Gelingt es Stuttgart noch rechtzeitig, das Alles-oder-Nichts-Projekt sowie Bahnrückbauprojekt Stuttgart 21 zu stoppen und damit in die Gemeinschaft der großen europäischen Städte zurückzukehren? Jedenfalls kann niemand mit der Ausrede kommen, es gäbe keine Alternativen zu Stuttgart 21.
Nicht die Alternative des etappierbaren Ausbaus des Bahnknotens Stuttgart sowie der Stuttgarter S-Bahn ist das exotische Projekt, ist der Außenseiter unter den Bahn-Ausbauprojekten. Stuttgart 21 selbst ist einmalig in Europa - einmalig schlecht. Alle Städte in Europa bauen ihren Schienenverkehr in Stufen aus - und das jeweils unter dem Vorzeichen einer Steigerung der Kapazitäten.
Dass dies auch in Stuttgart so gelingen kann, zeigen wir in dieser kleinen Reihe in diesem Blog. In den ersten drei Posts der Reihe ging es um eine erste Ausbaustufe des Bahnknotens Stuttgart und der Stuttgarter S-Bahn mit Zeithorizont 2019. Im vierten Post wurden die Anforderungen an die zweite Ausbauetappe formuliert. Im vorangegangenen Post schließlich wurde eine Ausbaulösung für die zweite Ausbauetappe des Bahnknotens Stuttgart und der Stuttgarter S-Bahn vorgestellt. Diese Ausbaulösung orientiert sich am Vorbild der neuen Zürcher Durchmesserlinie.
Heute wollen wir einige bauliche Gesichtspunkte dieser Ausbaulösung betrachten. Im folgenden Post in diesem Blog geht es dann um betriebliche Aspekte. Und im vorläufig letzten Post der kleinen Reihe wollen wir verschiedene Varianten zum Ausbau des Bahnknotens Stuttgart miteinander vergleichen.
Der neue Durchmesserbahnhof
Der Bahnhof der neuen Stuttgarter Durchmesserlinie wird viergleisig werden und zwei Mittelbahnsteige besitzen. Der Bahnhof wird im Winkel von 30 Grad zum bestehenden Kopfbahnhof liegen. Für den neuen Durchmesserbahnhof muss der am weitensten südlich gelegene Teil des LBBW-Gebäudes im Europaviertel abgerissen werden. Nach Fertigstellung des Durchmesserbahnhofs kann das Gebäude in der Form einer Bahnhofsüberbauung wiedererrichtet werden. Diese Überbauung sollte man jedoch zum Anlass nehmen, die großen architektonischen Fehler der Vergangenheit im Europaviertel abzumildern.
Ein Teil des neuen Durchmesserbahnhofs wird nach oben offen sein - ähnlich wie dies auch bei den neueren U-Haltestellen der Stadtbahn der Fall ist. Damit werden Brand- und Verrauchungsprobleme in diesem neuen Bahnhof bei weitem nicht die große Rolle spielen wie beim Stuttgart 21-Tiefbahnhof. Der neue Durchmesserbahnhof wird sich nur in einfacher Tiefenlage befinden. Der Bahnhof wird oberhalb des Niveaus des S-Bahnhofs sein, ebenso oberhalb des Niveaus des Stadtbahntunnels vom Hauptbahnhof in die Heilbronner Straße.
Der neue Durchmesserbahnhof wird so gut wie irgend möglich mit dem Kopfbahnhof verbunden, so dass die Reisenden beide Bahnhöfe möglichst als eine Einheit erleben.
Die Anbindung der Durchmesserlinie an das Gleisvorfeld
Eine ganz wichtige Eigenschaft der Durchmesserlinie ist, dass der Durchmesserbahnhof auf einer der beiden Seiten über eine Rampe an das Gleisvorfeld des Kopfbahnhofs angebunden wird. Im Gegensatz dazu sind bei Stuttgart 21 und auch bei der sogenannten Kombilösung auf beiden Seiten des Durchgangsbahnhofs mehr oder weniger lange Tunnels erforderlich.
Die Durchmesserlinie muss über das Gleisvorfeld des Kopfbahnhofs nur in Richtung Bad Cannstatt angebunden werden. Das vereinfacht die Sache ungemein. In Richtung Zuffenhausen erfolgt ja die Anbindung über die dem Gleisvorfeld gegenüberliegende Seite des Durchmesserbahnhofs. Die Anbindung der Durchmesserlinie an das Gleisvorfeld steht dem Ziel, das Gleisvorfeld des Kopfbahnhofs drastisch zu vereinfachen, nicht entgegen. Die beiden Gleise der Durchmesserlinie bilden zwei der sechs Gleise der Zufahrt Bad Cannstatt zum Hauptbahnhof.
Der Tagebautunnel unter der Kriegsbergstraße und unter der Hegelstraße
Auf der dem Gleisvorfeld des Kopfbahnhofs gegenüberliegenden Seite wird der Durchmesserbahnhof über einen Tunnel an das vorhandene Streckennetz angebunden. Im Stuttgarter Fall besteht dieser Tunnel aus einem Tagebauteil und aus einem bergmännisch aufzufahrenden Teil. Der Tagebautunnel wird sich in einfacher Tiefenlage unter der Kriegsbergstraße und unter der Hegelstraße befinden - in etwa so wie der in den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts erbaute Stadtbahntunnel unter der benachbarten Friedrichstraße. Der Durchmessertunnel wird den Stadtbahntunnel kreuzen, der vom Hauptbahnhof in die Heilbronner Straße führt. Dieser Stadtbahntunnel liegt an der Kreuzungssstelle überdurchschnittlich tief. Das hat seine Ursache in der unmittelbar benachbarten Kreuzung der beiden Stadtbahntunnel vom Hauptbahnhof in die Heilbronner Straße und in die Friedrichstraße.
Der Durchmessertunnel befindet sich unmittelbar über dem vorhandenen Stadtbahntunnel, der vom Hauptbahnhof in die Heilbronner Straße führt. Der Tagebauteil des Durchmessertunnels unter der Kriegsbergstraße und unter der Hegelstraße wird bei weitem nicht die Probleme aufweisen, die einige Tunnel bei Stuttgart 21 haben. Die relativ geringe Tiefenlage des Tunnels, die Randlage im Stuttgarter Talkessel, sein Verlauf in Längsrichtung des Stuttgarter Talkessels und seine topographisch erhöhte Lage in Bezug auf das Niveau des Nesenbachs werden bei diesem Tagebautunnel weder nennenswerte Probleme mit dem Grundwasser, noch mit dem Mineralwasser, noch mit irgendwelchen Dükern hervorrufen.
Der Tagebautunnel wird in der Monoblockbauweise errichtet. Diese bereits in Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts beim benachbarten Stadtbahntunnel in der Friedrichstraße praktizierte Bauweise sorgt für wasserdichte, stabile und relativ preisgünstige Tunnel mit einer hohen Lebensdauer. Die problematische Deckelbauweise, die hohe Instandhaltungskosten nach sich zieht, ist zu vermeiden.
Für die Durchmesserlinie sind keine Änderungen bei den bestehenden Tunneln der Stadtbahn erforderlich. Im Gegensatz dazu müssen bei Stuttgart 21 fast 200 Millionen Euro aufgebracht werden, um bestehende Stadtbahntunnel zu verlegen. Dies ist eine Investition, die keinen einzigen Fahrgast mehr auf die Schiene bringt, die aber sinnvolleren Schienenausbauprojekten das Geld wegnimmt.
Kommen wir noch zum Städtebau. Wir haben es bei der Straßenachse der Kriegsbergstraße und Hegelstraße mit einem Phänomen zu tun. Diese Straßen sind - auch mit den sehr niedrigen Stuttgarter Architekturmaßstäben gemessen - eine städtebauliche und architektonische Katastrophe. Es fällt auch auf, dass im Verlauf dieser Straßen kaum Fußgänger unterwegs sind - und das obwohl diese Straßen nur wenige hundert Meter von der Königstraße entfernt sind und obwohl sie mitten im angeblich so beengten und überfüllten Stuttgarter Talkessel liegen. Bewusst oder unbewusst spüren die Menschen das Abweisende, das Apokalyptische dieser Straßenzüge und bleiben ihnen fern.
Nach der Fertigstellung des Tagebautunnels unter der Kriegsbergstraße und unter der Hegelstraße ergibt sich die Jahrhundertchance, diese Straßenzüge zu einem Boulevard zu entwickeln und auch die Gebäude entlang der Straßen neu zu bauen oder maßgeblich zu verändern. Es muss auch ernsthaft über die Einrichtung einer Straßenbahn vom Hegelplatz über die Hegelstraße, die Kriegsbergstraße, den Arnulf-Klett-Platz, die Straße Am Schlossgarten und die Wolframstraße bis zur Hackstraße nachgedacht werden.
Kräherwaldtunnel I
Dieser Tunnel hat die Aufgabe, die Durchmesserlinie auf möglichst kurzem und schnellem Weg an die Zufahrt Zuffenhausen nördlich des Bahnhofs Feuerbach anzubinden. Ein weiterer wichtiger Trassierungsaspekt dieses Tunnels ist seine Führung weitgehend unter Grundstücken bzw. Flächen, die nicht bebaut sind. Dieser Tunnel verläuft unter anderem unter dem Kräherwald, unter der Feuerbacher Heide, unter der Grünen Fuge und unter dem Killesberg. Der Streckenabschnitt des Tunnels, der unter bebauten Grundstücken verläuft, beträgt nur 1,3 Kilometer. Im Gegensatz dazu verlaufen die Tunnel bei Stuttgart 21 über weit mehr als die zehnfache Länge unter bebauten Grundstücken.
Der Kräherwaldtunnel I beginnt bei der Einmündung Hegel-/Kornbergstraße. Ab dort steigt die Hegelstraße relativ steil an. Der Vortrieb dieses Tunnels erfolgt allerdings nicht von der Hegelstraße bzw. vom Stuttgarter Talkessel aus, sondern aus dem Feuerbacher Tal.
Sechsgleisiger Ausbau der Bahnstrecke von Feuerbach bis nördlich Zuffenhausen
Die neue Durchmesserlinie bringt das 5. und 6. Gleis für die Zufahrt Zuffenhausen zum Hauptbahnhof zwischen Feuerbach und dem Hauptbahnof. Um die damit verbundene enorme Kapazitätssteigerung voll wirksam werden zu lassen, muss auch die Strecke zwischen Feuerbach und nördlich Zuffenhausen (Verzweigung Ludwigsburg-Vaihingen/Enz) sechsgleisig ausgebaut werden.
Dies ist im Übrigen ein Vorhaben, das auch bei Stuttgart 21 irgendwann aktuell werden würde. Denn die sogenannte P-Option von Stuttgart 21 beinhaltet ja die Führung zweier zusätzlicher Gleise zum Hauptbahnhof durch den vorhandenen, aber nach einer Inbetriebnahme von Stuttgart 21 zunächst stillgelegten Pragtunnel. Auch bei dieser Option wäre man vor der Frage gestanden, wie man diese beiden zusätzlichen Gleise zwischen Feuerbach und nördlich Zuffenhausen führt.
Eine Betrachtung von Luftbildern z.B. des Kartendienstes google maps zeigt, dass das 5. und 6. Gleis zwischen Feuerbach und nördlich Zuffenhausen zum größeren Teil auf dem vorhandenen Bahngelände eingerichtet werden kann bzw. als Güterverkehrsgleis bereits vorhanden ist. Das gilt uneingeschränkt im Abschnitt zwischen Feuerbach und dem Bahnhof Zuffenhausen.
Im Bereich des Bahnhofs Zuffenhausen muss man in die Trickkiste greifen. Dort schlage ich vor, das Gleis der herkömmlichen S-Bahn (S4, S5), die von Ludwigsburg in Richtung Hauptbahnhof fährt, zu verlegen. Diese S-Bahn fährt zukünftig nicht mehr östlich, sondern westlich des Bahnhofsgebäudes, so dass sie unmittelbar vor dem Bahnsteig in das Gleis der von Leonberg kommenden S6 mündet. Damit steht aber der Bahnsteig, der bisher der S4 und der S5 in Richtung Hauptbahnhof diente, für die Gegenrichtung (S4/S5 Richtung Ludwigsburg) zur Verfügung. Das bringt auch Vorteile für die Fahrgäste, die zukünftig eine übersichtlichere Situation an den Bahnsteigen der S-Bahn in Zuffenhausen vorfinden.
Insgesamt stehen damit im Bahnhof Zuffenhausen sechs Gleise für die Relation von Ludwigsburg/Vaihingen-Enz zum Hauptbahnhof zur Verfügung. Gleichzeitig kann man die beiden Bahnsteige für den Regionalverkehr in Zuffenhausen erhalten. Diese beiden Bahnsteige werden ja heute so gut wie nicht benötigt. Sie werden zukünftig jedoch für den Halt der beiden Express-S-Bahnlinien von/nach Kirchheim/Neckar und Vaihingen/Enz benötigt. (Zur Definition des Produkts Express-S-Bahn siehe den ersten Post dieser kleinen Reihe).
Nördlich des Bahnhofs Zuffenhausen ist heute Platz für fünf Gleise. Dort kann das sechste Gleis dadurch eingerichtet werden, dass man die Tunnelrampe zum bestehenden Tunnel Langes Feld der Fahrtrichtung Vaihingen/Enz der Schnellfahrstrecke um einige hundert Meter zum Bahnhof Zuffenhausen vorzieht.
Kräherwaldtunnel II
Im Verlauf der Zürcher Durchmesserlinie gibt es eine Streckenverzweigung im Gleisvorfeld des Hauptbahnhofs. Auch bei der Stuttgarter Durchmesserlinie soll es Verzweigungen geben. Wegen der gegenüber Zürich etwas anderen Netzstruktur wird es die Streckenverzweigungen in Stuttgart jedoch nicht im Gleisvorfeld, sondern im Verlauf des Durchmessertunnels geben. Diese Streckenverzweigungen bieten die einmalige Chance, das im Vergleich der Regionen etwas zu dünne Streckennetz der Bahn in der Region Stuttgart zu verdichten und Teile der Region Stuttgart schneller an das Zentrum anzubinden, die bisher im Bahnverkehrsschatten gelegen sind.
Hier ist an erster Stelle der Abzweig zu nennen, der die Württembergische Schwarzwaldbahn und damit die Stadt Leonberg und ihr Hinterland besser an das Zentrum der Region Stuttgart anbinden soll. Dieser 3,5 Kilometer lange Tunnel zweigt ungefähr unter der heutigen Trasse der Gäubahn ca. 150 Meter südwestlich des Herdwegs vom Kräherwaldtunnel I ab. Der Tunnel verläuft dann unter dem Kräherwald, unterquert das Feuerbacher Tal und verläuft unter dem Waldgebiet zwischen dem Feuerbacher Tal und Weilimdorf. Der Tunnel endet dort, wo die Ortsumfahrung Weilimdorf der B295 in den Wald eintritt bzw. diesen verlässt.
Zulauf zum Kräherwaldtunnel II entlang der B 295
Neben der Ortsumfahrung Weilimdorf der B 295 ist Platz, eine Trasse für die Express-S-Bahn einzurichten. Die Straße verläuft zum größeren Teil im Einschnitt. Die Bebauung ist relativ weit von der Straße abgerückt. Die Express-S-Bahn unterfährt dann die Gerlinger Straße und anschließend die B 295, um östlich der A 81 in die Württembergische Schwarzwaldbahn (S-Bahnstrecke Korntal-Ditzingen) einzumünden.
Kräherwaldtunnel III
Eine weitere Abzweigung von der Durchmesserlinie betrifft die Gäubahn. Die Gäubahn muss ja heute, um den Kopfbahnhof zu erreichen, einen weiten Bogen um die Innenstadt machen. Die Länge dieses Bogens ist in erster Linie dem Dampflokzeitalter geschuldet, als man nur sehr kleine Steigungen bei der Eisenbahn umsetzen konnte. Heute können die Züge größere Steigungen bewältigen. Damit könnte man den Bogen, den die Gäubahn fahren muss, abkürzen. Allerdings steht dem die in den letzten 100 Jahren erfolgte nahezu lückenlose Bebauung des Stuttgarter Talkessels entgegen.
Es ist jedoch möglich, die Gäubahn über einen Tunnel an die Durchmesserlinie anzubinden. Dieser Tunnel beginnt beim Westbahnhof und nutzt dort den bereits in den Dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts gebauten Tunnelvoreinschnitt. Damals wollte man bereits einen Tunnel vom Westbahnhof in Richtung Feuerbacher Tal und Zuffenhausen bauen, um mit dem Güterverkehr auf der Gäubahn den Stuttgarter Hauptbahnhof umfahren zu können.
Der Anbindungstunnel der Gäubahn an die Durchmesserlinie verläuft unter dem Botnanger Sattel hindurch, dann unter dem Waldgebiet des Kräherwald, um schließlich in den Verzweigungstunnel für die Württembergische Schwarzwaldbahn (Kräherwaldtunel II) und den Haupttunnel der Durchmesserlinie (Kräherwaldtunnel I) zu münden.
Der Kräherwaldtunnel III weist eine Steigung von knapp unter 40 Promille auf. Er ist fast so steil wie der Hasenbergtunnel der S-Bahn und damit definitiv nur für S-Bahnfahrzeuge geeignet. Das ist insoweit auch in Ordnung, denn damit lässt sich die bereits von der ersten Ausbaustufe des Bahnknotens Stuttgart bekannte S7/S70 vom Flughafen an den Durchmesserbahnhof anbinden und sogar bis nach Bad Cannstatt durchbinden. Allerdings muss man sich bewusst sein, dass die Regional- und Fernzüge diesen Tunnel auch im Störungsfall nicht nutzen können.
Ausblick
Im folgenden Post in diesem Blog diskutieren wir die faszierenden betrieblichen Perspektiven der neuen Stuttgarter Durchmesserlinie. Im übernächsten Post gibt es einen Vergleich zwischen der von Heiner Geißler und SMA vorgeschlagenen Kombilösung und der Durchmesserlinie. Hierbei werden wir feststellen, dass die Durchmesserlinie der Kombilösung haushoch überlegen ist.
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