Samstag, 23. März 2019

Die Argumentationsprobleme beim Projekt Stuttgart 21 zu ETCS, S-Bahn und Stadtbahn, Teil 4 von 4

Dies ist der vierte von vier hintereinanderfolgenden Posts in diesem Blog, in dem auf einen Kommentar der Stuttgarter Zeitung vom 20. März 2019 geantwortet wird. Der Kommentar ist von Thomas Durchdenwald verfasst und trägt den Titel "Signaltechnik für S-Bahnen in Stuttgart "Vom Trumpf zur Lusche"".

Im vorangegangenen Post ging es um die zweite Stammstrecke der Münchner S-Bahn, die wegen des Verzichts in München auf das Projekt München 21 möglich geworden ist.

Heute geht es um die Forderungen, dass der Bund zusätzliche Milliarden für Stuttgart und für das Signalsystem ETCS bereitstellt.

Das sagt der Kommentar
In Stuttgart hat man auf die moderne Signal- und Steuerungstechnik ETCS gesetzt. Die Politik in Stuttgart und Baden-Württemberg wäre gut beraten, massiv gegen die Etateckpunkte des Bundes vorzugehen. Im Berliner Finanzpoker könnte die Finanzierung von ETCS für den Bahnknoten Stuttgart auf der Strecke bleiben.

Es schadet nicht, nochmal die Geschichte von Stuttgart 21 in Erinnerung zu rufen
Ob die Politik in Stuttgart und Baden-Württemberg wirklich gut beraten wäre, massiv gegen die Finanzplanung des Bundes vorzugehen, ist in Zweifel zu ziehen. Das wird bei einer nochmaligen Betrachtung der Geschichte von Stuttgart 21 deutlich:

1. Eine Schwaben-Connection mischt sich in die ureigenen Belange des Bundes ein und legt überfallartig ein Konzept für den vollständigen Umbau des Bahnknotens Stuttgart vor.


2. Auf den Bund und auf die Bahn, die Stuttgart 21 nie wollten, wird massiv und jahrelang Druck ausgeübt, auch mit Geldmitteln, die direkt oder indirekt für Stuttgart fließen.

3. Wie bei politischen Projekten allzu oft der Fall, explodieren beim Projekt Stuttgart 21 die Kosten. Diejenigen, die den Bund und die Bahn zum Projekt Stuttgart 21 genötigt haben, weigern sich jetzt aber, die Kostensteigerungen von vielen Milliarden Euro mitzutragen.

4. Der Bund und/oder die Bahn sehen sich jetzt mit der unschönen Lage konfrontiert, dass sie auf den 3 bis 5 oder mehr Milliarden Euro Mehrkosten für Stuttgart 21 sitzen bleiben, für ein Projekt, das sie nie gewollt hatten.

Glauben denn der Kommentator oder die Politik in Stuttgart und BW allen Ernstes, dass es bei dieser Lage gerechtfertigt oder auch nur erlaubt wäre, dass Stuttgart und BW jetzt Druck auf den Bund ausüben, damit dieser auch noch die ETCS-Nachrüstung finanziert, die das nicht nur finanziell, sondern auch fachlich und inhaltlich grandios gescheiterte Projekt Stuttgart 21 noch irgendwie retten soll?

ETCS ist auch inhaltlich falsch
Dabei ist es bisher keineswegs ausgemacht, dass das neue Signalsystem ETCS einen Ausweg aus der Kapazitätskrise von Stuttgart 21 weist. Das ist ja alles noch im Versuchsstadium und es gibt Berichte aus anderen Ländern, wonach ETCS keineswegs das Wunderkind zur Kapazitätssteigerung ist. Es wäre jedenfall hochgradig leichtsinnig, wenn die Hoffnungen zur Kapazitätssteigerung beim Bahnknoten Stuttgart einschließlich der S-Bahn nur auf der Anwendung von ETCS fußten.

Die Ablehnung der Finanzierung von ETCS durch den Bund ist eine Jahrhundertchance für den Bahnknoten Stuttgart
Im Gegensatz zu den Thesen des Kommentators ist vielmehr zu wünschen, dass der Bund zusätzliche Mittel für ETCS beim Bahnknoten Stuttgart ablehnt. Nur so kommen die Stuttgart 21-Betreiber sowie die Politik in BW möglicherweise noch im allerletzten Moment zur Vernunft.

Eine Ablehnung der Finanzierung von ETCS durch den Bund würde die Akteure zwingen, jetzt doch im allerletzten Moment noch Änderungen am Projekt Stuttgart 21 vorzunehmen, die wirklich zukunftsweisend und kapazitätssteigernd sind.

Ein zusätzlicher Kopfbahnhof ist zunächst mal für die S-Bahn erforderlich
Zu den wirklich zukunftsweisenden Maßnahmen gehört, dass die heute schon überlastete S-Bahn-Stammstrecke nicht noch mit zusätzlichen Zügen belastet wird, sondern im Gegenteil - wie das auch in München der Fall ist - entlastet wird. Einige Züge, die heute noch durch die Stammstrecke fahren, müssen aus dieser herausgenommen und in den Kopfbahnhof geführt werden.

Damit ist nicht die Führung von S-Bahnen in den Kopfbahnhof im Störungsfall oder im aktuellen Überlastungsfall gemeint, wie das heute bereits der Fall ist. Das muss selbstverständlich weiterhin so betrieben werden. Es geht aber darüber hinaus darum, dass auch fahrplanmäßig ca. 4 Züge pro Stunde in den Kopfbahnhof fahren. Sollte die Zahl der S-Bahnzüge pro Stunde gegenüber dem heutigen Zustand weiter zunehmen, würden dann sogar mehr als 4 Züge pro Stunde in den Kopfbahnhof fahren.

Eine Führung von einzelnen S-Bahnzügen in den Kopfbahnhof ist für die Fahrgäste nicht von Nachteil. Denn der Stuttgarter Hauptbahnhof mit seinen unzähligen Umsteigemöglichkeiten ist auch für die Fahrgäste der S-Bahn der Hauptquell- und -zielpunkt der Fahrt. Dieser Zustand bleibt dann solange erhalten, bis irgendwann einmal doch eine zweite Stammstrecke für die S-Bahn in Betrieb geht.  

Ein zusätzlicher Kopfbahnhof ist auch für die neue Doppelspur der Zufahrt Zuffenhausen erforderlich
Die Zufahrt Zuffenhausen - eine der beiden Hauptzufahrten zum Bahnknoten Stuttgart - ist beim Projekt Stuttgart 21 mit nur zwei Gleisen hoffnungslos unterdimensioniert. Es sind zwei neue Gleise für die Zufahrt Zuffenhausen erforderlich. Wegen Kapazitätsproblemen ist es aber nicht möglich und sinnvoll, diese beiden zusätzlichen Gleise in den Tiefbahnhof zu führen (P-Option). Vielmehr müssen die beiden zusätzlichen Gleise, über die hauptsächlich Metropolexpresszüge aus Richtung Vaihingen (Enz)/Heilbronn - Ludwigsburg sowie Nagold - Calw fahren werden, ebenfalls in den Kopfbahnhof münden.

Ein zusätzlicher Kopfbahnhof ist auch für die Gäubahn erforderlich
Die bei Stuttgart 21 geplante Führung der Gäubahn über den Flughafen ist durch eine derartig große Zahl an Engstellen charakterisiert, dass man diese Führung als unfahrbar bezeichnen muss. Deshalb muss die Gäubahn weiterhin über eine eigenständige Zufahrt zum Hauptbahnhof verfügen. Das kann nach Lage der Dinge bis auf weiteres nur die bestehende Panoramastrecke über Stuttgart-Vaihingen sein. Die beiden Gleise der Panoramastrecke müssen ebenfalls in den Kopfbahnhof münden, der so nahe wie möglich am Durchgangsbahnhof liegt und mit diesem sowie dem S-Bahnhaltepunkt zusammen einen Kombibahnhof sowie den Stuttgarter Hauptbahnhof ergibt.

Jetzt ist ein Kassensturz angesagt
Es gilt jetzt also, die Kosten für die neue Doppelspur der Zufahrt Zuffenhausen, für die Beibehaltung der Führung der Gäubahn über die Panoramastrecke sowie für die Führung von S-Bahnzügen in den Kopfbahnhof denjenigen Kosten gegenüberzustellen, die für die Führung der Gäubahn über den Flughafen, für den Bau eines neuen Flughafenbahnhofs der Relation Stuttgart - Ulm/Tübingen sowie für das Signalisierungssystem ETCS entstehen.

Erst nach diesem Kassensturz kann dann mit dem Bund und mit der Bahn über die weitere Finanzierung von Stuttgart 21 verhandelt werden, eines Stuttgart 21 allerdings, das im Gegensatz zum aktuellen Projekt den Bahnknoten Stuttgart wirklich stärkt und zukunftsweisend ist.

       

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