Montag, 2. September 2019

Ist Stuttgart 21 die Ursache für den schlechten Wochenendfahrplan Stuttgart-Karlsruhe?


Zum kleinen Fahrplanwechsel im Juni 2019 wurde der Regionalverkehr zwischen den beiden größten Städten Baden-Württembergs neu gestaltet. Verbesserungen gibt es jedoch im Wesentlichen nur an den Wochentagen von Montag bis Freitag, nicht aber an den Wochenenden.

An Samstagen und Sonntagen müssen Fahrgäste mit einem Regionalverkehrsticket weiterhin bis zu 1,5 Stunden auf einen Zug von Stuttgart nach Karlsruhe bzw. von Karlsruhe nach Stuttgart warten. Wie kommt es zu einem derartig schlechten Fahrplan, der sogar noch schlechter ist als der Fahrplan in den Jahren vor dem kleinen Fahrplanwechsel 2019? Ist dafür das Projekt Stuttgart 21 verantwortlich?

Als Beispiel für den mangelhaften Wochenendfahrplan seien mal die Abfahrten im Regionalverkehr von Karlsruhe nach Stuttgart an Samstagen von 15 Uhr bis 18 Uhr genannt:
14:33 Abfahrt IRE nach Stuttgart
16:05 Abfahrt IRE nach Stuttgart
16:33 Abfahrt IRE nach Stuttgart
18:05 Abfahrt IRE nach Stuttgart.

Fahrgäste mit einem Regionalverkehrsticket müssen also immer wieder länger als eineinhalb Stunden warten, bis sie in Karlsruhe in einen Zug nach Stuttgart steigen können.

Nun sind an Samstagen und Sonntagen vielleicht nicht ganz so viele Fahrgäste unterwegs wie montags bis freitags. Es fehlen hauptsächlich die Berufspendler. Jedoch sind am Wochenende viele andere Fahrgäste unterwegs, die z.B. zur Freizeit, zu einer Kulturveranstaltung oder zu einem familiären Termin unterwegs sind. Viele dieser Fahrgäste besitzen ein Auto, das sie durchaus als Alternative nutzen können. Und Fahrgäste, die einmal über 1,5 Stunden in Karlsruhe oder Stuttgart auf einen Zug gewartet haben, können durchaus entscheiden, das nächste mal mit dem Auto zu fahren.

Das betrifft ja nicht nur diejenigen Fahrgäste, die direkt von Karlsruhe nach Stuttgart oder umgekehrt fahren wollen. Davon betroffen sind auch viele andere Fahrgäste, die in Stuttgart oder Karlsruhe umsteigen müssen.


Nehmen wir mal das Beispiel einer Fahrt von Baden-Baden nach Stuttgart mit einem Regionalverkehrsticket. Von Baden-Baden nach Karlsruhe kann man jede Stunde mit dem Regionalexpress fahren. Nehmen wir an, der Fahrgast will um 14:28 Uhr in Baden-Baden abfahren.
Baden-Baden ab  14:28
Karlsruhe an 14:49
Karlsruhe ab 16:05
Stuttgart an 17:00

In Karlsruhe hätte dieser Pechvogel also einen Aufenthalt von über einer Stunde. Warum bietet das für den Regionalverkehr zuständige Land Baden-Württemberg zwischen seinen beiden größten Städten einen so schlechten Fahrplan an?

Sind Kapazitätsprobleme die Urache für den schlechten Fahrplan?
Das muss man wohl ausschließen. Denn montags bis freitags ist es ja durchaus möglich, einen Halbstundentakt im Regionalverkehr zwischen Karlsruhe und Stuttgart zu fahren (mit Ausnahme der zweistündlichen Taktlücke, in der der IC Karlsruhe-Stuttgart fährt). Dann müsste dies auch am Wochenende möglich sein. 

Ist das Projekt Stuttgart 21 die Ursache für den schlechten Fahrplan?
Das Land trägt zum Bau der NBS Wendlingen-Ulm die ungeheure Summe von 950 Mio. Euro bei. Das Projekt Stuttgart 21 wird vom Land mit ca. 500 Mio Euro kofinanziert. Dazu kommen noch zahlreiche Nachbesserungen des Projekts Stuttgart 21, bei denen das Land finanziell ebenfalls beteiligt ist bzw. sein wird. Vielleicht wird das Land auch noch dazu verdonnert, die riesigen Kostensteigerungen beim Projekt Stuttgart 21 zum größeren Teil zu übernehmen.

Bei Betrachtung dieser Summen ist es nicht abwägig zu folgern, dass das Land für die Bestellung von Regionalzügen kein weiteres Geld mehr übrig hat. Ein attraktiver Regionalverkehr im Verlauf der Strecke Karlsruhe-Stuttgart würde demnach auf dem Altar des Stuttgart 21-Abenteuers des Landes geopfert.  

Ist das Land nicht willens, dem Autoverkehr auch an den Wochenenden Konkurrenz zu machen?
Es ist ja inzwischen Konsens im politischen Spektrum, dass der Berufsverkehr sich überwiegend mit öffentlichen Verkehrsmitteln abspielen soll. Was aber würde passieren, wenn der öffentliche Verkehr auch am Wochenende so attraktiv wäre, dass viele Menschen ihr Auto zu Hause stehen lassen? Dann würde es dem Auto und damit auch der Autoindustrie an den Kragen gehen.

Es könnte deshalb sein (selbstverständlich gibt es dafür keinen Nachweis), dass es ein Gentleman-Agreement zwischen dem Land und der Autoindustrie gibt, dass zumindest am Wochenende breite Bevölkerungsschichten weiterhin das Auto nutzen sollen. Attraktive Bahnfahrpläne im Regionalverkehr zwischen Stuttgart und Karlsruhe stünden dem entgegen.

Welche Rolle spielt der IC Karlsruhe-Stuttgart-Nürnberg?
Seit der Bahnreform gibt es eigentlich zwei Eisenbahnen. Es gibt den eigenwirtschaftlichen Fernverkehr der Bahn, zu dem der zweistündlich verkehrende IC Karlsruhe-Pforzheim-Stuttgart-Nürnberg gehört. Und es gibt den Regionalverkehr, für den die Länder zuständig sind.

Fahrgäste mit einem Regionalverkehrsticket können den Fernverkehr der Bahn nicht nutzen. Der vom Land seit Juni 2019 bestellte Halbstundentakt mit IRE Stuttgart-Karlsruhe montags bis freitags weist alle zwei Stunden eine Taktlücke auf. Das ist jeweils die Zeit, in der der IC fährt. Diese Taktlücke bekommen die Fahrgäste mit Regionalverkehrstickets unmittelbar zu spüren.

In der Schweiz ist es anders. Steht man zum Beispiel am Zürcher Flughafenbahnhof und will zum Hauptbahnhof, kann man mit dem Fahrschein nicht nur die S-Bahn, sondern auch die Fernzüge nutzen. In Deutschland besteht also Handlungsbedarf, indem entweder Fernzüge vom Typ des IC Karlsruhe-Pforzheim-Stuttgart eingestellt und durch vom Land bestellte IRE ersetzt werden oder indem diese IC für Fahrgäste mit Regionalverkehrstickets freigegeben werden.

Was muss jetzt kurzfristig gemacht werden?
Es gibt für das Land - mal angenommen, dass der Wille besteht, die Fahrpläne auch am Wochenende zu verbessern - drei kurzfristige Handlungsoptionen, um wenigstens einen Stundentakt im Regionalverkehr zwischen Stuttgart und Karlsruhe einzurichten.

Handlungsoption A
Das Land verhandelt mit der Bahn und bitte diese, den IC-Service Karlsruhe-Stuttgart über Pforzheim einzustellen. Statt dessen bestellt das Land einen IRE Karlsruhe-Stuttgart, der in der Fahrplantrasse des bisherigen IC fährt.

Handlungsoption B
Das Land bestellt einen zusätzlichen IRE, der drei Minuten hinter dem IC Karlsruhe-Stuttgart fährt (da könnte die Überlastung der Zufahrt Zuffenhausen zum Stuttgarter Hauptbahnhof einen Strich durch die Rechung machen).

Handlungsoption C
Das Land verhandelt mit der Bahn mit dem Ziel, gemäß dem Vorbild Gäubahn die zweistündlich verkehrenden IC-Züge Karlsruhe-Pforzheim-Stuttgart auch für Fahrgäste mit Regionalverkehrsfahrkarten zu öffnen.

Am Realistischsten scheint die Handlungsoption C zu sein. Darüber hinaus sollte das Land jedoch dafür sorgen, dass auch am Wochenende der Halbstundentakt mit Regionalzügen zwischen Karlsruhe und Stuttgart besteht. Das Geld dafür muss vorhanden sein. Die Finanzierung der zu erwartenden kostspieligen Nachbesserungen beim Projekt Stuttgart 21 ist dagegen nicht Sache des Landes, sondern des Bauherrn, somit also der Bahn.

Hoffentlich werden wir nicht in die Verlegenheit gebracht, den achtspurigen Ausbau der Autobahn A8 Karlsruhe-Stuttgart fordern zu müssen
Bis auf einen Abschnitt bei Pforzheim, der zur Zeit ständig in den Verkehrsmeldungen erscheint, ist die A8 Karlsruhe-Stuttgart bereits sechsspurig ausgebaut. Der Ausbau des letzten Abschnitts bei Pforzheim hat begonnen. Zwar kam erst vor Kurzem die Botschaft, dass sich der Ausbau dieses Abschnitts um mindstens ein Jahr verzögern wird (Zur Zeit ist es ja tatsächlich so, dass sich die Fertigstellung fast aller Bauvorhaben gegenüber den ursprünglichen Zeitplänen stark verzögert. Es wäre ein Thema für sich, den Ursachen dafür mal nachzuforschen.).

Irgendwann wird jedenfalls auch der Abschnitt der A8 bei Pforzheim sechsspurig ausgebaut sein. Dann wird es vorübergehend keine Staus im Verlauf der A8 mehr geben und die Menschen werden sich am Wochenende entscheiden, mit dem Auto und nicht mehr mit der Bahn zu fahren. Sollte der Bahnfahrplan am Wochenende weiterhin so schlecht bleiben, wird man dann in den Folgejahren an den achtspurigen Ausbau der A8 denken müssen.

Das zuständige Bundesverkehrsministerium wird dann einen entsprechenden Bedarf erkennen und ihn damit begründen, dass das Land BW nicht in der Lage bzw. nicht willens ist, einen attraktiven und leistungsfähigen Bahnfahrplan zwischen Karlsruhe und Stuttgart zu liefern. 
Ein TGV mit Fahrtziel Marseille verlässt den 16gleisigen Karlsruher Hauptbahnhof.
Obwohl oder vielleicht gerade weil Karlsruhe nicht im Traum daran denkt, seinen 16gleisigen Hauptbahnhof unter die Erde zu legen, gibt es rund um den Karlsruher Hauptbahnhof einen wahren Bauboom mit vielen neuen Gebäuden.
 

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