehlen nach wie vor Planfeststellungsbeschlüsse für wichtige Abschnitte.

Die Sache geht aber noch weiter. Es muss für alle Abschnitte von Stuttgart 21 eine Ausführungsplanung mit detaillierten Angaben zu Kosten, Risiken und zum Zeitplan vorliegen. Diese Ausführungsplanung liegt auch mit dem Erlass des Planfeststellungsbeschlusses noch nicht zwingend vor. Auch bei Stuttgart 21 zeigen die zahlreichen Planänderungen auch noch während des Baus und somit nach dem Erlass des Planfeststellungsbeschlusses, dass eine belastbare Ausführungsplanung mit Baubeginn mitnichten vorgelegen hat. 

Ganz anders kommt da das Konkurrenzprojekt des etappierbaren Ausbaus des Bahnknotens Stuttgart daher (man kann es K 21 nennen, man kann es aber auch mit irgendeinem anderen Namen versehen). Im Rahmen dieses Projekts gibt es zahlreiche vollständig abtrennbare Teilprojekte bzw. Gewerke, für die jeweils ein separates Planfeststellungsverfahren bzw. Plangenehmigungsverfahren bzw. eine Baugenehmigung ausgesprochen werden kann.

Einige Beispiele hierzu:
  • Fünftes und Sechstes Gleis zwischen Bad Cannstatt und dem Kopfbahnhof
  • Fünftes und Sechstes Gleis zwischen Zuffenhausen und dem Kopfbahnhof
  • Regionalbahnhof Vaihingen
  • Modernisierung des Kopfbahnhofs mit Wegfall der Gepäckbahnsteige, Verbreiterung der Bahnsteige und Neubau von zwei Fußgängerunterführungen
  • Fünftes Gleis zwischen Bad Cannstatt und Esslingen
  • Express-S-Bahn vom Flughafen über Wendlingen nach Plochingen
  • Express-S-Bahn vom Flughafen nach Nürtingen-Reutlingen
  • Express-S-Bahn vom Hauptbahnhof über Vaihingen zum Flughafen
  • Umfahrungstunnel Geislinger Steige
  • Umfahrungstrasse (3. und 4. Gleis) von Reichenbach
  • Umfahrungstrasse (3. und 4. Gleis) von Ebersbach
  • Umfahrungstrasse (3. und 4. Gleis) von Uhingen
  • Viergleisiger Durchmesserbahnhof unter dem Hauptbahnhof
  • Schurwaldtunnel (späterer Zeitpunkt) = 5. und 6. Gleis Bad Cannstatt-Plochingen + 5. und 6. Gleis Bad Cannstatt-Waiblingen + 3. und 4. Gleis Waiblingen-Schorndorf
usw. usw.....

Es kommt aber bei Stuttgart 21 noch viel schlimmer. Solche Alles-oder-Nichts-Projekte verhindern während ihrer jahrzehntelangen Planungsphase auch noch die wesentlich schneller mögliche Umsetzung von Modulen im Rahmen eines etappierbaren Konkurrenzprojekts. Ein ganz markantes Beispiel dafür ist das 5. und 6. Gleis zwischen Bad Cannstatt und dem Hauptbahnhof. Bereits gegen Ende der Achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts wurden - unter anderem vom VVS - konkrete Forderungen nach dem Bau des 5. und ggf. 6. Gleises zwischen Bad Cannstatt und dem Hauptbahnhof erhoben. 

Wären diese Forderungen von der Politik berücksichtig worden, wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in den Neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts das fünfte und sechste Gleis zwischen Bad Cannstatt und dem Hauptbahnhof gebaut worden. Dann könnten wir jetzt im Jahr 2015 bereits seit sage und schreibe 20 Jahren die Nutzen des fünften und sechsten Gleises zwischen Bad Cannstatt und dem Hauptbahnhof in Form pünktlicherer Züge und mehr Zügen genießen. Sollte Stuttgart 21 mal in Betrieb gehen (nehmen wir mal 2025 dafür an), hätte Stuttgart 21 die Verbesserung für die Zufahrt Bad Cannstatt zum Hauptbahnhof um satte 30 Jahre im Vergleich zum Konkurrenzprojekt verzögert. Da fehlen schlichtweg die Worte. 

Punkt 7 des Aktionsplans Großprojekte "Verbindliche Wirtschaftlichkeitsuntersuchung"
Unter diesem Punkt heißt es: "Voraussetzung für die Bereitstellung von
Haushaltsmitteln bei öffentlichen Großprojekten ist der Nachweis einer angemessenen
Wirtschaftlichkeitsuntersuchung...." 


Bei diesem Punkt bietet nun Stuttgart 21 eine ganz raffinierte Art der Vertuschung der fehlenden Wirtschaftlichkeit sowie der Anzapfung öffentlicher Mittel trotz fehlender Wirtschaftlichkeit. Es soll hier jetzt gar nicht darum gehen, ob und wann und in welcher Tiefe eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung für Stuttgart 21 vorliegt oder nicht vorliegt. Es soll auch nicht um die volle oder teilweise Verfassungswidrigkeit der Mischfinanzierung von Stuttgart 21 gehen.

Was bei Stuttgart 21 im Zusammenhang mit dem Punkt 7 des Aktionsplans Großprojekte interessant ist, ist der Umstand, dass hier sehr viele unterschiedliche Finanzierer auftreten, die gleichwohl alle direkt oder indirekt der öffentlichen Hand zuzuordnen sind, also Gelder der Bürger für Stuttgart 21 aktivieren.

Die Unwirtschaftlichkeit eines Projekts fällt umso mehr auf, je weniger unterschiedliche Finanzierer vorhanden sind. Wird ein Projekt nur von einer einzigen Institution (z.B. Bundesrepublik Deutschland) finanziert, fällt eine mögliche Unwirtschaftlichkeit des Projekts sehr schnell auf. Treten mehrere Finanzierer auf und leisten diese Finanzierer - wie das bei Stuttgart 21 der Fall ist - auch noch mehrere Zahlungen mit großen zeitlichen Abständen, wird die Unwirtschaftlichkeit eines Projekts mehr und mehr verschleiert.

Erst vor wenigen Tagen hat der Verband Region Stuttgart mal kurz weitere 20 Mio. Euro für den Flughafenbahnhof lockergemacht - zusätzlich zu den vielen Millionen, die der Verband für Stuttgart 21 bereits bezahlt hat. Das fällt in der Öffentlichkeit einfach nicht so auf. Was sind denn heutzutage schon 20 Millionen? Dabei ist der Verband Region Stuttgart nur einer von mehreren Finanzierern von Stuttgart 21. Darunter fallen auch der Stuttgarter Flughafen, der ebenfalls der öffentlichen Hand gehört, die Landeshauptstadt Stuttgart, die neben direkten Zuwendungen für Stuttgart 21 auch noch für die Bahn sehr günstige Grundstücksgeschäfte in die Wege geleitet hat, das Land Baden-Württemberg, das neben direkten Zuwendungen für Stuttgart 21 auch noch einen für die Bahn sehr günstigen Vertrag über Nahverkehrsleistungen abgeschlossen hat, sowie auch die Bundesrepublik Deutschland.

Letztendlich kann man jedes noch so unwirtschaftliche und unsinnige Projekt durch die öffentliche Hand finanzieren, wenn man nur genügend unterschiedliche Finanzierungspartner findet, die durch direkte und indirekte Zuwendungen dieses Projekt für den Betreiber wirtschaftlich erscheinen lassen. Diesem Vorgehen hat der Aktionsplan Großprojekte der Bundesregierung jetzt einen Riegel vorgeschoben.

Fazit
Der neue Aktionsplan Großprojekte der Bundesregierung erfordert den sofortigen Stopp von Stuttgart 21 und dessen Migration hin zu einem etappierbaren Ausbau des Bahnknotens Stuttgart. Sollte es nicht gelingen, Stuttgart 21 zu stoppen, hätte dieses Projekt nur noch als abschreckendes Negativbeispiel einen Nutzen.

Wir Stuttgarterinnen und Stuttgarter müssten uns dann zukünftig mit den spöttischen und mitleidigen Blicken aus Deutschland und Europa abfinden. Nicht nur, dass Stuttgart die schlechteste Wiederaufbauleistung nach dem Zweiten Weltkrieg unter allen deutschen Großstädten (Beispiel: Marktplatz) hingelegt hat. Nicht genug damit, dass Stuttgart ein Verkehrschaos mit den höchsten Feinstaubwerten Europas zelebriert, weil es sich als einzige Großstadt Europas weigert, Ringstraßen ("Mittlerer Ring") zu entwickeln und den Kfz-Verkehr konsequent um den Talkessel herumzuleiten. Stuttgart stünde dann europaweit auch noch als Beispiel für das schlechteste Bahnprojekt da, als Beispiel dafür, wie man es nicht machen soll. Das sind ja beänstigende Zukunftsaussichten!                   
        

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