Donnerstag, 9. Juli 2020

Die Gretchenfrage beim Deutschlandtakt: "Wie hältst du´s mit der Attraktivität und Zentralität Stuttgarts?"

Das Bahnnetz in Deutschland soll zukünftig im Rahmen des Deutschlandtakts (Integraler Taktfahrplan) betrieben werden.

In diesem Zusammenhang entscheidet sich das verkehrliche Schicksal Stuttgarts. Denn es gibt beim Deutschlandtakt nur die eine Alternative: Entweder kann in Stuttgart ein Vollknoten im Rahmen des Deutschlandtakts eingerichtet werden. Oder Stuttgart wird ein zweitklassiger Knoten, ein unattraktiver Umsteigepunkt mit längeren Wartezeiten, den die Bahnreisenden in Deutschland wenn immer möglich meiden und umfahren.

Für den Stuttgarter OB und für den Vorsitzenden des Verbands Region Stuttgart stellt sich in diesen Monaten und Jahren somit die Gretchenfrage: "Wie hältst du´s mit der Attraktiviät und Zentralität Stuttgarts?"

Der Traum von Interkontinentalflughafen Stuttgart
Solche Fragen wie die nach der verkehrlichen Zentralität und Attraktivität Stuttgarts haben in den Anfangsjahren des Projekts Stuttgart 21 durchaus eine Rolle gespielt. So hat das Land Baden-Württemberg gegen den Willen der Bahn partout darauf bestanden, dass die Schnellfahrstrecke Stuttgart-Ulm über den Stuttgarter Flughafen umgeleitet wird. Man träumte vom ICE-Halt am Stuttgarter Flughafen. Damit wollte man den Stuttgarter Flughafen in Richtung der Interkontinentalflughäfen München, Frankfurt/Main und Zürich positionieren und durchaus diesen Flughäfen auch den einen oder anderen Fernflug wegnehmen.

Solche Gedankenspiel muten heute merkwürdig fremd und aus der Zeit gefallen an. Heute ist davon praktisch nichts übriggeblieben. ICE werden am Stuttgarter Flughafen kaum oder sogar überhaupt nicht anhalten. Das Wort Fernflüge traut man sich heute kaum mehr in den Mund zu nehmen.

Man wollte die Magistrale auf jeden Fall Frankfurt wegnehmen
Ein weiteres Beispiel für das Zentralitätsverständnis der Stuttgart 21-Protagonisten in der Anfangszeit ist eine Argumentation des damaligen Ministerpräsidenten Oettinger. Oettinger legte Wert darauf, dass die Magistrale Paris-Bratislava auf jeden Fall über Stuttgart geführt wird (mögliche Alternative wäre eine Führung über Saarbrücken, Frankfurt und Nürnberg gewesen). Gemäß Oettinger hat Stuttgart schon zu sehr daran gelitten, dass der Haupt-Interkontinentalflughafen Deutschlands nach Frankfurt/Main gewandert ist. Bei der Magristrale dürfe dies nicht noch einmal passieren.

Auch diese Sache ist heute kaum mehr von Belang. Bereits im Sach- und Faktencheck zu Stuttgart 21 unter Heiner Geißler nahm der damalige Bahnvorstand Kefer die Magistralengeschichte zurück. Sie hätte kaum eine Bedeutung. Von Bedeutung wäre hingegen die innerdeutsche Hauptstrecke Frankfurt/Main-Mannheim-Stuttgart-Ulm-Augsburg-München.

Flughafen und Magistrale waren nur Vorgeplänkel für die jetzt anstehende Zentralitätsfrage
Gegenüber der Zentralitätsfrage für den Bahnknoten Stuttgart, für die Stadt Stuttgart und die Region Stuttgart, die sich jetzt im Rahmen des Deutschlandtakts stellt, waren die Geschichten mit dem Stuttgarter Flughafen und mit der Magistrale nur Vorgeplänkel. Jetzt geht es jedoch ans Eingemachte.

Umso verwunderlicher ist es vor diesem Hintergrund, dass man weder von Stuttgarts OB Fritz Kuhn noch vom Regionalpräsidenten Thomas Bopp auch nur ein Wort zur Positionierung Stuttgarts im Rahmen des Deutschlandtakts hört.

Eigentlich müssten beide Politiker jetzt in Berlin fast schon Stammgast sein und für Stuttgart lobbiieren. Sie müssten dafür werben, dass Stuttgart ein Vollknoten im Rahmen des Deutschlandtakts wird. Denn mit einem Vollknoten wird die Zahl der Reisenden, die über Stuttgart mit der Bahn fahren, markant zunehmen. Damit aber werden auch die Stadt Stuttgart und die Region Stuttgart an Attraktivität und Zentralität gewinnen. Je mehr Fahrgäste über Stuttgart fahren, desto besser wird das Zugangebot in Stuttgart ausfallen. Davon profitieren dann auch die Einwohner Stuttgarts und der Einwohner der Region Stuttgart, die dann viel mehr Fahrmöglichkeiten vorfinden werden.

Stuttgart müsste jetzt dem Bund entgegenkommen
Eigentlich müssten beide Politiker jetzt dem Bund entgegenkommen und zusagen, dass die für den Vollknoten im Rahmen des Deutschlandtakts erforderlichen Bahnsteiggleise in Stuttgart eingerichtet werden können, bevorzugt mit Hilfe eines ergänzenden Kopfbahnhofs.

Eigentlich müssten beide Politiker jetzt dem Bund ganz klar signalisieren, dass auch die im Rahmen des Vollknotens des Deutschlandtakts benötigten mindestens zwölf Zu- und Ablaufgleise zum Stuttgarter Hauptbahnhof eingerichtet werden können, indem die Stadt den Weiterbetrieb der Panoramastrecke der Gäubahn sowie der beiden durch den Pragtunnel führenden Gleise zulässt und fördert.

Ja, eigentlich müsste dies so sein. Der Sachstand ist jedoch leider zur Zeit, dass Schweigen im Walde herrscht. Weder Fritz Kuhn noch Thomas Bopp fallen irgendwie dadurch auf, dass sie sich über die Zentralität und Attraktivität Stuttgarts im Rahmen des Deutschlandtakts Gedanken machen.

Ist das mangelndes Problembewusstsein? Oder zeigt uns hier das Projekt Stuttgart 21 einmal mehr seine wahre Fratze, nämlich die, dass dieses Projekt mit Bahnverkehr nur wenig zu tun hat?

Wann Fritz Bopp abtritt und einer jüngeren, hoffentlich problembewussteren Generation Platz macht, ist meines Wissens noch nicht bekannt. Bei Fritz Kuhn weiß man dies aber bereits. Seine potenziellen Nachfolger sollten vor der Wahl verbindlich darstellen müssen, wie sie zum Deutschlandtakt und zur Zentralität und Attraktivität Stuttgarts stehen. 

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