Samstag, 26. September 2020

Vergleich mit Gleisvorfeld des Münchner Hauptbahnhofs zeigt die Unterdimensionierung der Zulaufstrecken bei Stuttgart 21

Der aktuelle Projektstand bei Stuttgart 21 sieht nur vier Zulaufstrecken (acht Zulaufgleise) zum Stuttgart 21-Tiefbahnhof vor (ohne S-Bahn). 

Die Gäubahn würde ihre heute noch vorhandenen eigenen Zulaufgleise zum Stuttgarter Hauptbahnhof verlieren. Die wichtige Zufahrt Zuffenhausen, die für 40 Prozent der Bahnnachfrage zum und vom Bahnknoten Stuttgart zuständig ist, würde nicht ausgebaut und gegenüber heute unverändert nur zwei Gleise beinhalten.

Hier zeigt sich eine eklatante Unterdimensionierung der Zulaufstrecken zum Stuttgarter Hauptbahnhof bei Stuttgart 21. Das wird bei einem Vergleich mit dem Münchner Hauptbahnhof deutlich.

Im Internet sind gute Darstellungen des Gleisvorfelds und der Zulaufstrecken des Münchner Hauptbahnhofs vorhanden. Es gibt dort auch eine Darstellung mit einer farblichen Kennzeichnung der einzelnen doppelspurigen Zufahrten zum Münchner Hauptbahnhof. Anhand einer solchen Darstellung lassen sich die einzelnen Zulaufstrecken durch das ganze Gleisvorfeld des Münchner Hauptbahnhofs hindurch bis zu den Bahnsteiggleisen gut verfolgen.

Das Ergebnis gleich vorweg: Der Münchner Hauptbahnhof hat (ohne S-Bahn) sechs eigenständige zweigleisige Zulaufstrecken, somit also zwei Zulaufstrecken und vier Zulaufgleise mehr als der Stuttgart 21-Tiefbahnhof nach derzeitigem Projektstand.

Auch die fehlenden Gleise zu den Abstell- und Wartungsanlagen spielen eine Rolle
Das ist aber noch nicht alles. Der Unterschied bei den Zulaufstrecken zwischen dem Stuttgart 21-Tiefbahnhof und dem Münchner Hauptbahnhof ist noch größer. Denn es gibt beim Münchner Hauptbahnhof weitere Gleise, die von den Bahnsteiggleisen zu den Abstell- und Wartungsgleisen führen. Solche Gleise gibt es beim Stuttgart 21-Tiefbahnhof nicht. Dort müssen alle Züge, die zur Abstellung und zur Wartung fahren, die acht Streckengleise mitbenutzen. 

Dann müssen wir auch noch einen Blick auf die S-Bahn werfen. Sowohl Stuttgart als auch München haben zur Zeit eine Durchmesserlinie für die S-Bahn. Wenn man die S-Bahn bei den Zulaufstrecken zum Hauptbahnhof mitzählt, haben sowohl Stuttgart als auch München jeweils zwei weitere Zulaufstrecken mit je zwei Zulaufgleisen zu ihrem Hauptbahnhof. Jetzt wird in München aber bekanntlich eine zweite Stammstrecke für die S-Bahn gebaut, ein Projekt, das in Stuttgart wegen Stuttgart 21 auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben ist. Die zweite Stammstrecke für die Münchner S-Bahn bringt dem Münchner Hauptbahnhof aber zwei weitere Zulaufstrecken mit je zwei Zulaufgleisen.

12 Zulaufgleise beim Stuttgarter Hauptbahnhof versus 22 Zulaufgleise beim Münchner Hauptbahnhof  
Fassen wir die Situation bei den Zulaufstrecken beim Stuttgarter - und beim Münchner Hauptbahnhof zusammen: 

Vier zweigleisigen Zulaufstrecken beim Stuttgart 21-Tiefbahnhof stehen sechs zweigleisige Zulaufstrecken beim Münchner Hauptbahnhof gegenüber.

Berücksichtigt man auch das Abstellen und Instandhalten der Züge, stehen weiterhin nur vier zweigleisigen Zulaufstrecken beim Stuttgart 21-Tiefbahnhof mindestens sieben zweigleisige Zulaufstrecken beim Münchner Hauptbahnhof gegenüber.

Berücksichtigt man auch noch die S-Bahn, stehen sechs zweigleisigen Zulaufstrecken im Stuttgarter Hauptbahnhof (Stuttgart 21 mit S-Bahn) elf (!) zweigleisige Zulaufstrecken zukünftig im Münchner Hauptbahnhof gegenüber (zwei Stammstrecken der S-Bahn).

Welche Rolle spielen die unterschiedlichen Fahrgastzahlen?
Der Münchner Hauptbahnhof hat gemäß der wikipedia 413.000 Reisende pro Tag. Beim Stuttgarter Hauptbahnhof sind es nur 255.000 Reisende. Es ist zu vermuten, dass ein großer Anteil der Differenz bei der S-Bahn zu suchen ist.
 
Die Stuttgarter S-Bahn befördert 435.000 Reisende pro Tag. Bei der Münchner S-Bahn sind es 840.000 Reisende pro Tag. Das dürfte für die unterschiedlichen Fahrgastzahlen in den Hauptbahnhöfen maßgeblich sein. Die für die S-Bahn relavante Raumkategorie ist die jeweilige Region. Die Region Stuttgart hat 2.790.000 Einwohner. Bei der Region München sind es 2.900.000 Einwohner. Bei einer annähernd gleich großen Einwohnerzahl in der jeweiligen Region befördert die Münchner S-Bahn somit also fast doppelt so viele Fahrgäste wie die Stuttgarter S-Bahn. Darin zeigt sich das eigentliche Defizit des Schienenverkehrs in der Region Stuttgart. Diesem Defizit hätte man mit einem massiven Ausbau der S-Bahn begegnen müssen und nicht mit einem Projekt wie Stuttgart 21.
 
Kehren wir aber nochmals zu den Zulaufstrecken zum Hauptbahnhof (ohne S-Bahn) zurück. Maßgebend für die Dimensionierung dieser Zulaufstrecken muss die Anzahl der Bahnstrecken, die auf den jeweiligen Bahnknoten zuführen, sein. Auf den Bahnknoten Stuttgart führen 11 Zulaufstrecken zu (Murrbahn, Remsbahn, Filstalbahn, Neckartalbahn, Schnellfahrstrecke Ulm, Gäubahn, Württembergische Schwarzwaldbahn, Schnellfahrstrecke Mannheim, Residenzbahn, Westbahn, Frankenbahn). Auf den Bahnknoten München führen "nur" acht Zulaufstrecken zu, wenn man die nur von S-Bahnen benutzten Strecken mal außer Acht lässt (von/nach Ingolstadt, von/nach Landshut, von/nach Mühldorf, von/nach Rosenheim, Bayerische Oberlandbahn, von/nach Garmisch-Partenkirchen, von/nach Lindau, von/nach Augsburg). Die Unterdimensionierung der Zulaufstrecken zum Stuttgart 21-Tiefbahnhof wird an Hand dieser Daten noch deutlicher.
 
Der Stuttgarter Hauptbahnhof benötigt dringend weitere Zulaufstrecken und -gleise
Das Defizit in Stuttgart ist also erkannt. Was ist jetzt zu tun? Die Medizin ist einfach: Der Stuttgarter Hauptbahnhof braucht mehr als die vier Zulaufstrecken, die bisher bei Stuttgart 21 vorgesehen sind. Der Stuttgarter Hauptbahnhof braucht mindestens sechs Zulaufstrecken mit 12 Gleisen.

Diese zusätzlichen Zulaufstrecken passen in den schmalen Trog des Stuttgart 21-Tiefbahnhofs nicht hinein. Alleine schon wegen der Erfordernis der zusätzlichen Zulaufstrecken muss es somit einen ergänzenden Kopfbahnhof beim Stuttgarter Hauptbahnhof geben. In diesen ergänzenden Kopfbahnhof münden die beiden zusätzlichen Zulaufstrecken. Im Detail sind dies die zweigleisige Strecke der Gäubahn (Panoramastrecke) sowie die zweigleisge Strecke, die durch den alten Pragtunnel führt und die für den Ausbau der Zufahrt Zuffenhausen erforderlich ist. 

In den ergänzenden Kopfbahnhof münden dann noch zwei weitere Gleise, quasi als rudimentärer Ersatz für die in Stuttgart nicht vorhandene zweite Stammstrecke der S-Bahn. Diese beiden weiteren Gleise sind S-Bahngleise. Sie dienen dazu, die Stammstrecke der Stuttgarter S-Bahn zu entlasten und zukünftig im Einzelfall noch zusätzliche S-Bahnzüge möglich zu machen.

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