Mittwoch, 15. September 2010

Form follows function: auch bei der Bahn

Was bei der Architektur und beim Design Gültigheit hat, kann bei der Eisenbahn nicht falsch sein. Die gegenständliche Form ergibt sich aus der zugedachten Funktion einer Sache.

Leider wird dieser Leitsatz beim Projekt Stuttgart 21 nicht berücksichtigt. Und das ist - so soll hier die These sein - auch der Hauptgrund für die massive und schroffe Ablehnung des Projekts in der Bevölkerung.

Wie sollte der Leitsatz form follows function bei der Bahn Anwendung finden?



Gehen wir hierzu einfach einmal in die Schweiz, in das Bahnland Nr. 1 Europas, und schauen wir einmal, wie die Schweiz ihren Bahnverkehr und ihr Bahnnetz ausbaut.

Der Ausbau des Schweizer Bahnnetzes und des Bahnverkehrs läuft im Rahmen der folgenden Planungs- und Bauschritte ab:

Erster Schritt: Wie viele Fahrgäste befördert die Bahn auf einer bestimmten Strecke heute und wie viele Fahrgäste soll sie in 10 und in 20 Jahren befördern?

Zweiter Schritt: Wie häufig fahren die Züge heute und wie häufig müssen und sollen sie in 10 und in 20 Jahren fahren?

Dritter Schritt: Welche Fahrzeit haben die Züge heute und welche Fahrzeit im Rahmen des integralen Taktfahrplans soll zukünftig gelten (Integraler Taktfahrplan bedeutet unter anderem: Fahrzeiten von etwas weniger als einer Stunde bzw. etwas weniger als einer halben Stunde zwischen den Knotenpunkten; nur so begegnen sich die Züge in den Knotenpunkten). 

Vierter Schritt: Welche Ausbaumaßnahmen an der Strecke und in den Bahnhöfen sind erforderlich, um die im zweiten Schritt festgestellte Zugzahl bewältigen zu können? (z.B. zusätzliche Gleise, zusätzliche Bahnsteige usw). Welche Ausbaumaßnahmen an der Strecke sind erforderlich, um die im dritten Schritt festgelegte Fahrzeitverkürzung zu erreichen?

Fünfter Schritt: Etappierbarer Ausbau der Strecken und der Bahnhöfe im Rahmen der o.a. Festlegungen

So geht es also in der Schweiz.

Und jetzt wieder zu Stuttgart 21. Beim Projekt Stuttgart 21 lief das Ganze genau verkehrt herum ab. Wie könnte man das sagen? Vielleicht so: form first, what function

Zuerst gab es die Idee des quer zum Kopfbahnhof liegenden Durchgangsbahnhofs sowie der Vermarktung der freiwerdenden Gleisflächen. Erst dann hat man sich gefragt: welcher Betrieb ist mit dieser Bahnhofs- und Gleisform möglich? Wie viele Züge kann man fahren lassen? Manche Dinge hat man sich gar nicht gefragt, zum Beispiel: Wo und wie gibt es Anschlüsse von Zug zu Zug?

Ja, und das Volk hat ein Gespür dafür, dass es bei Stuttgart 21 nicht mit rechten Dingen zugeht, dass hier nicht die Form der Funktion folgt, sondern dass hier die ganze Sache auf dem Kopf steht. Möglicherweise haben viele Politiker dieses Gespür nicht, bzw. es ist bei ihnen verkümmert.

Und dieses Gespür des Volks ist es, das die Menschen zu Zehntausenden gegen Stuttgart 21 auf die Straße treibt, das die Mehrheit der Baden-Württemberger das Projekt ablehnen lässt. Je näher die Menschen am Geschehen sind und je besser sie die Sache kennen, desto größer ist die Ablehnung. 

Undenkbar, dass so ein Vorhaben wie Stuttgart 21, erfunden bei einem Hubschrauberflug über dem Stuttgarter Talkessel und wie das Kaninchen aus dem Hut gezaubert, gegen den Willen des Volkes verwirklicht wird.  

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.