Die Grün-Rote Regierung in Baden-Württemberg befindet sich in einer ständigen Zerreißprobe. Während die Grünen das Projekt Stuttgart 21 strikt ablehnen, hängen zumindest wichtige Teile der Führung der SPD in einer wahren Nibelungentreue an diesem Projekt. Die Grünen bezeichnen Stuttgart 21 als das dümmste und teuerste Bauprojekt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Teile der SPD-Führung sehen in Stuttgart 21 Chancen für das Land Baden-Württemberg.
Man fragt sich, wie diese Koalition angesichts derart unterschiedlicher Auffassungen beim wichtigsten landespolitischen Thema überhaupt zusammenkommen konnte. Und man fragt sich besorgt, wie lange das noch gutgehen kann.
Merkwürdig und rätselhaft wird das Ganze jedoch, wenn man berücksichtigt, was sich vor der Wahl abgespielt hat.
Bleiben wir erst mal nur bei der SPD. Als der Protest gegen Stuttgart 21 im Herbst 2010 einen ersten Höhepunkt erreichte, machte der damalige und auch heutige Fraktionsvorsitzende der SPD, Schmiedel, im Fernsehen eine ganz erstaunte Miene. Er könne nicht verstehen, so gab er zum Besten, dass ein Bahnhof solche Emotionen hervorruft.
Diese Äußerung war gleich in mehrfacher Hinsicht ein falsches Spiel. Zunächst einmal wollte Schmiedel bei den Außenstehenden den Eindruck wecken, dass sich die Bevölkerung hier mit etwas vollkommen Unwichtigem beschäftigte. Wenn er das mit dem Bahnhof so sagte, konnte man tatsächlich zum Beispiel an einen Plastikbahnhof einer Modelleisenbahn denken. Was Schmiedel freilich nicht sagte, war, dass es hier um ein Eisenbahn- und Städtebauprojekt ging, das hinsichtlich seiner Kosten, seiner Dummheit und seiner negativen Auswirkungen auf die Stadt und die Eisenbahn zumindest in Deutschland bisher ohne Vorbild ist.
Aber der Clou kommt noch. Bei den Koalitionsverhandlungen zwischen den Grünen und der SPD nahm die Bedeutung von Stuttgart 21 für Schmiedel plötzlich eine wundersame Wendung. Jetzt war Stuttgart 21 plötzlich nicht mehr nur ein unwichtiger Bahnhof, gegen den es sich doch nicht lohnt zu demonstrieren. Jetzt war Stuttgart 21 wichtig genug, die Koalitionsverhandlungen beinahe platzen zu lassen, mit dem Wechsel zur CDU zu drohen und als Gegenleistung für den Verkehrsminister der Grünen alle wichtigen Ressorts im Kabinett für die SPD zu beanspruchen. Was für eine Heuchelei!
Und jetzt kommen wir zum Verhältnis zwischen den Grünen und der SPD. Was waren Kretschmann (Grüne) und Schmid (SPD) im Wahlkampf nicht für ein einträchtiges Paar. Bei der Menschenkette gegen die weitere Nutzung der Atomkraft zwischen Neckarwestheim und Stuttgart sah man sie händchenhaltend auf dem Stuttgarter Schlossplatz stehen.
Und wenige Wochen später traf mich ebenfalls auf dem Schlossplatz schier der Schlag. Da war eine Wahlkampfveranstaltung der Grünen mit Kretschmann angekündigt. Erwartungsvoll erwarteten einige Tausend Zuschauer den Spitzenpolitiker der Grünen. Aber halt! Habe ich Halluzinationen? Irgendwoher kenne ich diesen jungen Mann doch, der da ganz in der Nähe der Bühne steht und sich jetzt anschickt, diese zu betreten. Tatsächlich: es war Schmid, als Überraschungsgast von Kretschmann. Gemeinsam standen sie auf der Bühne einer Wahlveranstaltung der Grünen.
Das darf doch nicht wahr sein. Da wird man mit Kretschmann auf den Schlossplatz gelockt und muss dann den S21-Schmid sehen. Aber ernsthaft: so etwas können sich doch eigentlich nur Parteien leisten, die bei allen Hauptpunkten ein- und derselben Meinung sind. Kannten die beiden damals den großen Riss in Form von Stuttgart 21 noch nicht? Spielten beide das Thema Stuttgart 21 herunter? Machten sich beide damals noch etwas vor? Verschlossen sie die Augen vor der Zukunft? Rechneten sie in Wirklichkeit gar nicht mit einer Regierungsübernahme?
Nach der Wahl war dann der Katzenjammer da. Die meisten Bürger wussten das freilich schon vorher. Eigentlich gibt es nur zwei Erklärungsmöglichkeiten für diese Vorgänge: entweder sind die beiden Politiker Anfänger und es ist tatsächlich alles so über sie gekommen. Oder wir sind Zeuge eines genialen Politikkrimis, den wir nur noch nicht kapieren und der in Kürze mit dem Stop von Stuttgart 21 aufwarten wird. Man hält vor Spannung den Atem an.
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