Freitag, 1. September 2023

Die Stuttgarter S-Bahn zwischen Stuttgart 21, Metropolexpress und Fahrpersonalmangel

Wie jede Marke muss sich auch die Stuttgarter S-Bahn immer wieder neu positionieren und an die geänderten Randbedingungen anpassen.

Das gilt vor allem für die heutige Zeit, die durch epochale Änderungen gekennzeichnet ist. Zudem ist die Stuttgarter S-Bahn vom in der Geschichte der Bahn bisher umstrittensten Bahnprojekt - Stuttgart 21 - unmittelbar betroffen.

Das sehen wir uns im heutigen Post in diesem Blog mal ein wenig näher an. 

Fahrpersonalmangel
Auch die Stuttgarter S-Bahn ist im Jahr 2023 von temporären Streckenstillegungen und Taktausdünnungen wegen Streckensanierungen und wegen der Vorbereitung eines neuen Zugsicherungssystems betroffen. Das könnte jedoch - wie auch bei den Regionalzügen des Landes BW - ein anderes Problem zunächst mal verdecken, das sich möglicherweise bald dauerhaft einstellt. Das ist der Fahrpersonalmangel. Neben einigen anderen Gründen dürfte somit auch der potenzielle Fahrpersonalmangel dazu führen, dass es bei der Stuttgarter S-Bahn keine Taktverdichtungen über den 15 Minuten-Takt hinaus  geben wird und sich alle Anstrengungen auf die Sicherstellung des 15 Minuten-Takts konzentrieren müssen.

Fahrerloser Betrieb
Dieses Thema können wir hier mangels Detailkenntnissen nicht behandeln. Es ist unklar, ob in der Zukunft die Stuttgarter S-Bahn fahrerlos fahren kann und somit der Fahrpersonalmangel behoben werden kann. 

Taktverdichtungen
Auch wenn das neue Zugsicherungssystem ETCS immer wieder dazu verleitet, sich in Taktverdichtungs-Phantasien zu begeben, muss ganz klar gesagt werden, dass bei der Stuttgarter S-Bahn kein Spielraum über den zur Zeit gefahrenen 15 Minuten-Takt pro Linie hinaus besteht.
 
ETCS kann - wenn es denn tatsächlich etwas bewirkt - zum Abbau von Verspätungen eingesetzt werden - mehr aber auch nicht. Dann dürfte der latente Fahrpersonalmangel Taktverdichtungen ebenfalls einen Strich durch die Rechnung machen.
 
Als drittes steht der Mischbetrieb S-Bahn - Regional-/Fernbahn auf einigen Außenästen der Stuttgarter S-Bahn einer Taktverdichtung im Wege. Z.B. kann im Verlauf der Remsbahn Fellbach - Schorndorf zwischen den 15 Minuten-Takt der S2 gerade mal ein Regionalzug oder Fernzug geschoben werden. Und hier bereits gibt es immer wieder Situationen, dass der Regionalzug hinter einer S-Bahn herbummeln muss. Die Fahrzeiten für die Regional- und Fernzüge sind auf dieser Strecke bereits länger vorgegeben als eigentlich möglich.
 
Ein Mischbetrieb bei der S-Bahn mit 15 Minuten-Takt und 10 Minuten-Takt geht dar nicht. Das würde im Verlauf der Stammstrecke zu riesigen Behinderungen führen. 
    
Längere Züge
Längere Züge als die heute aus drei gekuppelten Triebwagen von je 68,3 bzw. 67,4 Metern Länge bestehenden Züge können nicht eingesetzt werden. Hierzu müssten die unterirdischen Haltepunkte der Stammstrecke verlängert werden. Das ist aus städtebaulichen und finanziellen Gründen unmöglich. 
 
Doppelstockzüge
Doppelstockzüge können bei der Stuttgarter S-Bahn nicht zum Einsatz kommen. Doppelstockzüge haben wesentlich weniger Türen als einstöckige Züge und wesentlich mehr ein- und aussteigende Fahrgäste pro Tür als einstöckige Züge. Das würde zu einer wesentlich längeren Aufenthaltszeit an den Haltepunkten der Stammstrecke führen. Der 15 Minuten-Takt könnte dann nicht mehr gehalten werden. 
 
Neue S-Bahnzüge
Nach dem Vorbild der Münchner S-Bahn gibt es auch für die Stuttgarter S-Bahn die Möglichkeit, neue S-Bahnfahrzeuge zu bestellen, die so lang sind wie bisher die aus drei gekupppelten Fahrzeugen bestehenden Züge, also 200 bis 210 Meter. Diese Züge können mehr Fahrgäste aufnehmen als die bisherige Zugkonfiguration. Denn bei diesen Zügen kann auf zwei Kupplungsstellen und vier Führerstände verzichtet werden. Diese Bereiche stehen zukünftig den Fahrgästen zur Verfügung. Damit ergibt sich eine Kapazitätsausweitung von fünf bis zehn Prozent gegenüber der bisherigen Konfiguration.
 
In der Tat ist dies die einzige Möglichkeit für die Stuttgarter S-Bahn, die Kapazität zu steigern. Sie sollte deshalb genutzt werden.
 
Metropolexpress (MEX)
Die Zusammenarbeit zwischen den für die Stuttgarter S-Bahn und für den MEX zuständigen Stellen muss zukünftig intensiviert werden. Denn wir haben ja in den vorhergegangenen Posts in diesem Blog gesehen, dass der Metropolexpress in der Tat noch Kapazitätsreserven hat. Das gilt in der Form möglicher längerer Züge. Dafür ist allerdings über den Umweg des Wegfalls der Doppelbelegungen im Hauptbahnhof ein Ergänzungsbahnhof erforderlich.
 
Der MEX kann zukünftig auf bestimmten Relationen (z.B. Esslingen am Neckar - S-Hauptbahnhof) der S-Bahn Fahrgäste wegnehmen. Damit wird die S-Bahn entlastet. Sie kann dann in der Folge auf ihren exklusiven Relationen (z.B. Obertürkheim - S-Stadtmitte) zusätzliche Fahrgäste aufnehmen.
 
Nach wie vor geprüft werden sollte eine "Wiedervereinigung" des Nahverkehrs in BW, indem die Zuständigkeit für die Stuttgarter S-Bahn zu den beim Land für den Nahverkehr zuständigen Stellen zurückwandert.

Zweite Stammstrecke
Es ist müßig, das noch einmal zu wiederholen: Aber ohne das Projekt Stuttgart 21 hätte man wohl intensiver über eine zweite Stammstrecke für die Stuttgarter S-Bahn diskutiert und möglicherweise sogar die Umsetzung eines solchen Projekts in die Wege geleitet. Hier in diesem Blog haben wir das bereits mehrfach thematisiert. Das Ergebnis war, dass eine Zweite Stammstrecke so verlaufen müsste, dass sie den Kardinalfehler der Ersten Stammstrecke heilt. Und der wäre: Die beiden Hauptzufahrten zum Stuttgarter Hauptbahnhof werden nicht direkt miteinander verbunden. Das ergäbe dann einen Streckenverlauf für die Zweite Stammstrecke wie folgt: Bad Cannstatt - Hauptbahnhof - Hegelplatz - Kräherwald - Feuerbach - Zuffenhausen.
 
Aber noch einmal: Das geht jetzt nicht mehr. Tangentiale Strecken, wie sie immer wieder herumgeistern, sind keine Zweite Stammstrecke. Eine Zweite Stammstrecke ist nur dann eine Stammstrecke, wenn sie den Hauptbahnhof und/oder die Innenstadt anfährt.
 
Tangentialstrecken
Neue Tangentialstrecken für die S-Bahn können wegen des hier besprochenen Hauptthemas des Personalmangels nicht mehr eröffnet werden. Alle Kräfte müssen sich darauf konzentrieren, dass die Radialstrecken funktionieren.

Unabhängig vom Thema des Personalmangels sollte man von Tangentiallinien jedoch grundsätzliich abraten. Tangentiallinien haben wesentlich weniger Fahrgäste als Radiallinien. Sie können deshalb nur in einem größeren Takt als die Radiallinien betrieben werden, was sie unattraktiv macht. In dichtem Takt verkehrende Radiallinien können auch die Fahrtwünsche der tangential fahrenden Fahrgäste gut erfüllen. Es gibt bei den deutschen S-Bahnnetzen so gut wie keine Tangentiallinien. Tangentiallinien müssen im Bereich der Außenäste irgendwie in die Radiallinien eingefädelt werden. Sie belegen zudem auf den Außenästen wertvolle Fahrplantrassen, die besser den Radiallinien von S-Bahn und Regionalbahn zur Verfügung gestellt werden.
 
Große Takte führen dazu, dass die Tangentiallinien immer weniger Fahrgäste bekommen. Das ergibt dann eine Abwärtsspirale. Die kleinen Takte bei den Radiallinien führen hingegen dazu, dass diese Linien immer mehr Fahrgäste bekommen. Das ergibt  dann eine Aufwärtsspirale. Davon profitiert auch der potenzielle Mega-Umsteigeknoten Stuttgart-Hauptbahnhof und damit auch Stuttgart insgesamt.
 
Ergänzungsbahnhof
Wegen der zukünftig längeren MEX-Züge und des damit verbundenen Wegfalls der Doppelbelegungen sowie wegen der als Folge der Doppelstöckigkeit der MEX längeren Aufenthaltszeiten im Stuttgart 21-Hauptbahnhof ist ein Ergänzungsbahnhof unabdingbar. Wenn aber ein solcher Ergänzungsbahnhof für die MEX vorhanden ist, sollte ihn auch die S-Bahn in irgendeiner Form nutzen - und sei es nur bei Störungen, um die Erreichbarkeit des Hauptbahnhofs durch die S-Bahn wenigstens in eingeschränktem Umfang zu gewährleisten. Zwei Bahnsteigkanten des Ergänzungsbahnhofs sollten mindestens für die S-Bahnzüge zur Verfügung stehen.  

 

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